"Der Kirschgarten" in Hamburg: Einladung zum Perspektivwechsel
Es ist ein radikales Experiment - inhaltlich und ästhetisch. Regisseurin Katie Mitchell inszeniert den "Kirschgarten" am Deutschen Schauspielhaus als eine Mischung aus Hörspiel und Videoinstallation, unterstützt und vorangetrieben von einem Streichquartett.
Die experimentelle Inszenierung stößt beim Publikum auf Kritik. "Das ist Spielverweigerung", sagt ein Mann. Ein anderer ergänzt: "Wenn ich ins Kino gehen will, gehe ich ins Kino, wenn ich ein Konzert haben will, gehe ich ins Konzert, wenn ich in ein Sprechtheater gehe, will ich Sprechtheater sehen."
Dreigeteilte Bühne - der Text kommt aus dem Studio
Die Bühne ist dreigeteilt: Links stehen die Schauspielerinnen und Schauspieler in einem Studio hinter Pulten. Sie sprechen, produzieren Geräusche, die die Bilder auf der großen Leinwand oben in der Mitte der Bühne untermalen: das Summen von Bienen in den Kirschblüten, das Kratzen von Vogelschnäbeln auf Ästen, den Wind in den Blättern. In einem zweiten, ebenfalls geschlossenen Kasten sitzt das Streichquartett. Tschechow-Text gibt es nur wenig, die Figurenkonstellation bleibt unklar. Deutlich wird: Der Kirschgarten muss verkauft werden.
Am 22. Oktober ist der Termin für die Versteigerung, aber mach dir keine Sorgen. Folgender Plan: Dein Grundstück ist nur 13 Kilometer von der Stadt entfernt, der Flughafen ist relativ nah, und wenn man den Kirschgarten und das Land am Fluss in Parzellen aufteilt und für Sommerhäuser verpachtet, wirst Du mindestens 50.000 Euro Gewinn jährlich daraus ziehen.
Der Kirschgarten im Lauf der Jahreszeiten
Der Kirschgarten selbst wird zum Ausgangspunkt der Geschichte. Sie wird aus der Perspektive der Bäume erzählt. Die Bilder auf der Leinwand zeigen den Kirschgarten zunächst in frühlingshaft voller Blüte, dann wird es Sommer, die Kirschen reifen und machen Vögel und andere Tiere satt. Schließlich kommen Herbst und Winter. Die Gespräche der Menschen treten in den Hintergrund, sind oft nur fernes Gemurmel.
Nur wenn Szenen außerhalb des Hauses spielen, verlassen die Schauspieler das Studio, agieren wie beim Film vor einem Greenscreen. Sie sind dann vor blühenden Bäumen oder kahlen Ästen oben auf der Leinwand zu sehen. Für die Zuschauer bietet das eine neue Sicht auf das Stück: "Für mich ist vom Kirschgarten geblieben, dass man das Ganze wie durch so eine Glasscheibe anguckt, dieses Nicht-mehr-in-Beziehung-sein zu seiner eigenen Welt, getrennt sein von der Realität."
Am Ende alles noch einmal - rückwärts gespielt
Nach gut einer Stunde verlässt die Familie das Gut, die Sägen werden angeworfen, die Bäume fallen. Doch dann dreht Katie Mitchell unvermittelt die Zeit zurück. Die Bäume richten sich wieder auf, die Sägen werden verstaut. In knapp 30 Minuten passiert alles noch einmal - nur andersherum. Virtuos spricht und läuft das Ensemble rückwärts. Es ist faszinierend, wie präzise Mitchell diesen Abend technisch durchchoreografiert hat.
Trotzdem bleibt der Verdacht, dass sich die Regisseurin für diese lange Rückwärtsbewegung entschieden hat, weil der Abend sonst zu kurz geworden wäre. Einmal verstanden, gibt es keine weiteren Erkenntnisse. Man muss diesen "Kirschgarten" nicht mögen: am Ende gab es heftige Buhs, neben wenigen Bravos. Aber er ist in seiner Radikalität beeindruckend konsequent und lädt ein zum Perspektivwechsel. Die Botschaft, die gleich zweimal, am Anfang und am Ende, zu lesen war, wirkt da fast zu platt: "Wenn wir weiter die Natur misshandeln, wird sie kollabieren und wir mit ihr."
"Der Kirschgarten" in Hamburg: Einladung zum Perspektivwechsel
Der Kirschgarten selbst wird zum Ausgangspunkt der Geschichte. Sie wird aus der Perspektive der Bäume erzählt.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ende:
- Ort:
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Schauspielhaus Hamburg
Kirchenallee 39
20099 Hamburg