Trauer und Glück bei John Neumeiers letzter Ballettwerkstatt
Hamburgs Ballettchef John Neumeier startet mit seiner letzten Spielzeit. Nach 51 Jahren verlässt er Mitte Juli als Intendant das Hamburg Ballett. Nun gab er seine letzte Ballettwerkstatt.
Der Applaus wollte gar nicht enden. Niemanden hielt es mehr auf den Sitzen. Immer wieder wurde John Neumeier vor den Vorhang gejubelt - und man fragt sich wirklich, wie das bei seiner Abschiedsgala werden soll. Einmal mehr hatte er auf der großen, leeren Bühne der Staatsoper alle in seinen Bann gezogen - mit seinem Wissen, seiner Person, seinem Humor, seinem Charme.
Kühle Brise nach John Neumeiers Start in Hamburg
John Neumeier lässt seinen Tänzern und Tänzerinnen und ihrer Arbeit, ihrem Können viel Platz an diesem Morgen. Er kommentiert das tägliche klassische Training: Nur wer Positionen, Sprünge und Drehungen spürt und zutiefst beherrscht, habe die Freiheit für moderne Choreografie.
Der scheidende Ballettintendant blickt aber auch zurück auf seine nicht ganz unkomplizierten Anfänge in Hamburg. Er hatte Verträge in der Compagnie nicht verlängert. Das sei damals als Skandal empfunden worden. Bei seiner allerersten Ballettwerkstatt 1973 sei ihm dann auch eine eher "kühle Brise" entgegengekommen - bis er plötzlich seinen Text vergessen hatte: "Ich habe mich umgedreht, um in meine Notizen zu schauen. Als ich mich umdrehte, haben sie applaudiert. Das hat mich tief bewegt."
Ballettwerkstatt teast auf neustes Werk "Epilog"
Der Rest ist Geschichte. Die Ballettwerkstätten werden Kult. Neumeiers Nahbarkeit und die unmittelbare Begegnung beeindrucken das Publikum: "Er lässt einen Anteil nehmen an dem, was in ihm vorgeht, was er denkt, was er fühlt, was er überlegt", findet eine Zuschauerin.
Auch in dieser 241. Ballettwerkstatt gibt er schon mal einen Einblick in seine Arbeit an seiner letzten Kreation: "Epilog", also Nachwort, Schlussrede. "Ich hoffe und glaube nicht, dass das das letzte Werk ist, was ich in meinem Leben mache", sagt Neumeier.
Persönliche Musikauswahl von Schubert bis Simon & Garfunkel
Kein großes Werk aus der Literatur, keine große Sinfonie, kein großes religiöses Werk soll es werden. Vielmehr Fragmente eines Lebens - und sehr persönlich ganz bestimmt: So wird neben Franz Schubert und Richard Strauß auch Simon & Garfunkel zu hören sein. Ihre Musik habe ihm in seiner Einzimmerwohnung in Frankfurt damals Anfang der 1970er-Jahre viel Trost gegeben.
Trost braucht vielleicht auch mancher im Publikum an diesem Morgen: "Über die 50 Jahre war ich immer hier und es bricht mir fast das Herz, dass es das letzte Mal war", erzählt eine Zuschauerin und eine weitere sagt: "Ich habe seit meinem 18. Geburtstag bis heute seine ganze Ära miterlebt. Ich bin ein bisschen traurig, aber auch erfüllt und beglückt."