Buchtipps für Weihnachten: Geschenkideen zum Fest
Bücher sind eines der beliebtesten Geschenke zu Weihnachten. Die Literaturredaktion von NDR Kultur hat ihre Empfehlungen zusammengestellt. Zum Verschenken zu Weihnachten oder zum Selberlesen.
Wer Bücher verschenkt, der sagt: Ich halte Dich für einen klugen Menschen, der gern liest. Und das ist schon mal für sich ein Kompliment. Aber welche Bücher kommen als Geschenk in Frage? Hier eine Auswahl der NDR Kultur-Literaturredaktion.
Mischa Kopmann: "Haus in Flammen"
Empfehlung von Jürgen Deppe
Mischa Kopmanns "Haus im Flammen" ist schon im März erschienen, aber entwickelt sich gerade zum Buch der Stunde. Es handelt von drei jungen Klimaaktivisten. Zwei Männern und einer Frau, von denen sich einer, Minnigk, allmählich radikalisiert. Das erinnert an die "Letzte Generation". Dabei war von der noch gar keine Rede als Mischa Kopmann dieses packende Buch über Engagement und Überengagement angesichts der Klimakrise, dem "Haus in Flammen", geschrieben hat. Ein bisschen aktivistisches Jugendbuch, ein bisschen Ménage-à-trois - mit sehr viel existenzialistischem Drive.
Bonos Autobiografie: "Surrender"
Empfehlung von Maren Ahring
Paul David Hewson hat ein Buch geschrieben. Wenn Sie nicht auf Anhieb etwas mit dem Namen anfangen können - Paul David Hewson ist besser bekannt als Bono, Sänger der irischen Rockband U2. Gerade ist seine Autobiografie erschienen. "Surrender" heißt das Buch. Anhand von 40 U2-Songs erzählt Bono Episoden aus seinem Leben, von den verschiedenen Stationen der Band, aber auch von seinen Ängsten und Selbstzweifeln und seinem politischen Engagement. Ein Muss für U2-Fans, aber Bono kann wirklich schreiben. Auch wenn es manchmal mittelschwer pathetisch wird:
"Ohne die Band kann ich die Musik, die ich in meinem Kopf höre, nicht machen. Ohne meine Partnerin kann ich nicht der Mann sein, der ich sein möchte. Ich wachse nur durch die Zusammenarbeit. (...) Wir sind eins, und für den Bruchteil einer Sekunde sind wir dieselben." Zitat aus "Surrender"
"Surrender" von Bono: ein Geschenk für alle, die an Popmusik-Geschichte interessiert sind und ein bisschen mehr über den Menschen Bono erfahren möchten.
Fernando Aramburu: "Die Mauersegler"
Empfehlung von Joachim Dicks
Ich-Erzähler Toni ist fest entschlossen, sich das Leben zu nehmen. Das klingt auf den ersten Blick nicht gerade heiter. Aber bis zu seinem Suizid will er noch ein Jahr lang jeden Tag über sein Leben nachdenken. Und dabei stellt sich heraus, wie sehr er doch am Leben hängt - bei aller Janusköpfigkeit. "Wenn er zur Arbeit geht, dann akzeptiert er die Regel, er arbeitet nicht gern, aber geht dahin und hat ein soziales Leben, wenn auch nicht besonders rosig", sagt Fernando Aramburu. "Er ist eigentlich ein zahmer Bürger. Nur abends, wenn er schreibt, dann hat er keine Hemmung und keine Bremse, weil er glaubt, dass niemand lesen wird, was er da schreibt." Humor hat sich mittlerweile zu einem Markenzeichen bei Aramburu entwickelt. Und das ist schön für uns Leser.
Philip Ardagh: "Bell und Fletsch. Auf falscher Fährte"
Empfehlung von Alexander Solloch
Das Leben ist voller Abenteuer, sie liegen auf der Straße. Nur wissen sie oft gar nichts davon, dass sie welche sind. Bianca Bell und Fletsch gründen ein Detektivbüro und spezialisieren sich auf Alltagskriminalität. Die Fälle allerdings, die sie beflissen lösen, sind im strengeren Sinn gar keine, was dem Leser mit der Zeit und den Detektiven überhaupt nicht klar wird.
"Eines Nachmittags klingelte im Detektivbüro Bell & Fletsch das Telefon. Sie hatten sich sehnlichst gewünscht, dass es klingelte. Sie hatten lange darauf gehofft. Aber als es nun plötzlich klingelte, zuckten Bianca und Fletsch überrascht zusammen. 'Hier ist Frau Klimper', sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. 'Bitte sag deiner Oma, dass ich gleich platze.''" Zitat aus ""Bell und Fletsch. Auf falscher Fährte"
Man muss dazusagen, dass Bianca Bell acht ist und Fletsch ihr kleiner Hund, in dessen Bellen nur sie kriminaltechnisch bedeutsame Hinweise zu erkennen weiß. Mit der fast platzenden Frau Klimper beginnt der erste Fall in der Reihe "Bell & Fletsch ermitteln" von Philip Ardagh - dem großartigsten Rauschebartträger der Kinderliteratur. Am Ende glauben Bell und Fletsch stolz, eine sehr dicke Frau, die sie für Frau Klimper halten, in letzter Sekunde vorm Platzen bewahrt zu haben, obwohl tatsächlich totales Chaos die Folge ihrer Ermittlungen ist. Wie hier aus ureigener Erfahrung berichtet werden kann, lacht sich das Kind, das diese Geschichte hört, und mehr noch sein vorlesender Vater in buchstäblich atemberaubender Manier kaputt; und wie Philip Ardagh das hinbekommt: Das ist pure Magie.
Martin Spieß: "Weit weg von Zuhause"
Empfehlung von Jürgen Deppe.
Im Januar erschienen hat diese durchrüttelnde Roadstory aus der deutschen Provinz leider nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient hat. Der hannoversche Schriftsteller, Musiker und Comedian Martin Spieß schickt die früheren Nachbarskinder Judith und Justus 20 Jahre nach ihrer letzten Begegnung zurück in ihre scheinbar wohlbehütete Vergangenheit, die sich für Judith erst jetzt als keineswegs wohl behütet darstellt. Und er schickt das seinerzeit abrupt getrennte Teenie-Liebespaar auf einen Road-Trip, um das damals geschehene Unrecht heute zu rächen. Aber kann Rache ein geschehenes Unrecht ungeschehen machen? Bleiben dessen Spuren nicht trotzdem? Was also tun: endlich handeln oder weiter tatenlos bleiben? Ich habe das Buch vor mehr als einem dreiviertel Jahr gelesen und kriege jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke - vor allem an den Schluss: Mein Geheimtipp für den Gabentisch!
Markus Gabriel: "Der Mensch als Tier"
Empfehlung von Joachim Dicks
Der Philosoph Markus Gabriel, der uns bereits vor zehn Jahren erklärt hat, "Warum es die Welt nicht gibt" und daraus einen Weltbestseller gemacht hat, veröffentlicht in diesen Tagen sein neues Buch: "Der Mensch als Tier". Keine leichte Kost. Aber wer keine Scheu davor hat, seine Hirnzellen in Schwingung zu versetzen, kommt voll auf seine Kosten. Philosoph-Erzengel Gabriel versucht uns zu erklären, dass es außer uns Menschen gar keine Tiere gibt. Er erläutert, was es mit uns als "Krone der Schöpfung" auf sich hat und warum die allermeisten Probleme - ohne eine Veränderung unseres Blickwinkels auf uns selbst -, nicht zu lösen sind.
Die Schaltzentrale im menschlichen Organismus ist der Geist. Wir sind Tiere, aber unser Tier-Sein ist ein Teil unseres Geist-Seins. Wir sind nicht Amphibien, die aus Körper und Geist bestehen, sondern das ist eine Einheit. Und in dieser Einheit ist aber der Geist das übergeordnete Prinzip. Die Natur ist ein Teil des Geistes, nicht der Geist ein Teil der Natur. [...] Wir müssen den Menschen wieder ins Zentrum der Wirklichkeit stellen. Zitat aus "Der Mensch als Tier"
Und wie geht das? Sich ins Zentrum stellen, ohne sich allzu wichtig zu nehmen? Und was genau bitteschön ist eine "Ethik des Nichtwissens"? Am Ende stehen mehr Fragen als Antworten. Genau das macht den Reiz dieses Buches aus.
Dörte Hansen: "Zur See"
Empfehlung von Jürgen Deppe.
Mein persönliches "Lieblingsbuch des Jahres". Eigentlich ist all den Lobeshymnen, die auf Dörte Hansen und ihren neuen Roman "Zur See" gesungen worden sind, nichts mehr hinzuzufügen. Dieses Buch ist tatsächlich genau so brillant wie alle sagen! Fast ohne Dialoge, fast ohne Handlung schnürt einem diese norddeutsche Inselgeschichte die Luft ab wie ein Schiffstau. Das wird im Hörbuch von Nina Hoss kongenial interpretiert: mal norddeutsch einsilbig und doppelbödig, dann hochmelodiös und hypnotisch. Gedruckt genauso wie von Nina Hoss gesprochen ist "Zur See" von Dörte Hansen ein absolutes Wunderwerk: Mein Lieblingsbuch des Jahres!
Kristina Ohlsson: "Die Tote im Sturm"
Empfehlung von Maren Ahring
In einer stürmischen Nacht an der schwedischen Westküste verschwindet Agnes Eriksson spurlos. In der gleichen Nacht kommt August Strindberg - nein, nicht der Schriftsteller - in dem kleinen Örtchen an. Er hat Stockholm den Rücken gekehrt und will in einem leerstehenden Bestattungsinstitut einen Antiquitätenladen eröffnen. Was Autorin Kristina Ohlsson aus diesem Szenario alles entwickelt, soll hier nicht verraten werden. Klar ist aber: "Die Tote im Sturm" ist eine unbedingte Empfehlung. Vor allem wegen der vielen Facetten des Buchs: Krimi, Familiengeschichte und Dorf-Drama, mit überzeugenden Figuren. Außerdem ist es so gut geschrieben, dass man es gar nicht mehr aus der Hand legen möchte.
"Die Tote im Sturm" von Kristina Ohlsson ist ein dicker, spannender Kriminalroman - der allerdings komplett unblutig und damit auch für zartbesaitete Leser geeignet ist.
"Es handelt sich also um das, was man gemeinhin eine Verrücktheit nennt. Davon hat er schon viele begangen, und wird noch weitere begehen. Er ist, wissentlich Oscar Wilde zitierend, davon überzeugt, dass Verrücktheiten die einzigen Dinge sind, die man niemals bereut." Zitat aus "Die Tote im Sturm"
Hervé Le Tellier: "Ich verliebe mich so leicht"
Empfehlung von Maren Ahring
Ein Mann steigt in Frankreich in ein Flugzeug, um seine Geliebte in Schottland zu besuchen. Klingt romantisch? Ist es aber nicht - denn die Frau möchte eigentlich gar nicht besucht werden. Letztlich nutzt sie den Besuch, um den Mann abzuservieren.
In "Ich verliebe mich so leicht" lässt Hervé Le Tellier seine Hauptfigur, einen namenlosen Helden, ganz subjektiv erzählen - vom Ende einer Liebe, das er durchaus ahnt:
"Er ist immer noch siebzehn. Aber wie viele Jahre noch, großer Gott, wird er siebzehn sein? (...) Ist es ein Zeichen von Stärke, von Schwäche, von Wahnsinn, nicht altern zu können?" Leseprobe aus "Ich verliebe mich so leicht" von Hervé Le Tellier
Nur 112 Seiten ist die Erzählung lang, mit vielen freien Seiten dazwischen - und doch erzählt sie so viel über menschliche Beziehungen. Lakonisch und locker geschrieben vom Franzosen Hervé Le Tellier, der im vergangenen Jahr mit seinem Roman "Die Anomalie" begeisterte.
"Ich verliebe mich so leicht" von Hervé Le Tellier - ein Geschenk für alle, die einfach keine Lust auf schwülstig-kitschige Liebesgeschichten haben.
Hanya Yanagihara: "Zum Paradies"
Empfehlung von Joachim Dicks
Es gibt Romane, die verbessern nicht unbedingt unsere Laune, aber sie fesseln uns, weil sie trotz einer düsteren Stimmung überraschende Erkenntnisse mit spannender Unterhaltung verknüpfen. So kann es einem gehen mit Hanya Yanagiharas bereits im Frühjahr veröffentlichten Roman "Zum Paradies": ein 900-seitiges Roman-Triptychon, in dem die einzelnen Teile auf den ersten Blick nur lose miteinander zusammenhängen. Aber wer weiß schon, was unsere Welt zusammenhält? Die Handlung spielt jeweils hundert Jahre versetzt. Es beginnt 1893, geht dann weiter ins Jahr 1993 bis hin zum Jahr 2094. Ein Haus in New York spielt dabei neben den wechselnden Figuren eine zentrale Rolle. Im letzten, dem Science-Fiction-Part, werden in diesem Haus Strategien für Pandemiebekämpfungen entwickelt.
Manche glaubten, die Wissenschaftler würden an den falschen Lösungen arbeiten. Dann gab es diejenigen, die glaubten, die Wissenschaftler würden die Krankheiten im Labor erschaffen, weil sie bestimmte Arten von Menschen ausrotten oder dem Staat helfen wollten, die Kontrolle über die Menschen zu behalten. Und das waren die gefährlichsten von allen. Zitat aus "Zum Paradies"
Was wie ein Kommentar zur Gegenwart klingt, hat die US-amerikanische Autorin lange vor der Corona-Zeit geschrieben. Was sie uns vorhersagt, ist nichts Geringeres als ein Jahrhundert voller Pandemien, die unser freiheitliches Lebenskonzept komplett aus den Angeln heben. Bedrohlich und fesselnd zugleich ist dieses Buch.
Claudia Ott: "Tausendundeine Nacht. Das Buch der Liebe"
Empfehlung von Alexander Solloch
Ganz verzaubert fühlt man sich ja schon, wenn Claudia Ott einem berichtet, auf welch abenteuerliche Weise sie an ältestmögliche Handschriften mit Erzählungen aus "Tausendundeiner Nacht" gelangt, um sie dann erstmals ins Deutsche zu übersetzen. Aber auch ohne die Erläuterungen der in Niedersachsen lebenden Arabistin kann man seine helle Freude an ihrem neuesten Werk, dem "Buch der Liebe", vor allem auch am Hör-"Buch der Liebe" haben.
Claudia Ott selbst und der aus Iran stammende Schauspieler Omid-Paul Eftekhari erzählen mit Sinn und Sinnlichkeit, aber auch sehr kraftstrotzend von der Macht der Schönheit und davon, was passiert, wenn wir ihr erliegen - wir Menschen oder auch, wie in der Geschichte von Kamarassaman und Budur, die herumschwirrenden Geisterwesen:
"'Sie lebt jetzt schon ein ganzes Jahr von der Außenwelt abgeschirmt', schloss der Ifrit seinen Bericht. 'Ich gehe jede Nacht zu ihr, betrachte sie und sehe mich satt an ihrer Schönheit. Ich beschwöre dich, meine Herrin, komm mit mir dorthin, schaue dir ihre Schönheit mit deinen eigenen Augen an, dann wird dir klar werden, ob ich die Wahrheit spreche oder lüge.' Maimuna lachte lauthals glucksend. 'So eine Erscheinung bringt dich also in Erregung!', spottete sie. 'Wer ist sie schon, diese Pinkelflasche? Pfui, pfui!'" Ausschnitt aus Hörbuch "Tausendundeine Nacht. Das Buch der Liebe" von Claudia Ott
Ja, hier wird unentwegt gelästert und gelitten, vor allem aber geschwärmt und schließlich auch, nach vielen Umwegen, hingebungsvoll geliebt.
"Da erreichte das Morgengrauen Schahrasad, und sie hörte auf zu erzählen. 'Ach, Schwester!', seufzte Dinarasad. 'Wie köstlich und wie aufregend ist deine Geschichte!' - 'Was ist das schon', erwiderte sie, 'gegen das, was ich euch morgen Nacht erzählen werde, wenn ich dann noch lebe. Das wird noch spannender, noch aufregender und noch viel schöner sein!'" Ausschnitt aus Hörbuch "Tausendundeine Nacht. Das Buch der Liebe" von Claudia Ott
Ian Kershaw: "Der Mensch und die Macht"
Empfehlung von Alexander Solloch
Nicht in erster Linie schön, aber auf jeden Fall sehr aufregend und spannend ist "Der Mensch und die Macht", das neueste Buch von Ian Kershaw, einem der international berühmtesten Historiker. Was passiert, wenn ein bestimmter Mensch in einer bestimmten Zeit unter bestimmten Umständen an die Macht gelangt - dieser Frage geht Kershaw am Beispiel prägender Figuren des 20. Jahrhunderts nach. Hitler natürlich und Stalin, aber zum Beispiel auch Helmut Kohl, Margaret Thatcher und Konrad Adenauer.
Faszinierend, wenn Kershaw sich - mit verschmitzter Freude am gelegentlichen geschichtswissenschaftlichen Regelverstoß - immer mal wieder fragt: "Was wäre gewesen, wenn...?" Zum Beispiel wenn im Mai 1940, also in größter Not, nicht Winston Churchill, sondern jemand anders britischer Premier geworden wäre? "Historiker müssen mit solchen Gedankenspielen arbeiten, so oder so. Wenn man keine Gedankenspiele macht - ist dann die Geschichte eine Einbahnstraße? Und übrigens: Churchill wurde von drei Personen in einer halben Stunde zum Premierminister ernannt. Kürzlich hatten wir eine Kampagne von sechs Wochen, und das Ergebnis war Liz Truss", sagt Ian Kershaw.