Hans Magnus Enzensberger ist tot: Meister der Ironie
Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger ist im Alter von 93 Jahren in München gestorben. Das einstige Mitglied der Gruppe 47 war ein Meister der Ironie - und ein überzeugter Europäer.
"Mit ihm verlieren wir einen unabhängigen Denker, eine streitbare Stimme und einen der renommiertesten Schriftsteller der deutschen Literatur seit 1945", heißt es in einer Pressemeldung des Hanser Verlags, in dem viele Werke Enzensbergers erschienen.
Enzensberger gehörte zur erlauchten Riege der einstigen Gruppe 47, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Literatur der jungen Bundesrepublik - mit Autoren wie Günter Grass, Heinrich Böll oder Martin Walser - nachhaltig prägte. Er veröffentlichte über 100 Prosawerke für Erwachsene und Kinder, Essays, Dramen und Gedichtbände. Außerdem gab er die Buchreihe "Die Andere Bibliothek", das "Kursbuch" und das Kulturmagazin "TransAtlantik" heraus.
Hans Magnus Enzensberger: Aus Nürnberg in die Welt
Geboren 1929 in Kaufbeuren, aufgewachsen in Nürnberg, strebte er früh hinaus aus der provinziellen Enge, aus dem biederen Adenauer-Deutschland. Er zog mit seiner ersten norwegischen Frau an einen Fjord, lebte mit der zweiten russischen in deren Heimat und dann ein Jahr in Kuba, reiste in Indien, Tahiti, Kambodscha, Australien, bevor er zu einem sesshaften Leben in Bayern zurückkehrte, mit der dritten Frau.
Die Vorzüge meiner Frau sind zu zahlreich
für ein Blatt DIN A4.
Sie ist ein Vielzeller mit knisternden Haaren,
die nachts, wenn sie schläft vorzüglich gedeihen.
Jedes Einzelne ist mir lieb.
Mit weichen Stellen ist sie wohl versehen.
Wenn ihre Nüstern ein wenig beben,
dann weiß ich, sie denkt.
Hans Magnus Enzensberger
Zur Ehrenrettung solch chauvinistischer Zeilen sei dem Dichter zugestanden, dass er ein Meister der Ironie war, ein großer Rhetoriker und Provokateur. Hans Magnus Enzensberger musste sich öfter im Leben den Vorwurf gefallen lassen, er habe sich schon wieder selbst widersprochen. Manchmal war er für Europa und manchmal gegen Europa, manchmal für Machtausübung und manchmal dagegen. Die Lust an der Polemik hat ihn jedoch nie verlassen. Auch wenn er mit dem Alter heiterer und weiser geworden ist.
Enzensberger zwischen Machtlosigkeit und Verantwortung
Enzensberger hat sich immer auf seinen Status als Dichter zurückgezogen: jemand, der wie "Der fliegende Robert" - eine Geschichte aus dem "Struwwelpeter" - in den Wolken schwebt und damit weit oberhalb der gewöhnlichen Menschheit. Gleichwohl gehörte Hans Magnus Enzensberger zu jener Schriftstellergeneration, die sich ernsthaft für den Zustand der Welt mitverantwortlich fühlte: "Ich denke, dass es unsinnig ist zu sagen: Ich bin für alles verantwortlich. Ich bin nicht Atlas, der die Welt auf seinen Schultern trägt. Das ist megaloman, das ist eine größenwahnsinnige Vorstellung, dass ich für alles hafte. Wenn jemand auf meine Tochter losgeht, dafür muss ich unmittelbar einstehen. Aber für Afghanistan hafte ich natürlich nur zu einem sehr minimalen Teil."
Die eigene Machtlosigkeit ist für eine Identifikationsfigur der 68er-Studentenbewegung schwer zu akzeptieren. Enzensberger ist einer, der als Heranwachsender vom Krieg kalt erwischt, danach aber erst recht von der Sehnsucht nach geistiger Freiheit und nach der weiten Welt gepackt wurde. Nun ist er im Alter von 93 Jahren gestorben.