Musikschulen in Schleswig-Holstein bangen um ihre Existenz
Wegen verschärfter Kriterien können Musikschulen ihre Dozenten eigentlich nur noch festangestellt beschäftigen. Die meisten können sich das aber nicht leisten, zudem drohen Nachzahlungen von Sozialbeiträgen. Der Musikschulverband fordert mehr Geld vom Land.
Normalerweise, sagt Daniel Schröder, sitzt er von seinen Schülern immer ein paar Meter entfernt. "Während Corona war das Pflicht, aber es hat sich auch für viele als positiv herausgestellt, weil sie sich freier fühlen und mehr Entfaltungsraum haben", erklärt der 46-Jährige, der Dozent an der Musikschule in Glückstadt (Kreis Steinburg) ist.
Klara Schönrock ist heute erst zum dritten Mal hier und sitzt deshalb noch direkt neben Schröder, denn anfangs gehe es erst einmal darum, sich kennenzulernen, eine Beziehung aufzubauen. Die 17-Jährige spielt Klarinette, seitdem sie neun Jahre alt ist. Sie ist fortgeschritten, das hört man schnell an den Klezmer-Klängen, die sie ihrem Instrument entlockt - "Miserlou" von Mike Curtis, in der Duett-Variante. Sie spielt eine Stimme, Schröder begleitet mit der anderen, gibt Impulse, die die 17-Jährige aufnimmt. Man merkt, wie die beiden mit der Zeit einen gemeinsamen Rhythmus finden, einen "Herzschlag", wie Schröder sagt.
Klara Schönrock kommt nicht aus Glückstadt, sondern aus Itzehoe. Dort besucht sie ebenfalls eine Musikschule - von Schröder erhofft sie sich eine weitere Sicht auf ihr Instrument. "Zum Beispiel gibt es viele Möglichkeiten, die einzelnen Töne der Klarinette miteinander zu verbinden", sagt sie. "Und auch, ihnen einen bestimmten Charakter zu verleihen." Daniel Schröder spricht von Stilistiken, bei denen man vom Notentext abweicht, sie anders interpretiert - je nachdem, was für ein Musikertyp man sei. Es sind vermeintliche Details, an denen Klara Schönrock mit ihren Lehrern arbeitet.
"Herrenberg-Urteil" bedroht Musikschulen
Möglich, dass es davon bald weniger geben wird. Denn ein großer Teil der Dozenten und Dozentinnen ist selbstständig auf Honorarbasis an den Schulen beschäftigt - und dürfte zunehmend als scheinselbständig gelten. Grund dafür ist ein Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2022. Auf dessen Grundlage verschärften die Sozialversicherungsträger, also zum Beispiel die Rentenversicherung, in den vergangenen Monaten ihre Bewertungskriterien für den Selbstständigenstatus.
"Das sogenante Herrenberg-Urteil ist zwar eine Einzelfallentscheidung, aber es führt Kriterien auf, die auf so ziemlich alle Lehrkräfte zutreffen, die regelmäßig und langfristig an öffentlichen Musikschule unterrichten", sagt Musikschullehrer Rainer Engelmann. "Zum Beispiel zeitliche und räumliche Vorgaben, die oft notwendig sind für den Ablauf in der Schule, oder auch die kostenfreie Nutzung von Instrumenten sowie das Melden eines krankheitsbedingten Unterrichtsausfalls."
Öffentliche Musikschulen besonders betroffen
Engelmann leitet die Kieler Musikschule und ist Vorsitzender des Musikschulverbandes Schleswig-Holstein, der die 22 öffentlichen Musikschulen im Land vertritt. Zwar betrifft die aktuelle Entwicklung auch private Musikschulen. Öffentliche Einrichtungen aber in besonderem Maße, auch weil hinter der Mehrheit von ihnen Vereine als Träger stehen. Auch städtische oder von Stiftungen getragene Einrichtungen gibt es. Statt eines Geschäftsmodells, das in der Regel auf Gewinn ausgerichtet ist, haben sie einen öffentlichen Auftrag.
Rainer Engelmann spricht von einer akuten Risikolage: "Es ist zu befürchten, dass nach Betriebsprüfungen und Statusfeststellungsverfahren jetzt hohe Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen geltend gemacht werden könnten, für die es bei den meisten Schulen keinerlei Rücklagen gibt", so Engelmann. Hinzu kämen die Kosten für Festanstellungen, die nun in vielen Fällen notwendig werden - und die die Musikschulen sich nicht leisten können.
Schulleiter Matthias Kulcke: "Totale Unsicherheit"
Auch die Schule in Glückstadt ist von einem Verein getragen. Schulleiter Matthias Kulcke nimmt im Treppenhaus gerade Werbung eines vergangenen Konzerts ab, dann bittet er in sein Büro, in dem er gerade viel Zeit damit verbringt, Honorarverträge zu checken. Vor der Tür sind Kinder zu hören, die auf ihren Gesangs- und Instrumentenunterricht warten. Gut 350 Kinder, Jugendliche und Erwachsene lernen an der Glückstädter Musikschule.
"Wir leben hier in einer totalen Unsicherheit", sagt Kulcke. In diesem Jahr könnte der Status seiner Dozenten erneut geprüft werden, das letzte Verfahren ist vier Jahre her. "Es wäre der Super-GAU, wenn unsere Honorarkräfte als scheinselbständig und damit als sozialversicherungspflichtig gelten würden und wir für diese Zeit Beiträge nachzahlen müssten. Wahrscheinlich wäre es das Ende unserer Schule", so Kulcke.
Höhere Gebühren kaum möglich
20 Dozentinnen und Dozenten arbeiten an der Musikschule Glückstadt, nur fünf von ihnen sind festangestellt. Das entspricht laut Rainer Engelmann ungefähr dem Landesschnitt, auch wenn das Verhältnis von Honoar- und festen Kräften von Schule zu Schule sehr unterschiedlich sein kann. "Im vergangenen Jahr haben wir glücklicherweise eine neue Stelle schaffen können", sagt Schulleiter Kulcke.
Für mehr feste Stellen reichten die Mittel nicht - um 30 Prozent würden die Ausgaben steigen, würde er alle Kräfte fest beschäftigen, rechnet der Leiter vor. Dafür Gebühren zu erhöhen, sei kaum möglich: "Wir finanzieren uns bereits zu gut 60 Prozent aus Beiträgen, die schon relativ hoch sind und dem Auftrag öffentlicher Musikschulen damit eigentlich zuwiderlaufen", erklärt Kulcke. Der bestehe schließlich darin, möglichst allen Kindern Musikunterricht zu ermöglichen.
Verband fordert mehr Geld vom Land
Dieses Dilemma besteht nicht nur in Glückstadt, sondern landesweit: "Seit Jahrzehnten gibt es eigentlich die Übereinkunft von Bund und Ländern, dass die Beiträge in öffentlichen Musikschulen nur ein Drittel der Einnahmen ausmachen und die restlichen Gelder sich auf Kommune, Kreis und Land verteilen sollten", erklärt Rainer Engelmann. In Wirklichkeit trage vor allem das Land aber kaum zur Finanzierung bei - sein Anteil liege lediglich bei ungefähr fünf Prozent.
Entsprechend fordert der Musikschulverband die Landespolitik auf, ihren Anteil auf das angestrebte Drittel zu erhöhen. "Dann wären Festanstellungen möglich, die wir grundsätzlich auch begrüßen, weil die Schulen damit ihren Dozenten und Dozentinnen wirkliche Perspektiven bieten könnten", sagt Engelmann.
Bildungsministerium: Kurzfristig nicht mehr Mittel
Das zuständige Bildungs- und Kultusministerium antwortet auf NDR Anfrage, dass die tatsächlichen Folgen des Urteils aus seiner Sicht noch nicht in Gänze abzuschätzen sind. Gleichwohl befasse man sich mit dem Thema. Kurzfristige Mittelerhöhungen seien aufgrund der aktuellen Haushaltslage aber nicht umsetzbar.
Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hatte sich in der Vergangenheit für ein "Musikschulfördergesetz" stark gemacht, das auch im Koalitionsvertrag der Regierung steht. Ziel sei dabei auch, die Kooperation zwischen Musik- und allgemeinbildenden Schulen zu verbessern - ein Punkt, den Rainer Engelmann vor allem auch im Hinblick auf den Ausbau des offenen Ganztags bis 2026 an Grundschulen betont. Er sieht derzeit stattdessen die Gefahr, dass das Musikschulangebot gerade in der Fläche "zerbrösele", wenn es nicht bald Lösungen gebe.
Das Kultusministerium teilt dazu mit, es sei weiterhin das Ziel der Landesregierung, das Musikschulfördergesetz in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.
Musikschullehrer: Festanstellung auch Wertschätzung
Lehrer Daniel Schröder gehört zu den wenigen festangestellten Kräften an der Musikschule Glückstadt. Seit 2008 arbeitet er für die Einrichtung, bis 2014 als Honorarkraft. Sein reiner Verdienst falle durch die Festanstellung zwar geringer aus, die soziale Absicherung sei aber größer. "Die feste Stelle hat für mich aber auch viel mit Wertschätzung zu tun", sagt Schröder. Ganz abgesehen davon, dass er damit auch einen festen Raum habe, sich dort einrichten und auch eigene Instrumente lagern könne. "Er ist wie ein Wohnzimmer für mich", sagt Schröder.
In diesem Wohnzimmer sitzt er neben Klara Schönrock und spielt mit die Klezmer-Musik von Mike Curtis. Die 17-Jährige zeigt heute wenig Schwächen, nur bei zwei Umspielungen des eigentlichen Melodietons weiß sie nicht so recht, wie sie greifen soll. Sie wird mit Daniel Schröder in den kommenden Stunden daran arbeiten - und hofft, davon noch viele zu haben.