Ein amerikanischer Traum in Quickborn
"Die Richard-Neutra-Bauten passen zu Quickborn wie ein Iglu in die Wüste", hat Quickborns Bürgermeister einmal gesagt. So erzählen es sich gerne die Bewohner der Siedlung. Das Zitat zeigt, wie stiefmütterlich die Kleinstadt im Kreis Pinneberg mit ihrem Architektur-Schatz umgeht. Erst seit diesem Sommer stehen dort zwei Stelen, die auf die Bedeutung der Bungalow-Siedlung hinweist. Von einem "einzigartigen Zeugnis innerhalb der europäischen Nachkriegsmoderne" ist die Rede. Anfang der 1960er-Jahre hatte Richard J. Neutra von der Hamburger Wohnungsbaugesellschaft Bewobau den Auftrag für eine Bungalow-Siedlung in Quickborn erhalten.
Ein Großmeister in der Provinz
Warum nahm der Stararchitekt den Auftrag für die norddeutsche Provinz an? "Ihm lag der Wohnungsbau sehr am Herzen", weiß Hilmer Goedeking von der Richard J. Neutra-Gesellschaft. "Die Villen-Bauten in Kalifornien sah er eher als eine Art Vorstufe an. Neutra war froh, dass er seine Idee von einer zusammenhängenden Siedlung in Deutschland verwirklichen konnte." Die Bewobau habe, so Goedeking, mit dem ehrgeizigen Projekt den Mittelstand als neue, moderne Kaufgruppe ins Visier nehmen wollen. Der US-Architekt galt als Ideal-Besetzung. "Neutra war damals der Groß-Guru unter den Architekten", sagt Goedeking im Gespräch mit NDR.de. "Er hatte einen exzellenten Ruf." Er sei in seiner Arbeit detailversessen gewesen, auch in Quickborn habe er sich auf der Baustelle umgesehen. In seinem Lebensstil sei Neutra hingegen sehr bescheiden gewesen. So habe er bei seinen Deutschland-Besuchen gerne in Jugendherbergen übernachtet, erzählt Goedeking.
Kaum jemand wollte die Bungalows
Die Neutra-Bauten auf der Quickborner Marienhöhe entstanden in den Jahren 1962 und 1963. Aber von den ursprünglich 190 geplanten Bungalows ist nur etwa Drittel gebaut worden. Aus einem einfachen Grund: Die Häuser verkauften sich ausgesprochen schlecht. Sogar das Nachrichten-Magazin "Der Spiegel" berichtete im August 1964 über das Desaster - in einem Artikel mit der Überschrift "Schlecht geträumt": "Der Name des Architekten versprach viel, aber von 67 Neutra-Häusern in Quickborn bei Hamburg sind bis jetzt erst vier verkauft, obwohl die Siedlungen seit anderthalb Jahren im Bau und fast fertiggestellt sind." Der Bewobau-Direktor Friedrich Wilhelm Krüger - Vater von Komiker Mike Krüger - musste ernüchtert feststellen: "Der Kreis der Menschen, die solche Häuser kaufen, ist doch sehr klein." Gesucht waren finanzkräftige und zugleich "intellektuell anspruchsvolle" Kunden.
Architektonische Ufos
Die Bauten trafen einfach nicht den vorherrschenden Geschmack der Zeit. "Die Neutra-Häuser sind damals architektonische Ufos gewesen", sagt Goedeking. Die großen Glasflächen seien ungewohnt gewesen. Zudem waren die Häuser recht dicht aneinander gebaut, gemessen am vorherrschenden Villen-Ideal der Gutbetuchten. Nur zwölf der 67 Grundstücke sind größer als 1.000 Quadratmeter. 44 Häuser stehen sogar als Zwillingsbauten Wand an Wand. Zudem waren die Bauten teuer, weil sie höchsten Ansprüchen genügen sollten. Und so wollte kaum jemand für so viel Geld nach Quickborn ziehen - in die Abgeschiedenheit des "Garten- und Erholungsstädchens" (Eigenwerbung der Stadt Quickborn). Der "Spiegel" schrieb: "Quickborn gilt in Hamburg kaum als Adresse, die 200.000 Mark oder mehr wert wäre."
"Wir waren gleich hellauf begeistert"
Auch für das Ehepaar Gundermann war Quickborn zunächst keine Traum-Adresse. "Ich wollte nicht so weit draußen wohnen", erzählt die heute 82 Jahre alte Haidi Gundermann. Sie zog 1968 mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern aus Hamburg in einen der größten Bungalows der Siedlung. "Wir waren von dem Haus mit seinem großen Fenstern gleich hellauf begeistert", sagt Hans-Peter Gundermann. Aber erst als die Bewobau den Kaufpreis von 280.000 Mark auf 200.000 Mark senkte, griff das junge Ehepaar zu. In Hamburg hätten sie für diesen Betrag nur ein viel kleineres Haus bekommen.
Nach dem Einzug fühlten sich die Gundermanns schnell wohl. Die Kinder hätten viel Platz zum Spielen gehabt und die Nachbarschaft sei sehr feierfreudig gewesen. Für die Freunde aus Hamburg sei Quickborn völlig unbekannt gewesen. "Wenn wir zu uns nach Hause einluden, kamen die Gäste meist viel zu früh an", erinnert sich Haidi Gundermann. Sie hätten gedacht, dass die Fahrt von Hamburg viel länger dauert. "Das Problem war dann, dass mein Essen noch nicht fertig war", schmunzelt die 82-Jährige.
- Teil 1: Ein Großmeister in der Provinz
- Teil 2: Einen kostenlosen VW für die Ehefrau