"Das Narrenschiff": Christoph Heins Geschichte des DDR-Machtapparats
In seinem neuen Roman "Das Narrenschiff" blickt Christoph Hein einmal mehr zurück auf die DDR. Er schreibt über Angehörige der Elite im Arbeiter- und Bauernstaat, über Funktionäre in gehobenen Positionen - und über ihre Familien.
Sie gehören zu denen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen sozialistischen deutschen Staat aufbauen wollten: der Ökonom Karsten Emser, lange Exilant in Moskau, nun Mitglied im Zentralkomitee der herrschenden Partei. Ebenso der Bergbau-Ingenieur Johannes Goretzka. In sowjetischer Kriegsgefangenschaft - im "Nationalkomitee Freies Deutschland" - fand er, ein Nazi, zum Kommunismus, jetzt träumt er von einer großen Karriere im DDR-Machtapparat.
Beide Genossen sind verantwortlich für eine Politik, mit der freie, unabhängige Geister - darunter auch Christoph Hein - beständig drangsaliert und schikaniert wurden. In der Perspektive seines Romans sind Emser und Goretzka die Narren auf dem Narrenschiff. "Es ist dieses Doppeldeutige", erklärt Hein. "Es sind nicht Verbrecher, sondern Narren, was auch etwas Freundliches hat. Es erzählt von der Hoffnung dieser Leute, dass sie eine unsinnige Hoffnung hatten und scheitern mussten. Aber da schwingt noch ein bisschen Anerkennung für ihre Hoffnung mit."
Geheimrede Chruschtschows als existentieller Kipppunkt
Christoph Hein erzählt am Beispiel der beiden Männer, ihrer Partnerinnen, ihrer Familien und Freunde eine Geschichte der DDR, von der Gründung der Sowjetischen Besatzungszone bis zur Friedlichen Revolution und Wiedervereinigung. Der Schwerpunkt liegt auf den ersten 20 Jahren, der Ära Ulbricht.
Die Wege der Funktionäre gestalten sich unterschiedlich. Emser ist bis zum Ende der DDR Mitglied im Zentralkomitee. Goretzka wiederum, als Ehemann und Familienvater ein Scheusal, fällt aufgrund eigener Ansichten zur Wirtschaftspolitik bei der Partei in Ungnade. Fortan kämpft er verbittert um eine Rehabilitierung. Zum existentiellen Kipppunkt für beide wird die Geheimrede Chruschtschows auf dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei in der Sowjetunion, 1956, das erste Eingeständnis der Verbrechen Stalins. Sie sind fortan mit einer großen Frage konfrontiert: Wie will oder kann man noch Kommunist sein, wenn man weiß, dass im Namen dieser Ideologie furchtbare Gewalt verübt worden ist?
"Die Enthüllungen, die Chruschtschow sehr behutsam vornahm - er hielt sich da sehr zurück -, das war eine riesige Erschütterung für die KPDSU, für die Sowjetunion und für den ganzen sozialistischen Block. Das konnte diese Idee töten", so Hein. "Und das führte auch in der westlichen Welt, wo es zuvor durchaus Anerkennung und Zuneigung für diese Ideen gab, zu Erschütterung und Abkehr. Es war der Punkt, wo der Kalte Krieg vollends verloren war. Und dann hielt sich dieses Gebilde noch ein paar Jahre, bevor es dann ganz zusammenbrach."
Die Ideale der Eltern und die Weitsicht der Kinder
Die Funktionäre halten bis zum Untergang der DDR an ihren Überzeugungen fest, auch wenn zu spüren ist, dass sie mehr und mehr ins Wanken geraten. Ganz anders die nächste Generation, insbesondere Goretzkas Stieftochter Kathinka. Sie, eigentlich das Zentrum im Roman (und inspiriert unter anderem von Christoph Heins Frau Christiane), gerät immer mehr in Distanz zur Welt ihrer Eltern.
"Das war auch etwas sehr Typisches für die DDR, dass diese erste Generation an ihren Idealen festhielt, während die Kinder und die Enkelkinder-Generation sich deutlicher abwandte und sehr viel kritischer als die Eltern und Großeltern die DDR betrachteten", sagt Hein.
Der Weitsicht und dem Realismus einer Romanfigur wie Kathinka steht die ideologische Verbohrtheit der Genossen gegenüber. Diese Narren sind gebrochene und unsympathische Figuren. Der Untergang der DDR fällt für Emser und Goretzka zusammen mit Krankheit und Tod - eine symbolische Überschneidung.
Das Narrenschiff
- Seitenzahl:
- 750 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Suhrkamp
- Veröffentlichungsdatum:
- 28. März 2025
- Bestellnummer:
- 978-3-518-43226-6
- Preis:
- 28 €
