Buchcover: Michael Köhlmeier, "Die Verdorbenen" © Hanser

Roman "Die Verdorbenen": Michael Köhlmeier erkundet das Böse

Stand: 29.01.2025 06:00 Uhr

Bereits in seinen jüngeren Vorgängerwerken hat sich Der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier intensiv mit der Natur des Bösen auseinandergesetzt - in "Die Verdorbenen" setzt er es fort.

von Martin Maria Schwarz, HR

Johann, der Ich-Erzähler, kommt Anfang der 70er-Jahre zum Studieren nach Marburg. Er will Dichter werden, schreibt sich dann für Politik und Germanistik ein. Unter seinen Kommilitonen trifft er auf das Paar Christiane und Tommi. Ohne dass es dafür eine Vorgeschichte gibt, beschließt Christiane fortan mit Johann zusammen sein zu wollen, der sich, ohne verliebt zu sein, darauf einlässt. Ohne dass wiederum Tommi sich von dem Leben dieser beiden zurückzieht, woraus sich eine fatale Dreieicks-Liaison entwickelt. Das ist der für sich selbst schon seltsame Handlungskern, auf dem aber schon früh ein beklemmender Schatten zu liegen kommt, als sich nämlich Johann an eine Unterhaltung mit seinem Vater erinnert:

Einmal, da war ich sechs Jahre alt gewesen und am Beginn der Schule, hatte er mich gefragt: "Was ist ein Wunsch für dein ganzen Leben? Überleg es dir gut, morgen frage ich dich noch einmal." Ich hätte es ihm gleich sagen können, aber es war etwas, das man nicht sagen, nur denken darf, so viel wusste ich bereits von der Welt. Die Antwort hätte gelautet: Einmal in meinem Leben möchte ich einen Mann töten. Leseprobe

Man muss dazu wissen, dass Johann aus der Sicht eines älteren Mannes auf seine, offenbar von viel Schuld belastete Vergangenheit zurückschaut. Und so erschließt sich schnell, dass sich diese Geschichte aus der Kindheit orakelhaft erfüllen wird. Dabei wird nicht nur ein Mensch getötet werden.

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Töten nur um des Tötens willen

Dazwischen erzählt Johann minutiös vom müßigen Studentenleben in der linken Uni-Stadt Marburg der frühen 70er, entlarvt nebenbei, wie viele Studenten sich den revolutionären Geist dieser Zeit als Pose aneigneten, berichtet von Besuchen, die er seinen Eltern in Österreich abstattet, von dem immer bizarrer werdenden Zusammenspiel mit Tommie und Christiane. Und dann ohne jede Scham davon, wie er eines Tages seinen Eltern eine ordentliche Summe Geld stiehlt, ohne ein Ziel damit zu verfolgen. Und von einem fatalen Ausflug nach Belgien, nach Ostende. Was ist das für eine Geschichte?

Nun, Michael Köhlmeier hat sich bereits in seinen jüngeren Vorgängerwerken intensiv mit der Natur des Bösen auseinandergesetzt und setzt es hier fort, fahndet nach der Gestalt, die das Böse in der Moderne angenommen hat. Er findet es in Verhaltensformen von Menschen, die nicht kausal oder logisch erklärbar sind, in denen getötet wird nur um des Tötens willen. Und wo die seelische Deformation auch in Form von Gewissen- und Empfindungslosigkeit und kapitaler innerer Leere ihren Ausdruck findet, wo ein Leben nur vorgetäuscht, aber nicht mehr erlebt wird. Das verbindet auf fatale Weise Johann mit Christiane:

Eine Vorahnung sagte: Du wirst schlecht aussteigen. Du wirst dich verfluchen, wenn du sie nimmst. Und sie wird dich verfluchen. Ihr werdet euch selbst und einander verfluchen. In diesem Gedanken war viel Melodram, und Melodram lockt. Weil Melodram Fantasie ist, sehnsuchtsvolle Illusion, Roman. Leseprobe

 

Von Geburt an böse

Es liegt auf der Hand, dass Michael Köhlmeiers Figuren Personifikationen des Bösen sind. Mit der bestürzenden Begleiterscheinung, dass sie - aus der Sicht des Autors - sich nicht dahin entwickelt haben, sondern von Anfang so sind. Nichts anderes wird in der Szene deutlich, als sich Johann in Marburg der Polizei stellt für eine Bluttat, die er nicht begangen hat - und durchschaut wird:

"Ich will damit sagen, dass deine einfältigen Lügen nicht ausreichen, um mich zu rühren. Verdorben und zugleich unschuldig, so einer bist du. Und das wird immer so bleiben durch dein ganzes Leben. Ich denke mir das so: Du bist verdorben auf die Welt gekommen. Ein verdorbener Mensch und dennoch unschuldig. Das gibt es. Aber es klingt interessanter, als es ist. Du bist kein Held der Liebe. Solche sind immer irgendwie schuldig. Du aber bist ein durch und durch und von allem Anfang bis in Ewigkeit Unschuldiger, und das ist fürwahr das Widerlichste, wozu es ein Mensch bringen kann. Leseprobe

Warum schreibt Michael Köhlmeier autofiktional?

Michael Köhlmeier hat eine philosophische Erzählung geschrieben. Das Großartige dabei ist: Man merkt es ihr nicht an. Seine sprachliche Meisterschaft lässt alles einfach erscheinen, sein Stil beschert einen flotten Erzählfluss, und Leser und Leserin bekommen eine so spannend wie unheimliche Geschichte geboten. Aber in diesem sich so griffig anfühlendem Textgewebe steckt ein dunkles Unterfutter, das unter anderem die verabredeten Grundlagen unserer Zivilisation infrage stellt. Das ist fantastisch gemacht.

Vor allem aber stellt sich ein Rätsel: Warum hat Michael Köhlmeier seinem menschlich so zweifelhaften Protagonisten einen guten Teil seiner eigenen Biografie gegeben? Das Studium in Marburg, die Ortskenntnis, die hier nahezu akribisch ausgespielt wird, die Studiumsfächer, die Liebe zur Gitarre, um nur ein paar Beispiele zu nennen - das alles vereint den Autor mit seiner Hauptfigur Johann. Macht Michael Köhlmeier das, weil autofiktional gerade populär ist? Das hat ein Schriftsteller seines Formats gar nicht nötig. Eine schlüssige Antwort darauf kann aber nur der Autor selbst geben.

Die Verdorbenen

von Michael Köhlmeier
Seitenzahl:
160 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Hanser
Bestellnummer:
978-3-446-28250-6
Preis:
23 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 29.01.2025 | 12:40 Uhr

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