Urteil: Haushalt 2024 in SH verfassungswidrig
Die schwarz-grüne Koalition hatte die Aufnahme von Notkrediten im Haushalt 2024 mit drei Krisen begründet. Dagegen hatten SPD und FDP geklagt - und nun Recht bekommen.
Der Haushalt 2024 der schwarz-grünen Landesregierung war verfassungswidrig. Das haben die Richter am Landesverfassungsgericht in Schleswig (Kreis Schleswig-Flensburg) am Dienstag (15. April) entschieden. Die Landesregierung habe nicht ausreichend erläutert, warum Notkredite aufgenommen werden mussten und auch nicht, dass der Haushalt durch die jeweiligen Krisen erheblich belastet wurde, so die Richter.
Kein verfassungsgemäßer Tilgungsplan
Die schwarz-grüne Koalition hatte die Aufnahme von Notkrediten im Haushalt 2024 mit drei Krisen begründet: mit dem Angriffskrieg Russlands, der Corona-Pandemie und der Ostsee-Sturmflut. Das Verfassungsgericht erkannte zwar an, dass es Notlagen gab, die sich der Kontrolle des Staates entzogen. Allerdings müsse zwischen dem Finanzbedarf des Landes und den Notlagen ein kausaler Zusammenhang bestehen und der Haushalt müsse durch diese erheblich belastet sein. Dies sei nicht der Fall gewesen, sagte der Präsident des Gerichtes in Schleswig, Christoph Brüning. Ebenso habe kein verfassungsgemäßer Tilgungsplan vorgelegen, so Brüning.
Im September 2024 hatten FDP und SPD gegen den Haushalt geklagt. Sie sahen alle drei Notkredite als verfassungswidrig an.
Mögliche Folgen des Urteils auf Haushalt 2025
Das Urteil wird auf den Haushalt 2024 keine Auswirkungen mehr haben. Aber es könnte sich auf den Haushalt 2025 auswirken. Denn darin ist auch ein Notkredit in Höhe von 272 Millionen Euro enthalten - dieses Mal nur begründet mit den Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine.
Ministerin Schneider will notwendige Schritte "zügig einleiten"
"Das Verfassungsgericht hat heute für mehr Klarheit gesorgt - im Umgang mit den Notkrediten - und mit seiner Tilgung", sagte Finanzministerin Silke Schneider (Grüne) am Dienstag nach der Urteilsverkündung. Viele der rechtlichen Fragestellungen um die es ging, seien bislang bundesweit nicht entschieden gewesen. Sie verwies auf das Urteil des Bundesverfassungsgericht vom November 2023, in dem das zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 der Ampel-Bundesregierung für nichtig erklärt worden war. "Hier sind erste Maßstäbe gesetzt worden. Mit der heutigen Entscheidung hat das Landesverfassungsgericht diese Maßstäbe konkretisiert - für Schleswig-Holstein", so die Ministerin. Bereits vor der Urteilsverkündung hatte sie angekündigt, die Begründung der Entscheidung sorgfältig auszuwerten. "Soweit aus dem Urteil Folgerungen für 2025 zu ziehen sind, werden wir die notwendigen Schritte zügig einleiten", sagte sie.
SPD sieht Urteil als Niederlage für Günther
Als eine "deutliche Niederlage für Ministerpräsident Günther" wertete SPD-Landeschefin Serpil Midyatli das Urteil. "Dieses Urteil bestätigt die schlechte Arbeit der schwarz-grünen Regierung. Der Günther-Regierung ist ihre eigene Arroganz zum Verhängnis geworden", sagte sie. Die Landesregierung müsse jetzt Konsequenzen aus dem Urteil ziehen und in ihrer Politik umsetzten. Dafür sei ein Nachtragshaushalt für das laufende Jahr nötig.
FDP: Man kann keine Notlagen ausnutzen, um den Haushalt zu retten
Der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt, sprach von einer "heftigen Klatsche für die schwarz-grüne Landesregierung. Der schwarz-grüne Haushaltsmix aus Dreistigkeit und Dilettantismus ist krachend gescheitert", sagte er. Mit der Landesverfassung spiele man nicht. "Man kann keine Notlagen ausnutzen, um den in Schieflage gebrachten Haushalt zu retten." Seine Partei erwarte nun, dass CDU und Grüne das Urteil beim laufenden Haushalt 2025 berücksichtigen. "Der Ministerpräsident und seine Finanzministerin müssen umgehend eine Erklärung abgeben, wie sie ihren verfassungswidrigen Haushalt heilen wollen."
CDU zeigt "Demut"
"Mit Demut nehmen wir diese Entscheidung des Landesverfassungsgerichts auf, dass die Begründung der Notlage für die Notkredite im Haushalt mit Blick auf die Finanzlage des Landes nicht ausreichend war", sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und finanzpolitische Sprecher der CDU, Ole Plambeck. Durch die jüngste Grundgesetzänderung habe das Land nun die Möglichkeit, Notlagen durch die Aufnahme weitere regulärer Kreditmittel zu finanzieren, betonte er. "Für dieses Jahr kann daher auf einen Notkredit verzichtet werden. Für den Haushalt 2026 war ohnehin keine weitere Aufnahme von Notkrediten geplant."
Rückblick 2024: Notkredite für Corona, Ukrainekrieg, Ostseesturmflut
Im Frühjahr 2024 hatten Grüne, CDU und SSW den Haushalt für das Jahr verabschiedet. Enthalten war ein Corona-Notkredit in Höhe von 573 Millionen Euro. Hinzu kamen der Ukraine-Notkredit in Höhe von 800 Millionen Euro und ein Notkredit für die Flutschäden von mehr als 145 Millionen Euro. Weil sich herausstellte, dass die Mittel nicht komplett gebraucht wurden, senkte die Landesregierung den Notkredit im Herbst 2024 über einen Nachtragshaushalt ab - um rund 327 Millionen Euro. Nach dem endgültigen Haushaltsabschluss teilte das Land mit, es seien insgesamt nur 493,8 Millionen Euro an Notkreditmitteln in Anspruch genommen worden.
Gericht musste vier Punkte klären
Vor seiner Urteilsverkündung am Dienstag musste das Landesverfassungsgericht im wesentlichen vier Punkte klären:
Notlage durch Ostsee-Sturmflut, Corona-Pandemie und Krieg: Ja oder Nein?
- Gab es eine Notlage? Laut SPD und FDP lagen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Aufnahme von Notkrediten für den Landeshaushalt 2024 nicht vor. Weder der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, noch die Corona-Pandemie seien als außergewöhnliche Notsituationen einzustufen, so die Opposition. Und auch die Kosten der Ostseesturmflut im Oktober 2023 seien nicht hoch genug gewesen, um einen Notkredit zu rechtfertigen. CDU und Grüne sagen: Es gab eine Notlage. Sie argumentieren, dass diese Notlage Ende 2023 auch mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit festgestellt wurde. Auch SPD und SSW hatten damals dafür mitgestimmt.
Rechtfertigte die finanzielle Lage in SH die Notkredite?
- War die finanzielle Lage des Landes so schlecht, dass die Notkredite aufgenommen werden mussten? SPD und FDP sagen, die Landesregierung habe nicht ausreichend dargelegt, dass die drei Krisen - der Angriffskrieg Russlands, die Corona-Pandemie und die Ostseesturmflut - die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt hätten. Grüne und CDU argumentieren, dass eine Schadenssumme, gerade für die Folgen des Angriffskriegs Russlands und der Corona-Pandemie, schwer zu ermitteln seien. Sie befürchten, dass es in Zukunft schwierig werden könnte, in Krisenfällen - zum Beispiel bei Fluten - schnell Notkredite zu beschließen, wenn vorher immer eine Bedarfsermittlung stehen muss.
Finanzierung von Radwegen aus dem Notkredit
- Waren einzelne Projekte, die über den Notkredit finanziert wurden, auch tatsächlich Teil dieser Notlage? Im einzelnen habe die Landesregierung nicht gezeigt, dass die aufgenommenen Notkredite tatsächlich nur dafür verwendet wurden, die jeweiligen Notlagen zu bekämpfen, so SPD und FDP. Eines ihrer Negativbeispiele: die Finanzierung von Radwegen aus dem Notkredit, mit der Begründung Radfahren vermindere das Corona-Ansteckungsrisiko. In einer vergangenen Verhandlung hatte der Präsident des Landesverfassungsgerichtes, Christoph Brüning, dazu allerdings schon erklärt, das Verfassungsgericht überprüfe keine Einzelmaßnahmen - wohl aber Aktionspakete in ihrer Gesamtheit.
Gab es einen korrekten Tilgungsplan?
- Ist der Tilgungsplan rechtens? Hat das Land also einen korrekten Tilgungsplan aufgestellt, in dem die Höhe und die Zeitpunkte der Ratenzahlungen definiert wurden? Ursprünglich sollte 2023 bereits begonnen werden, die Schulden aus den ersten Notprogrammen zu tilgen. Dann wurden aber neue Notkredite aufgenommen. SPD-Fraktionschefin Serpil Midyatli meint, ein Tilgungsplan fehle. Das sei ein schwerer handwerklicher Fehler. Ein weiterer Vorwurf der Opposition: Dadurch, dass das Finanzministerium ermächtigt worden sei, den Haushaltsplan immer wieder zu ändern, sei der Regierung eine unangemessene Verfügungsmacht über das Budget eingeräumt worden, das eigentlich dem Parlament zusteht.
