Roman "Sonnenhang": Eine Frau sucht nach dem Sinn des Lebens
Aufrichtig und kompromisslos schreibt Kathrin Weßling in "Sonnenhang" über das Nicht-mehr-jung-Sein, zerbrochene Lebensträume und darüber, dass man manchmal an den ungewöhnlichsten Orten Freundschaft findet.
Die Ärztin räuspert sich schließlich und sagt den Satz, der alles verändern wird: "Ich habe leider nicht so gute Neuigkeiten für Sie." Zwanzig Minuten später steht Katharina vor dem Behandlungszimmer, das Herz, es rast, es mischt sich mit dem Pochen des Echokardiogramms, sie geht betäubt am Tresen der MFA vorbei, sie sagt nicht Tschüss, sie geht einfach weiter und erst als sie auf der Straße steht, kommen die Tränen und das Herz, es pocht nicht mehr, es steht einfach still. Leseprobe
Katharina ist Single, Ende 30, in Berlin. Die meisten ihrer Freundinnen haben oder bekommen Kinder, und auch sie wird eine gute Mutter sein, glaubt sie - bis zu dieser Diagnose.
"(..) ein scheiß großes Myom, das ist so riesig, dass man das nur entfernen kann, wenn man die Gebärmutter rausnimmt, herzlichen Glückwunsch an mich, oder?" Leseprobe
Von ihrem Lebensentwurf als Mutter muss Katharina sich verabschieden. Das bringt ihren ganzen Selbstwert ins Wanken.
Wieviel Frau war sie jetzt noch? Würde sie so überhaupt noch ein Mann haben wollen? Sollte sie das in ihr Dating-Profil schreiben? "Katharina, jede Menge schlechter Witze, aber dafür keinen Uterus!" Leseprobe
Neuer Lebenssinn in der Seniorenresidenz
Was bedeutet ein unerfüllter Kinderwunsch für eine Frau? Darüber zu schreiben, war ein großes Anliegen für Kathrin Weßling: "Mir ist vor allem in den letzten Jahren aufgefallen, dass es immer häufiger Frauen gibt, die sagen, ich bin gewollt kinderlos. Aber was ich wenig sehe, sind Frauen, die sagen, ich bin ungewollt kinderlos, weil das, glaube ich, der größte Makel ist, der auch mit viel Scham behaftet ist."
Die Autorin schreibt immer wieder über fundamentale Lebenskrisen. Aber im Gegensatz zu den Protagonist*innen in den Vorgänger-Büchern wird Katharina nicht bitter, nicht böse, sie verletzt und belügt nicht sich selbst oder ihre Mitmenschen. Stattdessen sucht sie nach einem neuen Sinn für ihr Dasein. Und findet ihn in einem Ehrenamt, in der titelgebenden Seniorenresidenz "Sonnenhang". Was für die oft sympathisch-bärbeißigen Residenzbewohner Zwangsgemeinschaft bedeutet, wird für Katharina zur Wahlfamilie.
Nach einer tiefen Trauerphase erlebt sie hier wenigstens kurze Momente der Unbeschwertheit. Zum Beispiel dann, wenn sie sich mit den Sonnenhang-Bewohnern Manni und Margot heimlich Pfeffi und Prosecco genehmigt.
Kathrin Weßling zeigt sich von ihrer witzigen Seite
Kathrin Weßling hat sich vom "Ich" verabschiedet und schreibt erstmals aus der auktorialen Perspektive - sie ist im neuen Buch auch so weit wie nie zuvor von ihrer eigenen Biografie entfernt. Schreibt nicht mit gebrochenem Herzen über Liebeskummer wie in "Nix passiert" oder über eine junge Frau mit Depressionen, während sie mit besagter Diagnose in der Psychiatrie behandelt wird - wie in "Drüberleben".
"Sonnenhang" verströmt auch mehr Leichtigkeit als Weßlings vorherige Bücher. Hier kann sie sogar endlich ihre witzige Seite zeigen. Es gibt schwarzen Humor über kranke Körper, Alter und Tod - Pointen, bei denen das Lachen im Halse stecken bleibt. Aber eben auch ausbüchsende Alpakas und furzende Katzen, schrullige Omis und einen Ex-Freund namens Schnittlauch. Damit mag "Sonnenhang" zwar Kathrin Weßlings fiktionalstes Projekt sein, im Tonfall aber unverfälschter denn je. "In mir herrscht ganz viel Schwere, ich habe ganz viel Scheiße in meinem Leben erlebt. Aber ich bin gesegnet mit einer humorvollen Leichtigkeit, die mir hilft, da durchzugehen."
Sonnenhang
- Seitenzahl:
- 224 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Rowohlt
- Bestellnummer:
- 978-3-498-00391-3
- Preis:
- 23 €