Christoph Hein, einer der erfolgreichsten deutschen Erzähler
Wer verstehen will, was es bedeutete, nach dem Krieg in Deutschland zu leben, noch dazu in der DDR, oder wer einfach gute Geschichten liebt, kommt an seinem Werk nicht vorbei. Nun feiert Hein seinen 80. Geburtstag.
Ein großer Moment im Leben des Christoph Hein: Berlin Alexanderplatz, fünf Tage vor dem Fall der Mauer. Eine halbe Million Menschen auf der Straße. "Es spricht Christoph Hein…", schallt es aus den Lautsprechern. Der aber ist kein Politiker, schon gar kein Demagoge, er ist Schriftsteller, Geschichtenerzähler. "Liebe mündig gewordene Mitbürger, es gibt für uns alle sehr viel zu tun, und wir haben wenig Zeit für diese Arbeit", sagt diese Stimme weiter.
Aufruf zu einer demokratischen Gesellschaft
Ein Geschichtenerzähler mit der Gabe, sich einzufühlen in alle Figuren, die verstrickt sind ins wirre Weltgeschehen. "Ich möchte uns alle an einen alten Mann erinnern, an einen alten und einen jetzt wahrscheinlich sehr einsamen Mann. Ich spreche von Erich Honecker", sagt er weiter dort auf dem Alexander Platz. "Dieser Mann hatte einen Traum. Dann bekam er die Chance, seinen Traum zu verwirklichen. Es war keine gute Chance, denn der besiegte Faschismus und der übermächtige Stalinismus waren dabei die Geburtshelfer. Ich erinnere an diesen alten Mann nur deshalb, um uns zu warnen, dass nicht auch wir jetzt Strukturen schaffen, denen wir eines Tages hilflos ausgeliefert sind. Schaffen wir eine demokratische Gesellschaft!"
In den Westen gegangen, im Osten gefangen
Als Außenseiter ist Hein in der undemokratischen Gesellschaft namens DDR groß geworden, doppelt gestempelt als Flüchtling aus Schlesien und als Sohn eines Pfarrers. Die Diktatur untersagt ihm den Besuch eines Gymnasiums, also geht er nach West-Berlin. Aber ausgerechnet am Tag des Mauerbaus besucht er seine Eltern im Osten und ist also wieder gefangen.
Heins Perspektive als Außenseiter
"Aber diese beständige Außenseiterrolle hat natürlich, zumindest für einen Schriftsteller, einige Vorteile", sagt Hein. Man sei dadurch gezwungen, die Sachen immer von außen zu sehen, zu beobachten, genau hinzugucken, weil man ja gefährdeter sei als andere. "Insofern ist das für die Schulung der Aufmerksamkeit keine ganz schlechte Position", sagt Hein im Rückblick.
Mit Witz und Geschick und dem Einsatz mutiger Verleger gelingt es Christoph Hein, auch in der DDR Bücher zu veröffentlichen, die dann aber auch weit über die engen Grenzen dieses Staates hinaus beachtet und gefeiert werden, "Der fremde Freund" oder "Horns Ende", Texte über die Verkarstung der Seelen in einem Umfeld von Stumpfheit und Überwachung.
Wie lässt sich die Hoffnung bewahren?
Auch in seinen großen Romanen, die er nach dem Ende der DDR schreibt – lakonisch, aufreizend nüchtern und gerade dadurch besonders aufwühlend –, in Büchern wie "Verwirrniss", "Landnahme" oder seinem Meisterwerk "Glückskind mit Vater" wird spürbar, welche Frage Christoph Hein immer umgetrieben hat: Wie bewahrt man in Zeiten der Ödnis und Leere sich und seinen Kindern die Hoffnung?
"Meine Erfolge, die ich in der Welt hatte – ein Buch wie "Der fremde Freund" ist in 40 oder 50 Sprachen übersetzt worden –, halfen mir dann beim Überstehen der DDR. Die Zensur schlug weniger hart zu, so dass ich etwas von diesen Gefühlen den Kindern vermitteln konnte."
Sohn vorm Schriftsteller-Beruf gewarnt
Allerdings: Christoph Heins jüngster Sohn, Jakob Hein - inzwischen selbst renommierter Autor - erinnert sich an eine besonders freiheitseinschränkende Drohung seiner Eltern: Falls er auf seinem Wunsch, hauptberuflich Schriftsteller zu werden, beharren sollte, würden sie seine Füße in Beton gießen und ihn in die Spree werfen.
"Von der Brücke am Berliner Ensemble, glaub‘ ich. Wenn man so zeigt, wie man Mischungen macht und wo die Füße landen, dann glaubt man das eben auch als Kind", erinnert sich Jakob Hein. Das habe ihn schon schwer beeindruckt und dazu bewegt, auch einen anderen, einen anständigen Beruf zu erlernen. "Also hat mich das unter anderem auch dazu auch beflügelt." Kinderpsychiater ist Jakob Hein nämlich außerdem.
Hein und das kindliche Gemüt
Aber auch der Vater hat - in seinem unanständigen Beruf - oft genug bewiesen, dass er was von kindlichen Gemütern versteht, in seinem herrlich verquatschten Buch "Das Wildpferd unterm Kachelofen" oder zuletzt in "Alles, was du brauchst" – an erster Stelle natürlich eine Mutter: "Die Frau, die uns einmal im Arm hielt, die als einzige unseren großen Kummer damals verstand und uns tröstete, ist für den Menschen die wichtigste Person - für jeden Menschen", ist Hein überzeugt.
Wer ihm nun einen Brief schreibt und anmerkt, in diesem Buch fehle aber doch ein Kapitel über den auch nicht ganz unwichtigen Vater - der bekommt es von ihm höchstpersönlich zugeschickt. Aber nicht vergessen, in großen dicken Buchstaben dazuzuschreiben: Herzlichen Glückwunsch, lieber Christoph Hein!