Endlich wiederentdeckt: Die Radioarbeiten von Siegfried Lenz
In seinen frühen Jahren war Siegfried Lenz ein eifriger Radio-Autor. In der Reihe "Der Norden liest" werden am 24. November drei Bände vorgestellt, die dokumentieren, was er von den 50er- bis in die 70er-Jahre für den Rundfunk geschrieben hat.
Ein DJ namens Siegfried Lenz - der spätere Erfolgsschriftsteller und "sein" NDR: "Mehr als 30 Jahre [war ich] Mitarbeiter und ich bin seit mehr als 30 Jahren ein begeisterter Zuhörer des Nord-Westdeutschen beziehungsweise des Norddeutschen Rundfunks", sagt Lenz. "Da mein Arbeitgeber eine Anstalt öffentlichen Rechts war, hatte ich nicht mehr zu tun, als auf meinem Stuhl im Glaskasten zu sitzen, die Augen offen zu halten, mitunter zu nicken."
Ironie und vor allem: Wissensdrang - davon stecke viel in seinen Rundfunktexten, erklärt Hans-Ulrich Wagner vom Leibniz-Institut für Medienforschung: "Die Dokumente zeigen einen jungen Intellektuellen, der gerade von der Universität kommt, der sich mit allen Wissenschaften beschäftigt, der unheimlich neugierig ist, das aufgreift und in Hörfunkprogrammen bearbeitet. Er hat für dieses Medium gearbeitet, regelrecht handwerklich gearbeitet, zuverlässig gearbeitet."
Hans-Ulrich Wagners aufwendige Archivrecherche
Wagner hat fünf Jahre lang in vielen Archiven wie beim NDR recherchiert. Lenz hat hier seit den späten 40er-Jahren Tausende von Seiten Text abgeliefert - von Literaturgesprächen bis zu Essays - über Themen, die typisch für ihn wurden: zum Beispiel alles rund ums Wasser. Sein liebstes Hobby wurde im Rundfunk zur Weltsicht:
"Allein vor dem Schilf, du riechst das Kraut und den Kalmus, du hörst die Geräusche, zirpende, knarrende, blubbernde Geräusche. Du spürst immer etwas von Feierabend und deine Gedanken gehen friedlich wie Rauch über das Land." Siegfried Lenz
"Fische sind ein großes Motiv von Siegfried Lenz. Das gesamte Spektrum von Rezensionen, kleinen Features, großen Features und fiktionalen Texten durchzieht das gesamte Werk: Schiffe, Hafen, Seefahrt", sagt Wagner. "Das ist ein Motivkomplex, der in ganz vielen Features vorkommt. Darüber hat er Rezensionen und dann auch Romane geschrieben, 'Die Wracks von Hamburg' zum Beispiel."
Siegfried Lenz: Aus finanziellen Gründen zum Rundfunk
Nach Kriegsende begann der junge Lenz in Hamburg zu studieren, lernte dann Journalist, wollte aber lieber Romane schreiben. Doch er brauchte Geld zum Leben: "Der Rundfunk übernahm hier etwas für den jüngeren Schriftsteller, was man sich nur wünschen konnte, nämlich ich eine durch und durch mäzenatische Funktion", erklärt Hans-Ulrich Wagner.
"Siegfried Lenz hat buchstäblich vom Rundfunk gelebt. Der junge Schriftsteller fängt mit einem Roman an, aber er hat für den Rundfunk geschrieben? Ich kann es nachvollziehen. 95 Prozent seiner Einnahmen waren in den 50er-Jahren Honorare von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Da wird fein säuberlich notiert, in welcher Höhe das Honorar ist. Man sieht hier in der Zusammenfassung, welches Monatseinkommen Siegfried Lenz im Mai 1952 hatte."
Lenz brauchte für seine viele Arbeit bald Hilfe von seiner Frau Liselotte - natürlich vertraglich geregelt. "Siegfried Lenz schreibt in diesem Vertrag, dass seine Frau 80 Pfennige bekommt für jede abgeschriebene Seite Text für den Rundfunk", sagt Wagner "Dieser Vertrag ist toll, weil er nicht nur diese Tatsache festhält, sondern da sind auch Zeichnungen darauf. Man kann sich gut vorstellen, dass das Ehepaar Lenz dabei vielleicht ein Glas Rotwein getrunken hat und einfach voller Freude war."
Eine neue Seite von Siegfried Lenz entdecken
Lenz schrieb auch Hörspiele, die im NDR produziert wurden. Bei dieser Arbeit lernte er viel über die dramatische Verdichtung von Dialogen. Und: Er zeigte sich auch ungewohnt satirisch und scharf, etwa wenn er sozialkritisch über Hamburg urteilte:
"Tor zur Welt. Sie hat eine silberne Seele, diese Stadt: Das ist die Börse." Siegfried Lenz
Sein frühes Drehbuch zu "Inspektor Tondi" bietet mit der Kollision von Gesetz und Mitmenschlichkeit puren Lenz:
"Ja, ja, das wusste ich. Aber wissen Sie auch, warum ich es getan habe, Euer Ehren?"
"Das ist völlig gleichgültig gegenüber dem Gesetz. Ohne Erlaubnis..."
"Erlaubnis. Euer Gnaden, das Fieber kommt auch ohne Erlaubnis, und eine Geburt geschieht ohne Rücksicht auf das Gesetz."
Siegfried Lenz
"Sehr häufig sind Protagonisten und Protagonistinnen in einer Entscheidungssituation. Egal, wie sie sich entscheiden, ist es sozusagen der Konflikt, den sie bestehen müssten. Das kommt im erzählerischen Werk und in sehr viel Hörspielen oder in fiktionalen Sendungen vor", erzählt Wagner.
Eine bislang kaum bekannte Seite von Siegfried Lenz, die jetzt neu zu entdecken ist. "Ich bin vollkommen überzeugt, dass westdeutsche Nachkriegsliteratur nicht ohne die Möglichkeiten hätte entstehen können, die der Rundfunk dem jüngeren Schriftsteller gegeben hat", meint Hans-Ulrich Wagner.