Stand: 10.09.2016 12:00 Uhr

Ein amerikanischer Traum in Quickborn

Einen kostenlosen VW für die Ehefrau

Richard J. Neutra: Ein visionärer Architekt

In den USA ist Richard Joseph Neutra zu einem der bedeutendsten Architekten seiner Zeit aufgestiegen. Geboren ist er 1892 in Wien, 1923 siedelte der Österreich nach Nordamerika über. Bald gründete er in Kalifornien sein eigenes Büro und machte sich mit seinen Privat-Villen einen Namen. Zudem verfasste er viele Architektur-Schriften, in denen er für seinen Biorealismus warb: Die Bewohner sollten der Natur nahe sein. Neutra gilt als einer der wichtigsten Vertreter des modernen Internationalen Stils. 1959 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Aber erst in den 60er-Jahren entstanden einige Bauten in Deutschland. Neutra starb 1970 bei einem Besuch in Wuppertal im Alter von 78 Jahren an Herzversagen.

Den Bewobau-Herren in Hamburg bescherte die Siedlung manch unruhige Nacht. 22 Millionen Mark hatten sie ausgegeben- und dann wollte dort niemand wohnen. "Die jungen Ehefrauen befürchteten, grüne Witwen zu werden - also auf dem Land zu versauern", sagt Hausbesitzer Hans-Peter Gundermann. Die Bewobau versprach deshalb als Kauf-Anreiz, einen VW für die Ehefrau kostenlos dazugegeben. Aber auch das fruchtete nicht. "Ich kenne niemanden, der auf das Angebot mit dem VW eingegangen ist", sagt Hilmer Goedeking von der Neutra-Gesellschaft.

Billig-Bungalows statt Tennisplätze

Erst als die Bewobau notgedrungen die Kaufpreise änderte, besserte sich die Lage. Zudem wurden etliche Bungalows vorübergehend zur Miete angeboten. Aber so manches fiel aus Kostengründen weg - zum Beispiel die geplanten Tennisplätze in der Siedlung. Stattdessen baute die Bewobau auf dem Gelände nach eigenen Entwürfen schlichtere und vor allem günstigere Bungalows - ohne Keller, ohne Einbauschränke und ohne angelegten Garten.

Mit Baumarkt-Artikeln verunstaltet

Ein Bungalow auf der Marienhöhe in Quickborn © NDR.de Foto: Marc-Oliver Rehrmann
Weil sich die Neutra-Häuser zunächst schlecht verkauften, baute die Bewobau später günstigere Bungalows wie diesen nach eigenen Entwürfen.

Im Laufe der Jahrzehnte haben viele Besitzer ihre Bungalows mehr oder minder stark verändert. Manche haben ihre Garage zu einem Wohnraum umgestaltet, andere einen Anbau auf ihr Grundstück gesetzt. Die Wertschätzung für die Neutra-Bauten sei heute vielerorts verloren, stellte ein Gutachter im Auftrag des Landesamtes für Denkmalpflege im Jahr 2006 fest. "Die gestalterische Umsetzung der individuellen Wünsche wird in der Regel durch das überquellende Sortiment der Baumärkte bestimmt", heißt es in dem Gutachten. Längst habe ein Generationswechsel stattgefunden; viele der ersten Eigentümer hätten Richard Neutra noch persönlich gekannt. Es müsse wieder das Bewusstsein für diese in Schleswig-Holstein einmalige und herausragende Architektur geschärft werden, forderte der Gutachter.

Erbitterter Streit über Denkmalschutz

Und doch stehen seit 2006 fast alle Quickborner Richard-Neutra-Bungalows auf der Denkmalliste des Landes Schleswig-Holstein. Dieser Schritt war in der Siedlung sehr umstritten. "Einige habe das Vorhaben unterstützt, weil die Siedlung ja ein Unikat ist", erzählt Hans-Peter Gundermann. Andere wollten sich nicht vom Denkmalamt hereinreden lassen. "Über Denkmalschutz-Streit sind hier in der Siedlung Freundschaften auseinandergebrochen", berichtet das Ehepaar Gundermann. Etliche Nachbarn zogen vor Gericht, sogar der Landtag in Kiel befasste sich mit dem Thema. Schließlich einigten sich beide Seiten. "Die Denkmalschützer hätten die ganze Sache den Leuten hier einfach besser erklären sollen", meint Haidi Gundermann. Dann hätte sich der Streit gar nicht erst so hoch geschaukelt.

Der Wert der Häuser steigt

Inzwischen sind viele Hausbesitzer froh über den Denkmal-Status. So auch die Familie Sangkuhl, die seit etwa fünf Jahren in der Siedlung lebt. Nachdem sie ihren Bungalow gekauft hatten, mussten sie das marode Haus erst aufwendig sanieren. Die Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege sei gut gewesen, sagt Kolja Sangkuhl. Er freut sich über die staatliche Förderung. So seien die hohen Sanierungskosten leichter zu verschmerzen gewesen. Hinzu kommt: Seitdem die Richard-Neutra-Häuser unter Denkmalschutz stehen, seien die Immobilienpreise überdurchschnittlich gestiegen, teilt die Richard J. Neutra-Gesellschaft mit. "Wer dort ein Haus besitzt, kann sich glücklich schätzen", sagt Goedeking.

"Normale Fenster könnten wir nicht mehr ertragen"

Auch die Gundermanns bereuen den Umzug von Hamburg nach Quickborn vor knapp 50 Jahren nicht. "Wir fühlen uns hier weiterhin sehr wohl", sagt der 85-jährige Hausbesitzer Hans-Peter Gundermann. "Das haben wir auch dem zweiten Sohn von Richard Neutra erzählt, als er kürzlich hier in der Siedlung zu Besuch war." Und seine Frau ergänzt - mit Blick vom Sofa auf die riesigen Glas-Schiebetüren, die in den Garten hinausführen: Normale Fenstergrößen könnten sie gar nicht mehr ertragen. Auch die Besucher seien fasziniert. "Jeder, der zu uns kommt, sagt: 'Mensch, ist das toll bei euch!'"

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 26.10.2014 | 19:30 Uhr

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