Quereinsteiger in der Schifffahrt: Vom Kellner zum Nautischen Offizier
Der Fachkräftemangel macht auch vor der Schifffahrt nicht halt. Sehr willkommen sind deshalb auch Quereinsteiger, so wie der 31-jährige Chris Schreiber bei der Reederei Adler-Schiffe.
Chris streift sich die Schwimmweste über. In ein paar Minuten legt die Adler-Express, das schnellste Schiff im nordfriesischen Wattenmeer, auf Hallig Hooge an. Es ist an diesem Tag die erste Station für die sechsköpfige Crew auf ihrer täglichen Route von Nordstrand durchs Wattenmeer. Hooge, Amrum, Sylt und zurück, das Ganze zweimal am Tag. Die Adler-Reederei ist mit ihren Schiffen an diesem Wochenende in die neue Saison gestartet und bringt vor allem Tagestouristen auf die Halligen und Inseln Nordfrieslands.
Nach der Gastronomie zur Schifffahrt
Mit an Bord ab sofort auch der 31-jährige Chris, für den mit der Ausbildung zum nautischen Offizier ein neuer Lebensabschnitt beginnt. "Ich war vier Jahre in der Gastronomie und wollte dann auf jeden Fall etwas Neues machen", erzählt Chris, der auch schon eine Lehre als Einzelhandelskaufmann abgeschlossen hat. Spaß machte ihm dieser Job aber nur für eine kurze Zeit, wie er sagt.
Ein Tipp von der Mutter
Zuletzt war Chris einige Monate in Portugal auf Jobsuche, weil er dort Familie hat, aber etwas Passendes fand er dort nicht. Auf die Idee, zur See zu fahren, kam Chris dann eigentlich durch Zufall. Er hörte von seiner Mutter, dass die Reederei Adler-Schiffe Auszubildende sucht. "Ich habe von Schifffahrt überhaupt keine Ahnung, aber ich bin sehr neugierig und kann mir vorstellen, dass das ein interessanter Beruf ist", dachte sich Chris und bewarb sich kurzerhand für die Stelle als Nautischer Offiziersanwärter.
Personal in der Schifffahrt händeringend gesucht
Reedereien wie Adler-Schiffe freuen sich gerade wegen des fehlenden Nachwuchses auf See auch über Quereinsteiger wie ihn. Adler hat insgesamt gut 40 Schiffe an den deutschen Küsten und auf Binnengewässern. Gesucht werden aktuell sechs Kapitäne, dazu noch Techniker, Bootsgehilfen, Bootsmänner und weiteres Personal.
Leute ausbilden, die bleiben
Nachwuchs auszubilden und möglichst lange zu halten, ist das erklärte Ziel vieler Reedereien. Die Zahl der Berufsanfänger in der Branche steigt zwar seit ein paar Jahren wieder, wie der Verband deutscher Reeder in Hamburg meldet, im Ausbildungsjahr 2024 um 14 Prozent. Der Bedarf allerdings sei viel größer, so ein Sprecher, deshalb habe man auch als Quereinsteiger gute Chancen auf einen Job.
Kapitän kommt mit 14 Jahren zur Schifffahrt
Einer der wichtigsten Ansprechpartner für Chris ist nun Kapitän Gerrit Vöge, der gerade Kurs auf Amrum hält. Er traut Chris zu, dass er die Ausbildung schafft und vielleicht sogar später Kapitän werden kann. "Er ist motiviert und wer weiß, wenn er Lust hat, vielleicht kann er ja meinen Job übernehmen, wenn ich in Rente bin", sagt Gerrit Vöge. Er selbst kam mit 14 Jahren als Decksjunge zur Schifffahrt, um Geld zu verdienen, und liebt seinen Job. "Das ist doch ein wunderschöner Beruf, gerade hier auf dem Wattenmeer", sagt Vöge und blickt auf die vor ihm aus der Nordsee ragenden Hallig Gröde.
Respekt vor der Verantwortung für Passagiere
Ob Schiffahrt auch für Chris langfristig das Richtige ist, muss sich noch herausstellen, wie er sagt. "Ich will hier Schritt für Schritt überall mal reinschauen und mich dann entscheiden, wie es später weitergeht". Er habe schon Respekt vor der neuen Aufgabe in seinem Leben und vor der Verantwortung für die Passagiere.
"Schifffahrt ist für mich völlig neu, aber ich bin neugierig!" Chris Schreiber, angehender Nautischer Offizier
Mittlerweile sitzt er oben auf der Brücke neben dem Kapitän und schaut konzentriert nach vorne. Kapitän Vöge nimmt Fahrt raus und steuert behutsam an einer Stelle nahe Amrum vorbei. "Hier befindet sich das sogenannte U-Boot-Loch", erklärt er Chris, "deutsche Soldaten haben hier nach dem Krieg ein U-Boot versenkt, das inzwischen versandet ist".
Aufpassen auf Surfer und Paddler
Wenig später deutet der Kapitän auf eine Strandregion vor der Insel. "Hier sind im Sommer viele Surfer und Paddler, da möchte ich, dass du gut aufpasst und beobachtest und mir sofort mitteilst, wenn du etwas siehst". Chris muss wissen "auf was es ankommt, wenn er hier oben sitzt, das bringen wir ihm aber bei", sagt Gerrit Vöge und nimmt Kurs auf Sylt, ehe von dort später die komplette Tour zurück startet.
Sehr lange Arbeitstage in der Sommersaison
Für Chris bedeutet sein neuer Job an Bord nicht nur jede Menge frische Seeluft und Wattenmeer-Genuss, sondern auch Zwölf-Stunden-Tage während der Sommersaison. Dafür wartet im Winter viel Freizeit. Zwei Saisons wird der 31-Jährige auf der Adler-Express unterwegs sein, dann geht es auf die Fachschule für Seefahrt nach Flensburg, wo er sechs Monate lang Nautik büffeln wird. Und wenn Chris erfolgreich ist und Nautischer Offizier wird, dann hat er später die Möglichkeit, nach genügend Zeit auf See und zusätzlicher Qualifikation das Kapitänspatent zu machen und gutes Geld zu verdienen.
"Step by Step": Erstmal einen Schritt nach dem anderen
Doch so weit denkt Chris noch nicht, zumal ja die Gehälter in der Schifffahrt je nach Route und Reederei sehr unterschiedlich sind. Nein, sagt Chris, er wolle es erstmal "Step by Step" angehen - zieht sich wieder die Schwimmweste an und macht sich bereit, um am Hafen von Hörnum auf Sylt die nächsten Gäste an Bord zu begrüßen.
