Romane: Wie werden Farben in der Literatur eingesetzt?
20 Millionen Farbtöne kann der Mensch wahrnehmen. Beschreiben lassen die meisten sich nur schwer - und nie objektiv. Wie werden Farben in der Literatur eingesetzt? Die Antwort ist kompliziert: Sie entfalten ihre Magie erst, wenn sie nicht erklärt werden müssen.
Kreidebleich, chamois, erdfahl, gilb, taupe, wachsbleich.
Die Fähigkeit des Menschen, Farben zu sehen, steht im starken Kontrast zu seinem Unvermögen, die Farben akkurat zu beschreiben. Stets muss die Farbe in Beziehung stehen, braucht es Vergleiche, andere Gegenstände oder Stimmungen, um im Kopf des Lesers oder der Leserin Bilder entstehen zu lassen. Denn: Unter "Blau", "Rot" und "Gelb" stellen wir uns mitnichten dasselbe vor.
Orange, Ocker, Braun, schwarz, Lila, Pink, Purpur.
Häufiger Gebrauch von Farbe bei Beschreibung von Äußerlichkeiten
Am häufigsten werden Haar- oder Augenfarben in der Literatur benannt, auch Kleidung, oder die Farbe einer Hauswand, eines Autos, von Schuhen oder einer Handtasche. Dort kann man kaum von der Intention eines Autors, oder einer Autorin sprechen, mit Farben ein Gefühl vermitteln zu wollen.
Anders verhält es sich, wenn Sinneseindrücke mit Farben verschmelzen - wie zum Beispiel in Deniz Utlus Roman "Vaters Meer":
Blau, sich ausweitend. Weiß in Auflösung. Grelles Licht der Unendlichkeit. Der angenehm sommerliche Schmerz in den Augen sanfter Blendung, an einem Strand, wo die Zeit aufhört, wo sie beginnt. Die Hitze auf der Haut, der Brust, dem Kopf. Ein Kind mit grünem Eimer aus den Funken rennend, um den Graben seiner Sandburg zu bewässern. Zitat aus Deniz Utlus Roman "Vaters Meer"
Farben müssen für sich stehen
Lichtblau, Azur, Cyan, Delftblau, Indigo, Türkis.
Die Farben in der Literatur beginnen dann zu leuchten und ihre Magie zu entfalten, wenn sie nicht mehr erklärt werden, wenn also das Haar nicht mehr so schwarz wie Ebenholz ist, wenn eine Farbe nicht mehr, "wie" etwas Vertrautes ist, sondern für sich steht und in eine neue Beziehung gesetzt wird.
Die "Schwarze Milch der Frühe" etwa, von Paul Celan, oder auch die spielerische Gelassenheit, mit der Virginia Woolf ihre Worte in Farben taucht, in "Zum Leuchtturm":
(…) der großartige Teller voll blauen Wassers lag vor ihr; der altersgraue Leuchtturm, fern, streng, mittendrin; und rechts, soweit das Auge reichte, verloren sich und sanken in sanften, flachen Flechten die grünen Sanddünen mit dem wild wehenden Gras, die immerfort davonzulaufen schienen, in irgendein von Menschen unbewohntes Mondland. Zitat aus Virginia Woolf: "Zum Leuchtturm"
Oliv, Apfelgrün, Samtgrün, Maigrün, Grasgrün, Blaugrün, Pistazie.
"Ich schaute mir Winterberg an, und ich wusste, es wird nicht lange dauern. Ich kenne die Farbe des Todes. Sie ist nicht schwarz. Sie ist grau und weiß und blau. Ich kenne die fahlen Gesichter, ich kenne die Augen, die immer tiefer liegen, die Augen, die verlorengehen", schreibt Jaroslav Rudis in seinem Roman "Winterbergs letzte Reise".
Theologische Deutung über Jahrhunderte
Viele Jahrhunderte lang wurden Farben theologisch gedeutet und auch in diesem Bewusstsein in Bild und Schrift verwendet. Das Licht war göttlich und damit die alleinige Ursache für die Schönheit der Farben. Erst die Forschung Isaac Newtons änderte dieses Weltbild. Und natürlich darf Johann Wolfgang Goethe an dieser Stelle nicht fehlen, der mit seiner Farbenlehre einen Übergang von der übersinnlichen- hin zur naturwissenschaftlichen Deutung der Farben beschreibt.
Er weist den Farben Charaktereigenschaften und Emotionen zu. Rotorange etwa steht für die Vernunft, Gelbgrün für den Verstand, Grünblau für die Sinnlichkeit und Violett rot für die Phantasie.
Wenn sich die chinesischen Sophisten vor ca. 2.000 Jahren fragten, ob ein weißes Pferd überhaupt ein Pferd sei, wenn es dort weiter um Vergleiche zwischen dem Weiß des weißen Schnees und dem Weiß des weißen Pferdes ging, dann kann man mutmaßen, dass sich schon vor so langer Zeit die Gelehrten wussten: Farbe ist nicht vergleichbar und die Beschreibung von Farbe verändert alles fundamental.
Alabasterweiß, Beinweiß, Deckweiß, Perlweiß, Wollweiß.
Schlagwörter zu diesem Artikel
Romane
