Felicia Sternfeld: Wie politisch sind Museen?
"Wie politisch ist Museumsarbeit" war die zentrale Frage auf dem 18. Internationalen Bodensee-Symposium von ICOM-Deutschland, ein Netzwerk für den Austausch zwischen Museen weltweit.
ICOM Deutschland ist das deutsche Nationalkomitee des International Council of Museums (ICOM). Felicia Sternfeld, die Direktorin des Europäischen Hansemuseums in Lübeck, ist seit Januar 2023 Präsidentin von ICOM Deutschland.
Frau Sternfeld, was bedeutet politisch sein im musealen Kontext?
Felicia Sternfeld: Politisch sein, heißt nicht parteipolitisch zu sein. Sondern es heißt, sich auf das Potenzial der Institution zu beziehen, durch Ausstellungen oder Programme gesellschaftlich relevante Themen anzusprechen. Das kann durch das Bewusstsein für historische Kontexte oder aktuelle politische Debatten geschehen. Politisch sein kann auch bedeuten, zur Bildung oder kritischen Reflektion der Besuchenden beizutragen.
Wie hat sich das traditionelle Verständnis von Museen als neutralen Einrichtungen entwickelt?
Sternfeld: Ich glaube, es ist relativ breiter Konsens, dass Museen nicht neutral sind. Durch das was sie machen und wie sie es machen, sind sie politisch. Ob man eine Ausstellung macht oder ob man sie nicht macht, ist in letzter Konsequenz eine politische Entscheidung. Das gilt auch für die Frage, was man erzählt und wie man es in einer Ausstellung erzählt und mit welchen Erkenntnissen die Besuchenden dann auch rausgehen. Nehmen Sie als Beispiel die Kolonialgeschichte: Es macht einen Unterschied, ob man die Exponate unkritisch und unkommentiert ausstellt als Artefakt oder ob man sie einordnet. Das war auch ein schönes Beispiel auf der Konferenz, dort hat eine Speakerin gesagt: Wenn ein Objekt von zwei unterschiedlichen Kurator:innen beleuchtet wird, kommt etwas gänzlich Unterschiedliches heraus. Dabei stellt sich auch schnell die Frage nach dem Hintergrund einer Kuratorin oder eines Kurators: Woher kommt sie oder er zum Beispiel und welche Perspektiven bringt die Person mit?
Was haben Sie von dem Wochenende mitgenommen?
Sternfeld: Für mich ist es sehr wichtig darüber zu reden, dass Museen Stellung beziehen müssen. Das ist ein Thema, das in der aktuellen Debatte bisher noch zu wenig vorgekommen ist. Mir ist es wichtig, dass sich alle Häuser dazu bekennen, dass das so ist, weil man dann auch anders damit umgehen und anders über Themen sprechen kann. Mir liegt besonders das Thema am Herzen, wie politisch Museumsarbeit nach Innen ist. Denn das eine hat etwas mit dem anderen zu tun. Dazu haben wir mit einer Agentur eine großangelegte Studie gemacht und haben Mitglieder von ICOM Deutschland als Mitarbeitende in Museen unter anderem dazu befragt, wie zufrieden sie mit ihrer Arbeit sind. Meiner Meinung nach kann man nur mit engagierten und zufriedenen Mitarbeitenden gute Museumsarbeit machen. Im Moment stellt sie uns auch vor ganz andere Herausforderungen, als noch vor zehn oder 50 Jahren. Die Fragestellungen, die an Museen herangetragen werden und mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, zum Beispiel Rechtsextremismus, sind da. Es sit wichtig, dass wir als Orte der Demokratie dazu eine Haltung entwickeln.
Inwiefern?
Sternfeld: Nehmen Sie die aktuelle Gender-Debatte. Die Studie hat herausgefunden, dass etwa dreiviertel der Mitarbeitenden in Museen Frauen sind - das spiegelt sich nicht in der Verteilung der Führungskräfte wieder. Dieser Gap ist zutiefst politisch! Wie lässt sich das angleichen? Und um auf das Beispiel zurückzukommen, das ich bereits erwähnt habe: Wie sollen wir eine Ausstellung über Kolonialismus machen, wenn wir die Leute nicht im Boot haben, die das betrifft und die eventuell eine andere Sicht auf die Dinge haben. Dementsprechend müssten sie in Museen arbeiten, damit wir das gut und richtig machen. Außerdem brauchen wir Mitarbeitende, die gut auf die aktuellen Fragen und Herausforderungen reagieren können. Wenn die Hälfte der Mitarbeitenden nicht zufrieden ist - dann sehe ich das sehr kritisch. Es herrscht ein großer Bedarf, die Mitarbeitenden besser mitzunehmen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern - Stichwort: Agilität, New Work, Remote-Arbeit. Das ist zum Teil in den Museen offenbar noch nicht genug angekommen.
Welche Aufgabe haben Museen in diesen Spannungsfeldern?
Sternfeld: Museen können einordnen, kritisch hinterfragen und intensiv beleuchten. Die Menschen nehmen sich normalerweise Zeit, wenn sie in ein Museum gehen - das birgt großes Potenzial. Eine weitere Studie hat herausgefunden, dass Museen auch in Deutschland als vergleichsweise vertrauenswürdige Institutionen wahrgenommen werden. Das ist ein riesiger Vertrauensvorschuss, um Dinge anzustoßen, zu bewegen oder auch zu reflektieren.
Gilt das für jedes Museum gleichermaßen?
Sternfeld: Ich glaube, in letzter Konsequenz gilt das für jedes Museum gleichermaßen. Ein Naturkundemuseum wird sich natürlich zweifelsohne damit beschäftigen müssen, ob es unsere Welt, so wie sie jetzt ist, in zehn, fünfzig oder hundert Jahren noch geben wird. Das ist eines der größten Themen. Es geht aber auch um Fragen, wie die Artefakte gesammelt worden sind, auch das sind für mich politische Themen. Ich glaube, es gilt auch nicht nur für die großen Häuser sondern auch für kleinere Museen, wobei es dort natürlich schwieriger ist, weil dort eventuell nicht so viel Personal vorhanden ist - aber auch kleinere Häuser müssen sich mit ihrer Sammlungsgeschichte beschäftigen.
Ist der Schlüssel für politische Museumsarbeit also, möglichst aktuelle Themen aufzugreifen?
Sternfeld: Ich glaube schon! Museen können durchaus relevant sein, indem sie Fragen, die sie an ihre Sammlungen stellen, mit aktuellen Themen verknüpfen. Das schafft Relevanz, weil die Besuchenden dann besser verstehen: Was hat das alles mit mir zu tun? Das machen wir im Europäischen Hansemuseum mit unseren Ausstellungen auch so. Bestes Beispiel ist die Ausstellung "Guter Stoff". Da haben wir natürlich nicht nur darüber geredet, wie wichtig Textilien für die Hansezeit waren, sondern auch über ihre Bedeutung für die heutigen Zeit. Denn Textilien sind natürlich noch immer ein Handelsgut. Hier haben wir uns stark mit ökologischen Aspekten befasst. Museen können aber auch über die Ausstellungen hinaus Ort der Debatte und des Austauschs sein. Sie können auch Plattformen für kontroverse Meinungen bieten, die immer schwieriger zu moderieren und zu orchestrieren sind. Ich halte es für wichtig und möglich, denen einen Raum zu geben.
Welche Impulse wünsche Sie sich denn nun für die Museen und ihre zukünftige Arbeit?
Sternfeld: Ich bin erstmal sehr froh, dass das Thema breiter in unserer Community diskutiert wird. Der Deutsche Museumsbund hat das aufgegriffen und wird seine Tagung im kommenden Jahr der Frage widmen, wie Museen die Demokratie stärken können. Ich wünsche mir, dass die Museen noch stärker darüber nachdenken, wie sie Dinge tun, sowohl nach innen als auch nach außen. Denn die Mitarbeitenden sind ein wichtiger Faktor dabei.
Inwiefern profitieren Ihrer Meinung nach am Ende auch die Nutzerinnen und Nutzer davon?
Sternfeld: Bestenfalls kommen Menschen ins Museum, die bisher als Besuchergruppe unterrepräsentiert waren. Es gab auch eine riesige Debatte darüber, wen wir mit unserer Arbeit eigentlich erreichen. Museen werden immer noch als elitär wahrgenommen. Wenn aber Personen in den Museen arbeiten, die wissen, wie die Communities funktionieren und wie wir sie erreichen können, um Themen zu diskutieren, die die Leute interessieren. Dann werden wir weiter relevant bleiben, Vertrauen schaffen und gemeinsam die Demokratie stärken.
Das Interview führte Anina Pommerenke. Das Europäische Hansemuseum ist Kulturpartner von NDR Kultur.