Eine Frau mit Brille guckt in die Kamera. © Lena Morgenstern

Felicia Sternfeld: Wie politisch sind Museen?

Stand: 01.06.2024 15:08 Uhr

"Wie politisch ist Museumsarbeit" war die zentrale Frage auf dem 18. Internationalen Bodensee-Symposium von ICOM-Deutschland, ein Netzwerk für den Austausch zwischen Museen weltweit.

ICOM Deutschland ist das deutsche Nationalkomitee des International Council of Museums (ICOM). Felicia Sternfeld, die Direktorin des Europäischen Hansemuseums in Lübeck, ist seit Januar 2023 Präsidentin von ICOM Deutschland.

Frau Sternfeld, was bedeutet politisch sein im musealen Kontext?

Felicia Sternfeld: Politisch sein, heißt nicht parteipolitisch zu sein. Sondern es heißt, sich auf das Potenzial der Institution zu beziehen, durch Ausstellungen oder Programme gesellschaftlich relevante Themen anzusprechen. Das kann durch das Bewusstsein für historische Kontexte oder aktuelle politische Debatten geschehen. Politisch sein kann auch bedeuten, zur Bildung oder kritischen Reflektion der Besuchenden beizutragen.

Weitere Informationen
Felicia Sternfeld © Europäisches Hansemuseum Lübeck / Lena Morgenstern Foto: Lena Morgenstern

Felicia Sternfeld: "Es braucht Förderung, Mentorinnen und Quote!"

Die Geschäftsführerin des Lübecker Hansemuseums hat auch mit zwei Kindern Karriere gemacht - doch einfach war es nicht. mehr

Wie hat sich das traditionelle Verständnis von Museen als neutralen Einrichtungen entwickelt?

Sternfeld: Ich glaube, es ist relativ breiter Konsens, dass Museen nicht neutral sind. Durch das was sie machen und wie sie es machen, sind sie politisch. Ob man eine Ausstellung macht oder ob man sie nicht macht, ist in letzter Konsequenz eine politische Entscheidung. Das gilt auch für die Frage, was man erzählt und wie man es in einer Ausstellung erzählt und mit welchen Erkenntnissen die Besuchenden dann auch rausgehen. Nehmen Sie als Beispiel die Kolonialgeschichte: Es macht einen Unterschied, ob man die Exponate unkritisch und unkommentiert ausstellt als Artefakt oder ob man sie einordnet. Das war auch ein schönes Beispiel auf der Konferenz, dort hat eine Speakerin gesagt: Wenn ein Objekt von zwei unterschiedlichen Kurator:innen beleuchtet wird, kommt etwas gänzlich Unterschiedliches heraus. Dabei stellt sich auch schnell die Frage nach dem Hintergrund einer Kuratorin oder eines Kurators: Woher kommt sie oder er zum Beispiel und welche Perspektiven bringt die Person mit?

Was haben Sie von dem Wochenende mitgenommen?

Zu sehen sind mehrere Teilnehmer, die bei einer Konferenz auf einer Bühne auf einem Podium diskutieren. © Nicolas Bühringer Foto: Nicolas Bühringer
Am Bodensee haben Museums-Expertinnen und Experten auch über die Frage diskutiert, wie politisch Museumsarbeit ist.

Sternfeld: Für mich ist es sehr wichtig darüber zu reden, dass Museen Stellung beziehen müssen. Das ist ein Thema, das in der aktuellen Debatte bisher noch zu wenig vorgekommen ist. Mir ist es wichtig, dass sich alle Häuser dazu bekennen, dass das so ist, weil man dann auch anders damit umgehen und anders über Themen sprechen kann. Mir liegt besonders das Thema am Herzen, wie politisch Museumsarbeit nach Innen ist. Denn das eine hat etwas mit dem anderen zu tun. Dazu haben wir mit einer Agentur eine großangelegte Studie gemacht und haben Mitglieder von ICOM Deutschland als Mitarbeitende in Museen unter anderem dazu befragt, wie zufrieden sie mit ihrer Arbeit sind. Meiner Meinung nach kann man nur mit engagierten und zufriedenen Mitarbeitenden gute Museumsarbeit machen. Im Moment stellt sie uns auch vor ganz andere Herausforderungen, als noch vor zehn oder 50 Jahren. Die Fragestellungen, die an Museen herangetragen werden und mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, zum Beispiel Rechtsextremismus, sind da. Es sit wichtig, dass wir als Orte der Demokratie dazu eine Haltung entwickeln.

Inwiefern?

Sternfeld: Nehmen Sie die aktuelle Gender-Debatte. Die Studie hat herausgefunden, dass etwa dreiviertel der Mitarbeitenden in Museen Frauen sind - das spiegelt sich nicht in der Verteilung der Führungskräfte wieder. Dieser Gap ist zutiefst politisch! Wie lässt sich das angleichen? Und um auf das Beispiel zurückzukommen, das ich bereits erwähnt habe: Wie sollen wir eine Ausstellung über Kolonialismus machen, wenn wir die Leute nicht im Boot haben, die das betrifft und die eventuell eine andere Sicht auf die Dinge haben. Dementsprechend müssten sie in Museen arbeiten, damit wir das gut und richtig machen. Außerdem brauchen wir Mitarbeitende, die gut auf die aktuellen Fragen und Herausforderungen reagieren können. Wenn die Hälfte der Mitarbeitenden nicht zufrieden ist - dann sehe ich das sehr kritisch. Es herrscht ein großer Bedarf, die Mitarbeitenden besser mitzunehmen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern - Stichwort: Agilität, New Work, Remote-Arbeit. Das ist zum Teil in den Museen offenbar noch nicht genug angekommen.

Welche Aufgabe haben Museen in diesen Spannungsfeldern?

Sternfeld: Museen können einordnen, kritisch hinterfragen und intensiv beleuchten. Die Menschen nehmen sich normalerweise Zeit, wenn sie in ein Museum gehen - das birgt großes Potenzial. Eine weitere Studie hat herausgefunden, dass Museen auch in Deutschland als vergleichsweise vertrauenswürdige Institutionen wahrgenommen werden. Das ist ein riesiger Vertrauensvorschuss, um Dinge anzustoßen, zu bewegen oder auch zu reflektieren.

Gilt das für jedes Museum gleichermaßen?

Sternfeld: Ich glaube, in letzter Konsequenz gilt das für jedes Museum gleichermaßen. Ein Naturkundemuseum wird sich natürlich zweifelsohne damit beschäftigen müssen, ob es unsere Welt, so wie sie jetzt ist, in zehn, fünfzig oder hundert Jahren noch geben wird. Das ist eines der größten Themen. Es geht aber auch um Fragen, wie die Artefakte gesammelt worden sind, auch das sind für mich politische Themen. Ich glaube, es gilt auch nicht nur für die großen Häuser sondern auch für kleinere Museen, wobei es dort natürlich schwieriger ist, weil dort eventuell nicht so viel Personal vorhanden ist - aber auch kleinere Häuser müssen sich mit ihrer Sammlungsgeschichte beschäftigen.

Ist der Schlüssel für politische Museumsarbeit also, möglichst aktuelle Themen aufzugreifen?

Sternfeld: Ich glaube schon! Museen können durchaus relevant sein, indem sie Fragen, die sie an ihre Sammlungen stellen, mit aktuellen Themen verknüpfen. Das schafft Relevanz, weil die Besuchenden dann besser verstehen: Was hat das alles mit mir zu tun? Das machen wir im Europäischen Hansemuseum mit unseren Ausstellungen auch so. Bestes Beispiel ist die Ausstellung "Guter Stoff". Da haben wir natürlich nicht nur darüber geredet, wie wichtig Textilien für die Hansezeit waren, sondern auch über ihre Bedeutung für die heutigen Zeit. Denn Textilien sind natürlich noch immer ein Handelsgut. Hier haben wir uns stark mit ökologischen Aspekten befasst. Museen können aber auch über die Ausstellungen hinaus Ort der Debatte und des Austauschs sein. Sie können auch Plattformen für kontroverse Meinungen bieten, die immer schwieriger zu moderieren und zu orchestrieren sind. Ich halte es für wichtig und möglich, denen einen Raum zu geben.

Welche Impulse wünsche Sie sich denn nun für die Museen und ihre zukünftige Arbeit?

Sternfeld: Ich bin erstmal sehr froh, dass das Thema breiter in unserer Community diskutiert wird. Der Deutsche Museumsbund hat das aufgegriffen und wird seine Tagung im kommenden Jahr der Frage widmen, wie Museen die Demokratie stärken können. Ich wünsche mir, dass die Museen noch stärker darüber nachdenken, wie sie Dinge tun, sowohl nach innen als auch nach außen. Denn die Mitarbeitenden sind ein wichtiger Faktor dabei.

Inwiefern profitieren Ihrer Meinung nach am Ende auch die Nutzerinnen und Nutzer davon?

Sternfeld: Bestenfalls kommen Menschen ins Museum, die bisher als Besuchergruppe unterrepräsentiert waren. Es gab auch eine riesige Debatte darüber, wen wir mit unserer Arbeit eigentlich erreichen. Museen werden immer noch als elitär wahrgenommen. Wenn aber Personen in den Museen arbeiten, die wissen, wie die Communities funktionieren und wie wir sie erreichen können, um Themen zu diskutieren, die die Leute interessieren. Dann werden wir weiter relevant bleiben, Vertrauen schaffen und gemeinsam die Demokratie stärken.

Das Interview führte Anina Pommerenke. Das Europäische Hansemuseum ist Kulturpartner von NDR Kultur.

 

Weitere Informationen
Lupe auf altem Buch © Olaf Malzahn Foto: Olaf Malzahn

Hansemuseum Lübeck: Ehrenamtliches Engagement für die Wissenschaft

Mit Hilfe einer Software transkribieren Freiwillige Handschriften aus der Hansezeit in moderne Schrift. mehr

Installation "Imagined Garden" © Martin Hugo Kunzi Foto: Martin Hugo Kunzi

Sommerliche Musiktage: Pflanzenintelligenz als Trendthema

Mit einer Installation wollen Künstlerinnen in Hitzacker auf die Gefährdung der Natur aufmerksam machen. mehr

Ein überdimensionaler Damenschuh steht in einem Museum. © Claudia Dannenberg / Landesmuseum Schloss Gottorf

Raumgreifende Kunst in Schleswig: "Wir mussten ein Fenster ausbauen"

14 Meter lang, 700 Kilogramm schwer: Wie kommen die großformatigen Kunstwerke der Portugiesin Vasconcelos ins Schloss Gottorf in Schleswig? mehr

Buchillustration, Lehrer Lämpel raucht Pfeife. © picture alliance / imageBROKER | bilwissedition

Rauchen in Kinderbüchern: Teil der Realität oder gefährlich?

Sollten Kinder in Büchern mit rauchenden Menschen in Berührung kommen? Verlage und Suchtexperten sind unterschiedlicher Meinung. mehr

Essen als Thema: Museen machen Appetit auf Kunst und Kultur

Immer wieder widmen sich Ausstellungen dem Thema Essen! Welche Angebote gibt es und welche Gedanken stehen dahinter? mehr

Eine Person hält vor einem Gemälde ein Handy in der Hand © Kunsthalle Bremen Foto: Marcus Meyer Photography

Influencer und Kultureinrichtungen: Zaghafte Annäherung

Aus der Fashion- oder Kosmetikwelt sind Influencer nicht wegzudenken. Im Kulturbereich kommen sie eher sporadisch zum Einsatz. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Sonntag | 19.05.2024 | 14:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Ausstellungen

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Die Schauspielerin Katharina Thalbach sitzt auf einem Sofa. © Screenshot

Katharina Thalbach mit "Ein Wintermärchen" wieder in der Elphi

"Ein Wintermärchen" mit Katharina Thalbach in der Elbphilharmonie ist fast ein Klassiker. Heute ist die erste von neun Aufführungen. mehr