Rauchen in Kinderbüchern: Teil der Realität oder gefährlich?
Gehört es für Kinder zur Realität, dass Menschen rauchen? Oder sollten sie damit möglichst nicht in Berührung kommen? Verlage und Suchtexperten sind unterschiedlicher Meinung.
Jährlich sterben in Deutschland etwa 127.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Die Politik in Deutschland versucht deshalb, Werbung für Tabakerzeugnisse, nikotinhaltige elektronische Zigaretten und Nachfüllbehälter aus dem öffentlichen Raum zu verbannen - insbesondere zum Schutz von Jugendlichen und Kindern. Einige Länder gehen sogar noch weiter und streben an, rauchfrei zu werden. Umso verwunderlicher erscheint es, an welchen Orten einem das Thema Rauchen manchmal begegnet - in der Oper oder beim Vorlesen in Kinder- und Jugendbüchern.
Rauchen: Mal positives, mal negatives Stilmittel
Lukas der Lokomotivführer raucht bei Michael Ende gerne mal eine Pfeife, die vielleicht seinen gemütlichen Charakter unterstreichen soll. Und auch die grauen Herren in "Momo" greifen immer zu kleinen grauen Zigarren. Da von ihnen eine eisige Kälte ausgeht, gegen die man sich nicht schützen kann, wird das Zigarrenrauchen zum negativ konnotierten Stilmittel. Doch nicht nur in Klassikern stößt man auf den einen oder anderen Raucher, immer wieder tauchen sie auch in zeitgenössischer Kinder- und Jugendliteratur auf.
Künstlerische Freiheit der Autoren
In "Lehmann" von David Almond beispielsweise sind es sogar die Jugendlichen selbst, die sich gemeinsam eine Zigarette anzünden: gepaart mit Gruppenzwang, Coolness, Abenteuerlust.
Geordie zündete eine neue Kippe an. Er schärfte sein Messer an einem Stein und richtete die Spitze auf mich. "Hier wird's bald eine ordentliche Schlacht geben", sagte er. Ich zog an der Kippe. "Aye", sagte ich. "Wir gegen sie", sagte er. Leseprobe aus "Lehmann" von David Almond
Das Buch ist 2007 im Carl Hanser Verlag erschienen und für Kinder ab 12 Jahren freigegeben. Hanser-Verlagsleiterin Saskia Heintz betont auf Nachfrage von NDR Kultur, dass grundsätzlich die künstlerische Freiheit der Autoren gelte, da würde sie sich nicht einmischen, zumindest nicht im Jugendbuch. "Es ist ein Teil der Realität, dass geraucht wird. Es zu zeigen, hat im Text womöglich eine Funktion", sagt sie. Solche Stellen aus moralischen Gründen zu "zensieren", fände sie falsch. Sie sehe ihre Aufgabe als Lektorin nicht darin, moralisierend in Texte einzugreifen und sie dahingehend zu editieren. Stattdessen versuche sie, Texte sprachlich und inhaltlich zu verbessern.
"Figuren tun Dinge, die in der Realität vorkommen"
In "Wolf", dem ersten Kinderroman von Saša Stanišić, der 2023 bei Carlsen erschienen ist, macht der Autor die Mutter und eine Lehrerin des kindlichen Protagonisten zu Raucherinnen.
Mutter ist nicht dabei und hat sich auch nicht unter die anderen Eltern gemischt. Sie lehnt an unserem Auto und raucht. Sonst hat oft jemand Mitleid mit ihr, so als Alleinerziehende, und stellt sich dazu, fragt, wie es geht, ob sie was braucht. Mutter mag das gar nicht, glaub ich. Jetzt kommt niemand. Vielleicht weil sie raucht? Alleinerziehend und alleinrauchend ist den Leuten dann doch zu viel. Leseprobe aus "Wolf" von Saša Stanišić
In Josefine Sonnesons "Stolpertage" greift die ältere Schwester, die gerade erst Abi macht, immer mal wieder zum Glimmstengel.
Draußen steht die Schwester auf dem Gehweg gegenüber und telefoniert. Sie lacht und fuchtelt mit dem freien Arm in der Luft herum, dabei kann das die Telefonperson doch gar nicht sehen, denke ich. Sie geht ein paar Schritte hin und her, zieht an der Zigarette, redet und runzelt die Stirn, guckt ernst und lacht dann wieder. Leseprobe aus "Stolpertage" von Josefine Sonneson
Auf Nachfrage dazu heißt es von Seiten des Carlsen-Verlags, dass es sich bei den beiden genannten Beispielen um realistische Jugendromane handele, in denen Figuren Dinge tun, die in der Realität vorkommen. So gehöre es beispielsweise in "Wolf" zum Figurenporträt der Mutter, dass sie raucht. Darüber, was das für den Hauptprotagonisten Kemi und seine Wahrnehmung der Mutter bedeutet, reflektiere er selbst im Text.
Rauchen: Größtes vermeidbares Gesundheitsrisiko
Burkhard Blienert, der Beauftragte für Sucht- und Drogenfragen der Bundesregierung, sieht das Thema dagegen kritischer. Rauchen in jeder Form und Dosierung sei das mit Abstand größte vermeidbare Gesundheitsrisiko, erläutert er. Rauchen könne bekanntermaßen nicht nur Lungenkrebs verursachen, sondern erhöhe darüber hinaus das Risiko für Schlaganfälle, Parodontose, Diabetes und zahlreiche weitere Erkrankungen. Darum sei es ihm eine besondere Herzensangelegenheit, dagegen vorzugehen, dass die Tabakindustrie gerade Kinder und Jugendliche zu den Süchtigen von morgen heranziehe und auch die Erwachsenen im wahrsten Sinne des Wortes bei der Stange halte. Für ihn habe es daher oberste Priorität, die bestehenden Lücken bei der Tabakwerbung mit einem umfassenden Werbeverbot in Deutschland zu schließen.
Klassiker nicht umschreiben, sondern auf Problematik hinweisen
"Es kann nicht sein, dass an Tankstellen noch immer für Zigaretten und vor allem E-Zigaretten geworben wird. Hier kommen täglich Tausende Menschen vorbei und darunter sind auch Kinder und Jugendliche", so Blienert. Zu einem umfassenden Nichtraucherschutz gehöre für ihn aber auch, dass gerade Kinder- und Jugendbücher verantwortungsvoll mit Gesundheit und Rauschmitteln jeder Art umgehen. "Ich bin nicht der Meinung, dass wir Texte in älteren Werken komplett überarbeiten sollten", betont er.
Aber es erscheint ihm sinnvoll in diesen Büchern, die mit dem Konsum von Zigaretten verbundenen Probleme sichtbar zu machen - etwa in Vor- und Nachworten und mit Hinweisen im Text. "Natürlich ist das Rauchen etwa in 'Momo' ein Stilmittel bei den grauen Herren. Weil es ein literarischer Text ist, sollte das nicht verändert werden. Aber es sollte schon sehr deutlich gemacht werden, dass Rauchen eben nicht in Ordnung ist und dass es höchst ungesund ist."
Aktuelle Kinderbücher: Auf Rauchen als Stilmittel verzichten
In neuen Kinder- und Jugendbüchern hingegen solle völlig auf Rauchen als Stilmittel verzichtet werden, sagt Blienert. "Dass das noch nicht passiert, zeigt mir überdeutlich, dass das noch immer nicht in allen Köpfen angekommen ist - trotz aller Aufklärung über die Gesundheitsrisiken. Jeder Zug an einer Zigarette ist bereits gesundheitsschädlich; da gibt es nichts zu beschönigen." Rauchen, betont er, sei eine Sucht und eine Krankheit, eine Abhängigkeit, die nicht von heute auf morgen entstehe. Werbung könne dazu beitragen, dass Menschen schneller zu einer Zigarette oder auch Alkohol greifen. Eltern und Erwachsene seien dabei Vorbilder. Kindern solle vermittelt werden, stark und selbstbewusst zu sein, "nein" sagen zu können gegen Gruppenzwang.
Lucky Luke hat erfolgreich mit dem Rauchen aufgehört
Dass auch fiktive Charaktere dazulernen können, hat übrigens Lucky Luke schon in den 1980er-Jahren unter Beweis gestellt. Auch er musste sich infolge anhaltender Proteste das Rauchen abgewöhnen. Seither kaut er auf einem Grashalm herum. Vielleicht keine schöne Angewohnheit - aber immerhin nicht gesundheitsschädlich.