Husum: Groß durch Ochsenfleisch
Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute - möglichst aufgenommen von exakt derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". So wollen wir den Wandel der Städte im nördlichsten Bundesland dokumentieren. NDR Autoren tauchen in die Stadtarchive ein. Dabei fördern sie persönliche Geschichten und historische Aufnahmen zu Tage, die teilweise in großem Kontrast zur Gegenwart stehen. Ein interaktiver Foto-Vergleich macht das besonders deutlich.
von Werner Junge
Aufschwung! Schon seit dem Mittelalter war Husum ein wichtiger Platz für den Viehhandel über das System des Ochsenweges. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts an bekam alles eine neue Dimension. England stieg zur ersten Industriemacht auf. Das neue Heer der Arbeiter musste ernährt werden. Englische Banker und Reedereien importierten nun vor allem über Tönning Rinder und Schafe zu Tausenden. Gehandelt wurde vor allem in Husum.
Die Hohle Gasse - vom Hafen wird Vieh zum Markt hoch in die Neustadt getrieben, ein vertrauter Anblick bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute schlendern Touristen durch die Hohle Gasse. Sie verbindet den Binnenhafen und die Großstraße, die Husumer Einkaufsmeile.
Husum und Tönning waren seit 1854 durch die König-Friedrich-VII.-Südschleswigsche-Eisenbahn mit Flensburg verbunden. Die Aktie hieß nicht "König-" oder dänisch "Kong-Frederik-", sondern "King-Frederik VII-", denn sie wurde an der Börse in London gehandelt. Auch an den Krediten für Jungvieh - den sogenannten "Gräserkrediten" - verdienten in den ersten Jahrzehnten englische Banker.
Marschbahn liefert Vieh aus Husum
Erst 1871 wurde eine Tönninger Dampfschifffahrtsgesellschaft gegründet, vier Jahre später die erste Bank. Nun wurde hier auch am Geld und Transport verdient. 1888/89 brach im Deutschen Reich die Maul- und Klauenseuche aus. England verbot den Import von deutschem Vieh. Doch der Viehmarkt in Husum brach nicht zusammen. 1887 hatte die Marschbahn Husum erreicht. Nun versorgte der Husumer Viehmarkt die Menschen in den aufstrebenden deutschen Industriegebieten. Erst in den 1920er-Jahren kam mit der Agrarkrise der große Einbruch für den Husumer Viehmarkt.
Rinder, Rinder, Rinder - noch in den 1950er-Jahren waren alle Boxen auf dem Viehmarkt im Schatten des Wasserturms in Husum besetzt. Heute erinnert kaum noch etwas an die große Zeit des Viehhandels.
Schafbockauktion erinnert an Viehhandel
Die Zeit des Viehhandels dauerte auf dann stark reduziertem Niveau bis Ende der 1960er-Jahre. Heute gibt es nur noch jährlich die Schafbockauktion. Doch die ist nicht mehr am alten Platz im Schatten des Wasserturms. Dort steht seit 1970 das Kreishaus des damals neuen Kreises Nordfriesland. Auch die lange Jahre prägende ehemalige Flugzeughalle ist verschwunden, dort steht inzwischen ein Block für altersgerechtes Wohnen. Damit ist es auch vorbei mit dem aufregenden Leben in der Husumer Neustadt. Der Markt war flankiert von Gaststätten. Die hatten alle auch Ställe im Hof und waren - modern ausgedrückt - "Homeoffice" des Viehhandels.
Die Großstraße mit Blick auf das Rathaus und die 1833 nach Plänen des dänischen Staatsbaumeister C.F. Hansen vollendete zweite Husumer Marienkirche. Stark verändert haben sich die Hauszeilen zu beiden Seiten der Großen Straße. Zur Zeit entsteht in Nachfolge zum ehemaligen Karstadtbau ein neues Geschäftezentrum. Die Blickachse ist aber nach wie vor typisch Husum.
Dreimal einschlagen: Kuh verkauft
Ulf von Hielmcrone, Präsident der Nissen-Stiftung, erzählt von den Regeln. Bezahlt wurde bar, besiegelt wurde ein Kauf durch dreimaliges Einschlagen. Kam es zum Streit über einen Handel, fragte der Amtsrichter als erstes: "Ist dreimal eingeschlagen worden?" Wurde das bejaht, war über diesen Deal nicht mehr zu verhandeln. Die Händler waren an ihren weißen Kitteln zu erkennen - dazu kam oft ein steifer Hut. Die prallgefüllten Lederbeutel, sogenannte Geldkatzen, wurden in den Kneipen einfach an den Stuhl oder den Garderobenhaken gehängt. Jeder wusste: Hier kam nichts weg. In den Gaststuben durchmischte sich der Tabakqualm und der leichte Geruch nach Kuh mit dem typischen Duft von Kümmel. Neben Husumer Bier wurde Teepunsch getrunken - und das in beachtlichen Mengen. Am Ende sei nicht mehr nach Tassen sondern Quadratmetern abgerechnet worden, so geht die Mär. Seit den 1920er-Jahren schrumpfte der Viehmarkt. 40 Jahre später kam das Aus. Die Abnehmer fuhren nun zu den Landwirten und die Tiere direkt per Lkw in die Schlachthäuser.
Ein pferdebespannter Rollwagen und ein Rungenwagen der Eisenbahn stehen vor dem Mühlenbetrieb Leonhard Jacobsen. Heute ist in dem Gebäude das Kulturzentrum "Speicher" untergebracht und bringt große Kleinkunst in die nordfriesische Kreisstadt.
- Teil 1: Marschbahn liefert Vieh aus Husum
- Teil 2: Tinebrunnen erinnert an die große Zeit
- Teil 3: Husum wird rebellisch