Nach Herrenberg-Urteil: "Musikunterricht in Deutschland stark bedroht"
Wird privater Musikunterricht zum Luxusgut? Diese Frage hat der Deutsche Musikrat bei einer Tagung in Berlin diskutiert. Ein Gespräch mit Ludger Vollmer, Präsident des Landesmusikrates Hamburg.
Wie kann man junge Menschen für Musik begeistern? Um diese Frage sollte es eigentlich in den Musikschulen gehen. Stattdessen geht es aber immer häufiger um die Frage: Wie um alles in der Welt sollen wir das alles noch stemmen? Nach dem Herrenberg-Urteil müssen Lehrerinnen und Lehrer festangestellt werden. Zudem steht die Forderung nach Honoraruntergrenzen im Raum. Und schließlich könnten zu alldem noch mal 19 Prozent bei diesen Honoraren obendrauf kommen, wenn womöglich die Umsatzsteuerbefreiung für Musiklehrerinnen und -lehrer wegfällt.
Herr Vollmer, machen Sie sich aktuell Sorgen um die Musikschulen in Deutschland?
Ludger Vollmer: Ja, wir machen uns als Landesmusikräte und auch im Deutschen Musikrat große Sorgen, weil sich in den letzten Monaten herausgestellt hat, dass es Rechtsunsicherheiten gibt, die dazu führen können, dass nicht nur der Musikunterricht, sondern auch die freien Musikszenen in Deutschland stark bedroht sind.
Das Herrenberg-Urteil, nach dem Musikschulen ihre Lehrerinnen und Lehrer fest anstellen müssen, sodass die nicht im Verdacht sind, scheinselbständig zu sein, ist eigentlich ein Einzelfall-Urteil. Aber was hat das für eine Lawine ausgelöst?
Vollmer: Dieses Urteil führte dazu, dass die Rentenversicherung Statusfeststellungsbescheide an viele Honorarangestellte, Musikerinnen und Musiker und an viele private wie auch öffentliche Musikschulen verschickte und in diesen Bescheiden bescheinigte, dass dieser scheinbar selbständige Mitarbeiter eigentlich abhängig beschäftigt ist, weil er der Weisungsbefugnis der Musikschule und anderen Kriterien unterliegt. Das führte dann dazu, dass im ganzen Land lawinenartig Statusfeststellungsbescheide verschickt wurden und damit einhergehend Nachzahlungsforderungen von Einzahlungen in die Rentenkasse. Das führt wiederum zu Insolvenzen und zu vielen anderen Dingen, die unsere Bildungslandschaft massiv bedrohen.
Wenn aber das Ergebnis des Ganzen ist, dass diese Menschen alle festangestellt werden, könnte man doch damit zufrieden sein. Doch das stimmt auch wieder nicht, weil ganz viele von diesen Lehrerinnen und Lehrern gar nicht festangestellt werden wollen, richtig?
Vollmer: Das ist vollkommen richtig. Und das Problem ist: Wir als Landesmusikräte sind nicht nur für die Bildungslandschaft zuständig, sondern auch für die Biotope von musikalischen Szenen. Sehr viele Musiker*innen gehen auf Tour, machen Konzertreisen, brauchen diese Freiheit unbedingt, finanzieren sich aber durch das Unterrichten. Das ist das Berufsmodell von Tausenden von Musiker*innen, welches zurzeit massiv infrage gestellt wird.
Sie haben über diese Fragen am Wochenende bei einer Musikratstagung in Berlin diskutiert. Haben Sie Lösungen gefunden?
Vollmer: Der Bundesverband der öffentlichen Musikschulen (VdM) besteht darauf, dass jede Lehrkraft festangestellt werden muss. Die privaten Musikschulen können das finanziell nicht leisten, weil sie öffentlich nicht gefördert werden, und haben das Modell der Honorarverträge mit soloselbständigen Lehrern. Wir als Landesmusikräte haben aber festgestellt, dass die wenigsten Budgets von Ländern in der Lage sind, ihre öffentlichen Musikschulen so zu fördern, dass alle Lehrer*innen, die dort beschäftigt sind, festangestellt werden können. In Frankfurt an der Oder zum Beispiel wurden alle Lehrer*innen festangestellt, und das Ergebnis ist, dass das Budget gerissen ist und zum Januar des kommenden Jahres dort festangestellte Lehrer wieder entlassen werden müssen. Das ist ein GAU, den wir so nicht zulassen können. Der VdM setzt sich also für hundertprozentige Festanstellung ein - die anderen Berufsverbände sagen aber: Wir müssen einen Rahmen haben, um Honorarverträge rechtskonform zu gestalten. Das ist das Problem, über das wir jetzt ringen.
Die Musikschulen stehen offensichtlich sehr unter Druck. Ein anderer Aspekt ist, dass sie womöglich bald mehr Steuern zahlen müssen, und jetzt kommen Sie als Musikrat noch mit der Forderung dazu, dass es Honoraruntergrenzen geben soll. Löst das auf der Musikschul-Seite nicht irgendwann aus, dass die denken: Was sollen wir denn noch alles schultern?
Vollmer: Ja, genau, das ist das Problem. Die Forderung des Deutschen Musikrates für eine Honoraruntergrenze von 54 Euro pro 45 Minuten begrüßen wir als Musikrat Hamburg sehr. Allerdings muss das auch realisierbar sein. Wir können nicht nur diese Honoraruntergrenze verlangen, sondern es muss dann auch eine staatliche Förderstruktur für private Musikschulen geben, denn sonst kann das nicht geleistet werden. Das ist eine gute Forderung, aber es ist noch nicht geklärt worden, ob das überhaupt umgesetzt werden kann.
Das Gespräch führte Jan Wiedemann.
In einer früheren Version des Interviews hatte Ludger Vollmer auf die zweite Frage geantwortet: "Dieses Urteil führte dazu, dass die Rentenversicherung Statusfeststellungsbescheide an viele Honorarangestellte, Musikerinnen und Musiker und an viele private wie auch öffentliche Musikschulen verschickte und in diesen Bescheiden bescheinigte, dass dieser scheinbar freie Mitarbeiter eigentlich selbständig ist, weil er der Weisungsbefugnis der Musikschule und anderen Kriterien unterliegt." Am 22. Oktober 2024 bat Ludger Vollmer uns, wegen einer missverständlichen Formulierung einen Nebensatz zu korrigieren. Nun heißt es, "...dass dieser scheinbar selbständige Mitarbeiter eigentlich abhängig beschäftigt ist". Wir bitten diese Ungenauigkeit zu entschuldigen.