Christoph Heins "Unterm Staub der Zeit": Jugend in Zeiten des Mauerbaus
Wieder erweist er sich Christoph Hein als gewissenhafter Chronist seiner Epoche. Für seinen stark autobiografisch geprägten Roman "Unterm Staub der Zeit" braucht man einen langen Atem.
Der Schriftsteller Christoph Hein ist 1944 in der Nähe von Leipzig geboren und gilt als einer der wichtigsten literarischen Chronisten der DDR. In Westdeutschland wurden seine Texte ebenso anerkannt und viel beachtet wie in der DDR. Sein Roman "Der fremde Freund" etwa war in beiden Teilen Deutschlands erfolgreich, im Westen hatte er den Titel "Drachenblut". In seinem neuen Roman erzählt Hein von einem Jungen, der mit 14 Jahren als Pfarrerssohn in der DDR kein Abitur machen darf und darum von seinen Eltern in ein Schülerheim nach West-Berlin geschickt wird. Hier und in den Ferien von zu Hause aus erlebt er die Zeit des Mauerbaus.
"Unterm Staub der Zeit": Stark autobiografisch geprägt
Christoph Hein hat einmal bekannt, dass für ihn nicht-autobiografisches Schreiben Makulatur sei: "Ich arbeite halt wie alle Autoren in dem Steinbruch, der meine eigene Biografie ist. Und ich gucke in der Biografie herum und nehme den einen oder anderen Stein heraus und behaue ihn dann natürlich. Diese Geschichten sind so pur und direkt nicht eins zu eins abgelaufen, da kommt dann schon der Romancier oder Lyriker oder wie auch immer dazu, der dann versucht, ein kleines Kunstwerk daraus zu machen."
Für seinen wieder stark autobiografisch geprägten neuen Roman "Unterm Staub der Zeit" braucht man einen langen Atem. Es ist eine vollkommen unspektakuläre Schülergeschichte, von der hier erzählt wird, wenn man es mit Robert Musils "Verwirrungen des Zöglings Törleß" oder Friedrich Torbergs "Der Schüler Gerber" vergleicht. Daniel ist ein fleißiger Schüler, er lernt nicht nur tüchtig für die Schule, er hat auch kleine Erwerbsquellen gefunden, um als DDR-Junge im Westen ein bisschen Taschengeld mit Zeitungsverkäufen zu verdienen. Mit dem üblichen Quälgeist der Klasse, den es offenbar weltweit in allen Schulklassen gibt, werden er und seine Kameraden irgendwie auch fertig. Hein beschreibt das in altmodischer Weise, im etwas verstaubten Klang der 60er-Jahre, mit den damals in der Schule noch Ehrfurcht einflößenden Autoritäten und Originalen in der Lehrerschaft, wie etwa der Mathematiklehrer Professor Doktor Bellnitz:
So skurril und schroff Bellnitz auch wirkte, er war wohl der respektierteste Lehrer am Gymnasium. (…) ging (…) kaum auf Verständnisschwierigkeiten ein, beantwortete Anfragen und Einwände nur mit einer knappen Handbewegung oder lediglich mit einem Hinweis auf ein Kapitel im Schulbuch. Leseprobe
Die Wirren der Pubertät
Daniel erlebt kleine Abenteuer, beginnt zu schreiben, verliebt sich und kommt halbwegs unbeschadet durch die Wirren der Pubertät. Erst auf den letzten 30 Seiten nimmt die Schulgeschichte tatsächlich noch Fahrt auf und wird dramatisch. Die Nachricht vom Mauerbau kommt, ein Mitschüler erzählt davon:
"Unsinn, Bert. Was der Kerl im Radio erzählt, das geht gar nicht. In Berlin gibt es hundert Straßen, die von Ost nach West und von West nach Ost führen. Selbst wenn sie die alle sperren, dann gibt es noch unterirdisch die U-Bahn und alle möglichen Kanäle. Dann ist da die Spree, ich brauche nur in einer mondlosen Nacht zweihundert Meter zu schwimmen und bin in Westberlin. Da können sie nichts machen. Und außerdem ist da noch die Grüne Grenze, das sind Hunderte Kilometer, die können sie ja nicht mit Stacheldraht verrammeln. Hunderte von Kilometern, nein, da wird es immer genügend Stellen geben, wo man bei Tag und Nacht rüber spazieren kann."
"Da bin ich mir nicht so sicher."
Leseprobe
Daniel wird seine Abiturprüfung im Westen nicht mehr ablegen können und im DDR-System ist er durch seine westdeutsche Schulzeit sowieso suspekt. Er beginnt eine Buchhändlerlehre. Das hält er zunächst für ein Privileg, bis ihn sein älterer Bruder aufklärt:
"Was meinst du, warum du Buchhändler werden sollst und nicht Tischler? Buchhändler ist ein Frauenberuf, nur die Chefs sind da Männer. Ein schlecht bezahlter Frauenberuf." Leseprobe
Christoph Hein erinnert daran, wie es damals war
Christoph Hein erfüllt den Titel seines Romans "Unterm Staub der Zeit" in der Weise, dass er den Staub des Vergessens, der sich inzwischen angesammelt hat, wegpustet und daran erinnert, wie es damals war. Wieder erweist er sich als gewissenhafter Chronist seiner Epoche.
Unterm Staub der Zeit
- Seitenzahl:
- 220 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Suhrkamp
- Bestellnummer:
- 978-3-518-43112-2
- Preis:
- 24 €