Marie Bues über ihre Begeisterung für zeitgenössisches Theater
Die Regisseurin Marie Bues vom Staatstheater Hannover setzt sich besonders für zeitgenössische Stoffe ein. Die Sprache als performatives Element sei ihr dabei besonders wichtig, betont sie im Gespräch.
Frau Bues, warum interessieren Sie sich so sehr für neue Stücke?
Marie Bues: Ich interessiere mich sehr dafür, weil ich die Sprache als performatives Element auf der Bühne so wichtig, so interessant und so spannend finde. Das kann einerseits sein, dass Literatur im Theater in eine Sinnlichkeit gebracht wird. Das kann aber auch eine ganz moderne, neue Sprachfindung sein, eine abstraktere Sprache. Ich interessiere mich schon seit längerem dafür. Das hat angefangen mit Elfriede Jelinek, von der ich eine Schweizer Erstaufführung in Basel gemacht habe. Von da an war ich so ein bisschen infiziert mit dieser Begeisterung für die neue Dramatik, für die verschiedenen Formen des Schreibens für die Bühne.
Nehmen Sie bei den Uraufführungen auch an der Entwicklung des Stücks Anteil? Sprechen Sie mit den Autorinnen und Autoren?
Bues: Ja, das ist auch etwas Spannendes, dass sich der Theaterprozess da meistens ein bisschen anders gestaltet. Man hat nicht immer nur die Aufgabe der Interpretation eines Textes oder der Umdeutung in die Gegenwart, sondern man hat die tolle Aufgabe, das schon gemeinsam zu entwickeln. Das ist mir das Liebste, wenn man mit den Autor*innen schon ganz von Anfang an über Themen spricht, irgendwann eine erste Fassung gemeinsam liest, darüber spricht, wie man die weiterentwickeln könnte, und manchmal sogar schon konkrete Schauspieler*innen im Kopf hat, die dann die einzelnen Rollen übernehmen könnten. Das ist eine total schöne Zusammenarbeit, die ich sehr genieße.
Können Sie ein Beispiel nennen, mit wem Sie besonders guten Kontakt hatten oder haben?
Bues: Ich arbeite zum Beispiel noch immer sehr eng mit Thomas Köck und Sivan Ben Yishai zusammen. Wir kennen uns inzwischen gut. Ich glaube, von Thomas Köck habe ich schon fünf Uraufführungen gemacht. Das ist natürlich toll, wenn man so nachhaltig zusammenarbeitet. Mit Sivan Ben Yishai spreche ich immer schon sehr früh über Inhalte. Dann schreibt sie etwas, und dann reden wir wieder darüber. Ich mag diesen Prozess unheimlich gerne, sodass man die Autor*innen näher an den Theaterprozess, ans Theatermachen heranholt. Das ist ein ganz toller, wichtiger Austausch, direkt in der Gegenwart.
Es wird gerade viel von "Zeitenwende" gesprochen. Ist auch am Theater eine Wende zu spüren? Oder sind das vielleicht sogar "gute Zeiten" für neue Dramatik?
Bues: Ich habe das Gefühl, dass wir gerade in einer totalen Umbruchszeit leben und dass ganz viele Themen, die man schon für erledigt gehalten hatte, viele Konflikte, die noch mal hochkommen, die Gesellschaft wieder total umtreiben. Vom Krieg über Religion bis hin zu einem Aufschwung der Rechten - das sind alles Themen, die am Theater bearbeitet gehören, wo es Sinn macht, noch mal differenzierter draufzuschauen und verschiedene Perspektiven auf die Bühne zu bringen. Bei dem Stück "Wir sind nach dem Sturm", was ich mit Kevin Rittberger fürs Schauspiel Hannover gemacht habe, war das große Thema: Wie geht man individuell mit der Komplexität all dieser Fragen um, die momentan auf uns einstürmen? Wie kann man das mit seiner Biografie verbinden? Und wie kann man ins Handeln kommen? Das Theater kann da vielleicht Ausblicke geben oder versuchen, Probleme differenzierter zu behandeln, als das im Alltag gemacht wird.
Krieg und Religion sind Themen, die schon seit Jahrhunderten in Klassikern zu Genüge behandelt wurden. Bei dem Regienachwuchs werden solche Klassiker kaum noch inszeniert. Beim Körber Studio Junge Regie, dem jährlichen Treffen der Hochschulen, waren zuletzt fast nur selbstentwickelte, geschriebene oder andere zeitgenössische Texte zu erleben. Wie steht es um die Klassiker?
Bues: Ich glaube, die werden schon noch gut bedient. Da hat ja jedes Stadttheater die Aufgabe - alleine fürs Abo oder für die Schulen - genug Klassiker zu machen. Ich finde das auch ganz wichtig. Ich finde es zum Beispiel spannend, wenn man die Klassiker mit der Gegenwart oder mit neuen Autorinnen zusammenbringt, die vielleicht einen Kommentar schreiben oder ein Sekundärdrama. Ich habe mit Thomas Köck mal die "Antigone" bearbeitet - das ist auch gang und gäbe, wie jede Generation ihre eigene "Antigone" schreibt oder überschreibt. Ich finde es auch spannend, wenn man den neuen Autor*innen die Chance gibt, das noch mal anders zu bearbeiten oder unter einem bestimmten Blickwinkel anzuschauen.
Das Interview führte Eva Schramm.