Zwei Israelflaggen im Wind. © picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

"Über Israel reden": Wo endet Kritik und wo beginnt Antisemitismus?

Stand: 09.03.2023 09:27 Uhr

Meron Mendel ist in Israel geboren und ging als junger Mann nach Deutschland. In seinem neuen Buch "Über Israel reden" arbeitet der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank die hitzige deutsche Debatte über den Nahostkonflikt auf.

Die Wogen schlagen hoch, wenn es um Israel, den Antisemitismus und den Nahostkonflikt geht. Etwa im vergangenen Jahr, als Werke mit antisemitischen Darstellungen bei der Kunstausstellung documenta gezeigt worden sind. In solchen Situationen meldet sich Meron Mendel, der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, gerne zu Wort.

Verständnis für palästinensische Perspektiven

Jetzt hat der studierte Pädagoge und Historiker, der 1976 in Israel geboren wurde und als junger Mann nach Deutschland ging, ein Buch über die hitzigen Nahost-Debatten in Deutschland geschrieben. Gleich zu Beginn macht Mendel klar, wo er selbst im Nahostkonflikt steht: Er setzt sich für einen Ausgleich mit den Palästinensern ein. Mit der neuen rechts-religiösen Regierung entferne sich Israel weiter denn je von einer Friedenslösung, findet Mendel. Er kann nachvollziehen, warum Palästinenser die sogenannte BDS-Kampagne unterstützen. Diese ruft zu einem Boykott Israels auf. "Als Israeli halte ich mich mit Empfehlungen zurück, was Palästinenser sagen dürfen und was nicht", schreibt Mendel. "So falsch ein totaler Boykott Israels auch sein mag: Wäre es nicht eine Anmaßung, Menschen, die unter einem Besatzungsregime leben, zu verbieten, eine solche Forderung zu stellen?"

Die BDS-Bewegung (Boykott, De-Investition und Sanktionen) ist besonders in Deutschland als antisemitisch verschrien. Meron Mendel findet die Mittel der Kampagne falsch. Aber er arbeitet überzeugend heraus, dass es sich bei der Initiative um ein loses Netzwerk mit interpretationsbedürftigen Forderungen handele. Der Generalverdacht des Antisemitismus führe häufig dazu, dass palästinensische Stimmen nicht mehr gehört werden.

Antisemitismus als reales Problem erkennen

Mendel differenziert, benennt aber auch antisemitische Äußerungen klipp und klar - etwa wenn Palästinenserpräsident Mahmud Abbas den Holocaust mit anderen Menschenrechtsverstößen gleichsetzt. "Von 1947 bis zum heutigen Tag hat Israel fünfzig Massaker in fünfzig palästinensischen Dörfern und Städten begangen. Fünfzig Massaker, fünfzig Holocausts", sagte Abbas beim Staatsbesuch in Berlin im August 2022.

Manchmal sind auch Bilder antisemitisch, so wie auf der documenta im vergangenen Jahr, zu der sich Meron Mendel immer wieder öffentlich geäußert hat. Nach solchen Vorfällen beklagen deutsche Politiker oft, dies verletze die "Gefühle" von Jüdinnen und Juden. Das stört den Pädagogen. "Das Problem von Antisemitismus ist nicht die Befindlichkeit von Juden in diesem Land, die um Antisemitismus besorgt sind", sagte er vergangenes Jahr im NDR. "Sondern Antisemitismus ist ein reales Problem von Menschen, die aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert werden, die angegriffen werden, bis hin zu einem Terroranschlag auf eine Synagoge."

"Über Israel reden": Differenzierte Position in Entweder-Oder-Debatte

Die jüngsten Thesen einiger Historiker, Deutschland fixiere sich auf das Gedenken an die ermordeten Jüdinnen und Juden und verdränge dadurch die Opfer der eigenen Kolonialverbrechen, findet Meron Mendel bedenklich. "Es herrscht die Vorstellung, dass vor allem eine Fixierung auf die Shoah die Ursache für die schleppende Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit sei. Das ist ein Trugschluss", sagt Mendel. "Im Kern geht es um den Wunsch, den deutschen Diskurs über Israel zu normalisieren, Israel scharf zu verurteilen, ohne dessen Entstehungsgeschichte mit bedenken zu müssen."

Mendel vertritt eine wohltuend differenzierte Position in einer aufgeregten Dauer-Diskussion. In der hitzigen deutschen Debatte über den Nahostkonflikt wirkt es bisweilen so, als habe man nur die Wahl zwischen Israel-Fanclub oder Palästina-Ultras. Meron Mendel zeigt, dass der Konflikt deutlich komplexer ist. Gerade das macht dieses Buch so lesenswert.

Über Israel reden - Eine deutsche Debatte

von Meron Mendel
Seitenzahl:
224 Seiten
Genre:
Sachbuch
Verlag:
Kiepenheuer&Witsch
Veröffentlichungsdatum:
9. März 2023
Bestellnummer:
978-3-462-00351-2
Preis:
22 Euro €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Matinee | 09.03.2023 | 09:20 Uhr

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Sachbücher

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