"Die Wütenden und die Schuldigen": John von Düffels neues Buch
In John von Düffels neuem Roman "Die Wütenden und die Schuldigen" geht es um den Tod. Der 1966 in Göttingen geborene Schriftsteller malt die düstere, dumpfe Perspektivlosigkeit in der Provinz.
Schwache Nerven darf man nicht haben für den neuen Roman von John von Düffel. So harte, heftige und brutale Szenen gab es bei ihm bisher noch nicht in dieser Dichte und Schärfe.
Traumatische Erinnerungen
Es beginnt damit, dass wir eine Palliativmedizinerin begleiten. Sie will sich um den Vater einer Kollegin kümmern, der Krebs im Endstadium hat. Mit ihr unterwegs in die Ueckermark ist Richards Enkeltochter Selma. Kathi Kuhn, die Ärztin, verabreicht Fentanyl, ein synthetisches Opioid, das stärker als Morphium wirkt, gegen die Schmerzen. Sie erklärt ihrem Patienten:
"Ich gebe nicht gerne Spritzen, außer in Notfällen. Bei chronischen Schmerzen empfiehlt sich eine andere Medikamentengabe, kein Fluten und Verebben, sondern ein stetiger Pegel. Sind es denn einzelne Schmerzspitzen, die Sie spüren, oder mehr ein permanentes Schmerzgeschehen?" "Permanent", sagte Richard. Er dachte an den Speicher, die Enge, das unentwegte Sich-Stoßen an allen Dingen, bei jedem Gedanken. Er brauchte nichts gegen die Schmerzen, sondern etwas gegen die Erinnerung. Leseprobe
Wegen der Erinnerungen, die angeblich das Paradies sein sollen, aus dem wir nicht vertrieben werden können. Richard hat als Pfarrer in der Ueckermark gewirkt bis zu seinem Ruhestand, obgleich er, seitdem seine Frau bei der Geburt ihres Sohnes gestorben war, nicht mehr an Gott glaubte. Nun, im Alter, fühlt er sich seinem Sohn gegenüber schuldig, weil er ihn nie lieben konnte, vor lauter Trauer um seine Ehefrau. Sohn und Vater sprechen seit Jahrzehnten nicht mehr miteinander.
Die Krise unter der Lupe
Eine zerstörte, schweigende Familie ist es inzwischen auch in der folgenden Generation geworden. Das Ganze spielt zu Corona-Zeiten. Enkeltochter Selma erklärt die Lage:
"Mir geht`s gut - abgesehen davon, dass mein Opa stirbt, meine Mutter in Quarantäne ist, mein Vater in der Psychiatrie und mein Bruder sich um gar nichts kümmert." Leseprobe
Die Krise im Land durch den Lockdown wird bei John von Düffel unter die Lupe genommen. Für Selmas Bruder Jakob ist es einfach nur eine neue Variante seiner Dauerkrise und Lebensuntüchtigkeit. Er diagnostiziert, dass es:
"…tendenziell diejenigen härter trifft, die etwas zu verlieren haben oder hatten, als beispielsweise mich, der ich schon vor der Krise in der Krise war." Leseprobe
Kein "Wohlfühlbuch"
Ein erwachsener Mann, der bei der Mutter Unterschlupf sucht und sich von ihr die Bude aufräumen lässt. Kein Einzelschicksal. Das sind eher noch harmlose Szenen. Es gibt einige Passagen, bei denen ich, wenn es im Fernsehen zu sehen wäre, mal kurz raus zum Wäscheaufhängen ginge. Aber es ist ein brillanter Text, der unserer seltsamen Gesellschaft in diesen Zeiten einen erbarmungslosen Spiegel vorhält. John von Düffel malt die düstere, dumpfe Perspektivlosigkeit in der Provinz. Die Fremdenangst, die in Hass umschlägt; die Brutalität und das jammervolle Selbstmitleid der an sich vom Leben Begünstigten. Jede Person in diesem Buch kreist ausschließlich um sich selbst. Wer bereit ist, sich einzugestehen, dass es wahrscheinlich genauso um uns steht, findet hier einen außergewöhnlich guten Roman - eher kein sogenanntes Wohlfühlbuch.
Die Wütenden und die Schuldigen
- Seitenzahl:
- 320 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- DuMont
- Bestellnummer:
- 978-3-8321-8163-5
- Preis:
- 22,00 €