Klage gegen Landeshaushalt SH: Entscheidung Anfang April erwartet
Stand: 14.02.2025 15:33 Uhr
Sturmflut, Ukraine, Corona - das Land begründete damit Notlagen und nahm Notkredite auf. SPD und FDP klagten dagegen. Nach der mündlichen Verhandlung will das Landesverfassungsgericht im April entscheiden.
von Anna Grusnick, Constantin Gill und Peer-Axel Kroeske
Das Landesverfassungsgericht in Schleswig (Kreis Schleswig-Flensburg) hat am Freitag eine grundsätzliche Frage verhandelt: Unter welchen Voraussetzungen dürfen Notkredite genutzt werden? Von denen hat Schleswig-Holstein gleich mehrere aufgenommen: um die Folgen von Corona-Krise, Ukraine-Krieg und Ostsee-Hochwasser abzumildern. SPD und FDP werfen der Landesregierung vor, mit der Aufnahme der Notkredite im Haushalt 2024 gegen die Verfassung verstoßen zu haben.
Radwegebau mit Corona-Notlage begründet
Dreieinhalb Stunden dauerte es nach einer juristisch abstrakten Diskussion, bis Christopher Vogt (FDP) das wohl prägnanteste Beispiel vortragen konnte: Die Corona-Fahrradwege: "Radfahren stärkt nachweislich das Immunsystem und schützt so vor Erkrankungen - wie z.B. Corona. Die Option Fahrrad ermöglicht es, insbesondere in der Erkältungszeit volle Busse und Bahnen zu vermeiden," zitierte der Fraktionsvorsitzende aus der Begründung für die 20.000 Euro aus dem Notprogramm. Aus seiner Sicht nutzten CDU und Grüne festgestellte Notlage auch dazu, die Schuldenbremse in Schleswig-Holstein zu reißen.
Gericht will keine Einzelmaßnahmen bewerten
Doch der Präsident des Landesverfassungsgerichtes Christoph Brüning musste ihn enttäuschen: Tendenziell sei die "Prüfung von Einzelmaßnahmen durch ein Verfassungsgericht" nicht möglich. Allerdings will das Gericht durchaus einen Blick auf die Aktionspakete in ihrer Gesamtheit werfen.
Gute Begründung nötig - auch bei Zwei-Drittel-Mehrheit
Vertreter von Landesregierung und Landtag hatten zuvor betont, dass die Notlage Ende 2023 mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit festgestellt wurde. SPD und SSW hatten damals dafür mitgestimmt. Der Argumentation, dadurch seien die Notkredite bereits weitgehend legitimiert, wollte Brüning aber nicht folgen: "Das kann nicht zum Ausfall einer Kontrolle führen." Mit der Verwendung der Mittel waren die Sozialdemokraten anschließend nicht mehr einverstanden. SPD-Fraktionschefin Serpil Midyatli: "Wir sind nicht grundsätzlich gegen Notkredite, aber gegen deren missbräuchliche Nutzung."
Steigende Summen trotz überstandener Pandemie
Darlegungslast, Veranlassungszusammenhang, Einschätzungsprärogative, Gestaltungsraum – diese Fachbegriffe prägten die mündliche Verhandlung. Eine zentrale Frage: Wie viele Jahre wirken Corona, Ukraine-Krise und Hochwasserschäden nach? Unstrittig ist, dass die Pandemie die Wirtschaft langfristig schwächte. Eine Vertreterin des Landesrechnungshofs wies allerdings darauf hin, dass die zunächst veranschlagten Corona-Notkredite von 2023 auf 2024 deutlich stiegen: von 84 auf 573 Millionen Euro, obwohl die Pandemie weitgehend beendet war.
Aus dem Ukraine-Budget: Forschungsgelder für die Energiewende
Auch weitere Beispiele kamen zur Sprache. So wurden Forschungsgelder für die Energiewende mit der Notlage durch den russischen Angriff auf die Ukraine begründet. Das Ziel: Schleswig-Holstein müsse energieunabhängig werden. Für Richter Brüning stellt sich die Frage, "ob das nicht eine politische Entscheidung sei," und ob hier tatsächlich ein Zusammenhang mit der Notsituation besteht.
Ist der Tilgungsplan rechtskonform?
Wie stehen die Verfassungsrichter zu Notkrediten? Finanzministerin Silke Schneider erhofft sich heute erste Hinweise darauf.
Ein weiterer Knackpunkt: Der Tilgungsplan. Ursprünglich sollte 2023 bereits begonnen werden, die Schulden aus den ersten Notprogrammen zu tilgen. Stattdessen wurden neue Notkredite aufgenommen. Fehler im Ablauf könnten hier entscheidend werden, deutete Gerichtspräsident Brüning an. Am 8. oder 15. April will das Landesverfassungsgericht seine Entscheidung verkünden. Finanzministerin Silke Schneider (Grüne) erhofft sich allem Klarheit - auch für künftige Haushalte.
Der Landtag bei der Verabschiedung des Haushalts - es geht um dreistellige Millionensummen.
Eine ganze Menge: Enthalten war im Haushalt 2024 zunächst ein Corona-Notkredit in Höhe von 573 Millionen Euro. Dazu kamen der Ukraine-Notkredit mit 800 Millionen Euro und ein Notkredit für die Flutschäden (mehr als 145 Millionen Euro). Verabschiedet wurde der Haushalt im März 2024 mit den Stimmen von CDU, Grünen und SSW. Im Herbst 2024 senkte die Landesregierung den Notkredit über einen Nachtragshaushalt um rund 327 Millionen Euro ab, weil sich herausstellte, dass die veranschlagten Mittel nicht komplett gebraucht wurden. Nach dem endgültigen Haushaltsabschluss teilte das Land mit, es seien insgesamt an Notkreditmitteln nur 493,8 Millionen Euro in Anspruch genommen worden.
Im gerade frisch verabschiedeten Haushalt für 2025 steht ein Notkredit in Höhe von 272 Millionen Euro. Zur Einordnung: Schleswig-Holstein verzeichnet insgesamt Schulden von rund 32 Milliarden Euro und jährliche Einnahmen von knapp 17 Milliarden Euro. Strittig ist die Frage, ob die Ausgaben aus den Notprogrammen auch aus den laufenden Haushalten finanziert werden könnten.
Probleme beim Umgang mit dem Haushalt hatte auch die Ampel-Regierung (2021-2024) im Bund.
Das Bundesverfassungsgericht hat im November 2023 das zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 der Ampel-Bundesregierung für nichtig erklärt. Eine Begründung: Der Gesetzgeber habe "den Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den durch die notlagenbedingte Kreditaufnahme finanzierten Maßnahmen zur Krisenbewältigung nicht ausreichend dargelegt." Sprich: Warum die Ampel Geld aus dem Corona-Kredit in einen Energie- und Klimafonds überführen wollte, hatte sie nicht überzeugend erklärt.
Auch in Rheinland-Pfalz, Hessen und Brandenburg gab es Verfahren. Das Landesverfassungsgericht betonte jedoch, die Situation in Schleswig-Holstein sei davon unabhängig zu bewerten. Das Finanzministerium hat jeden Posten im Notkredit begründet. Manche Begründungen - wie eben die Frage, was Fahrradwege mit der Corona-Krise zu tun haben - findet zumindest die FDP aber nicht überzeugend.
Auf den Haushalt 2024 hätte das nach Einschätzung von Experten wohl keine Auswirkungen - aber auf den Haushalt 2025. Davon geht FDP-Mann Bernd Buchholz aus. Denn auch im aktuellen Haushalt gibt es einen Ukraine-Notkredit. Das Geld, meint Buchholz, dürfte dann nicht verwendet werden - und ein Nachtragshaushalt wäre nötig. Das Land müsste an anderer Stelle sparen.
Die Kommunalverbände beobachten das Verfahren mit Interesse: Jörg Bülow, Geschäftsführer des Gemeindestages, erinnert daran, dass das Land Zusagen an die Gemeinden 2024 auch aus Notkrediten finanzierte. Und: "Auch in 2025 werden finanzielle Zusagen gegenüber den Kommunen aus Notkreditmitteln erfüllt, insbesondere beim Ausbau der Ganztagsschulen", so Bülow.
Die Finanzministerin will sich noch auf keine Spekulationen einlassen: "Wenn die Entscheidung vorliegt, dann werden wir sie für uns prüfen", sagt Silke Schneider. Und wenn sich Folgen für den Haushalt 2025 ergeben, "dann werden wir dafür auch Lösungen finden".
Nach der mündlichen Verhandlung wurde eine Entscheidung für den 8. oder 15.April angekündigt.
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NDR 1 Welle Nord |
Nachrichten für Schleswig-Holstein |
14.02.2025 | 17:00 Uhr
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