Emotionaler Abschied: John Neumeiers Nijinsky-Gala beendet Ära
Nach 51 Jahren hat sich Hamburgs Ballettchef John Neumeier am Sonntagabend in der Hamburgischen Staatsoper von seinem Publikum verabschiedet. Die 49. Nijinsky-Gala begann routiniert - und endete sehr emotional.
Noch eine Stunde vor Vorstellungsbeginn stehen viele Ballettfans mit Schildern vor der Staatsoper. Keine Demo - sie sind auf Kartensuche. Manche halten ihre "Suche Karte"-Schildchen diskret vor dem Bauch, andere haben extra ein leuchtend oranges Kleid angezogen. Eine Hamburgerin schwenkt gar ein großes Pappschild an einem langen Kantholz in die Höhe und erzählt: "Hier stehen zig Leute mit Schildern, aber versuchen will ich es. Sonst würde ich mir ewig vorwerfen, ich habe es nicht versucht."
Hoffnung hat sie zwar wenig, aber für den Fall der Fälle genug Bargeld dabei. Bis zu 200 Euro will sie ausgeben, denn: "Das ist so besonders heute. Das ist eine Legende, die da geht!" Ihr Aufwand lohnt sich: Tatsächlich bekommt sie später noch ein Ticket.
Besucherin: "Ein Grund, sich zu freuen!"
Im Foyer herrscht dann gespannte Erwartung und Vorfreude, weniger Abschiedsstimmung. Ein Besucher meint: "Er sorgt dafür, dass man nicht traurig wird. Ich denke, er ist schon darüber hinweg. Heute ist das für ihn Business." Eine Frau erklärt: "Wir werden heute einen schönen Querschnitt sehen von seiner Arbeit - und das ist ein Grund, sich zu freuen!"
Und wirklich: Routiniert und charmant führt John Neumeier durch den Abend, begeistert begrüßt vom Hamburger Publikum. Der Choreograf widmet die Gala seiner Compagnie und dem Ballettzentrum, das seit 1989 nicht nur Trainingsräume für das Hamburg Ballett beherbergt, sondern mit seiner Ballettschule zur Talentschmiede geworden ist. Zwischendurch erzählt er Anekdoten, als wenn alles so wäre wie immer.
13 exzellente Ausschnitte aus John Neumeiers Balletten
Für den Abend hat Neumeier 13 Ausschnitte aus seinen Balletten ausgesucht. Mit dabei ist Bekanntes aus dem Repertoire wie das "Beethoven-Projekt" oder "Ghost Light", dieses besondere Stück, das in der Corona- Zeit entstanden ist.
Auf die Bühne kommen aber auch Ballette, die selten zu sehen waren - wie der Pas de Deux aus "Hello", den Neumeier Mitte der 1990er-Jahre zum 50. Jubiläum des Stuttgarter Balletts kreiert hatte. Oder "Lento" aus dem Jahr 1999, getanzt an diesem Abend von der hinreißend eleganten Olga Smirnowa als Gast. Das Hamburg Ballett zeigt sich einmal mehr exzellent. Was hat der Nachfolger Demis Volpi für ein Glück!
Eine Ära ist zu Ende gegangen
Als John Neumeier sich nach fünf Stunden beim Orchester, bei der Technik, dem Kostüm und seinen Tänzerinnen und Tänzern bedankt, kann man eine Stecknadel fallen hören. Immer wieder versagt ihm die Stimme. Eine Ära ist nach 51 Jahren zu Ende gegangen. Glauben kann das an diesem Abend keiner. Bei vielen Wegbegleitern und Mitarbeitenden schaut man in traurige Augen. Darüber sprechen? Am liebsten nicht. Jedenfalls nicht heute.
Dafür sagt beim Hinausgehen ein Mann aus dem Publikum: "John Neumeier kann sehr stolz darauf sein, was er erreicht hat. Das hilft vielleicht hinweg über die Stimmung, die sich jetzt verbreiten wird. Er wird nicht vergessen!"