Straßenbahn der Linie 13 mit HVV-Werbung im Jahr 1969. © Hamburger Hochbahn

HVV - Der Pionier des öffentlichen Nahverkehrs

Stand: 30.11.2020 09:17 Uhr

Ein Tarif, ein Ticket, ein Fahrplan: Mit diesen Zielen ist am 29. November 1965 in Hamburg der weltweit erste Verkehrsverbund gegründet worden. Der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) war Pionier und Vorbild im öffentlichen Nahverkehr.

von Heiko Block, NDR.de

Bis dahin brauchten Hamburger, wenn sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln von A nach B kommen wollten, bis zu sieben verschiedene Tickets, viel Geduld und eine Portion Abenteuerlust: Umsteigen von der U-Bahn in die S-Bahn, von der S-Bahn in den Bus, dann auf die Fähre - und jedes Mal eine neue Fahrkarte kaufen. Fahrpläne, die nicht aufeinander abgestimmt waren, sondern in Konkurrenz zueinander standen. Mit der Gründung des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV) am 29. November 1965 als weltweit erstem Verkehrsverbund wurde dies anders. Die Hansestadt war damit Pionier und Vorbild für einen integrierten öffentlichen Nahverkehr.

HVV wächst in 55 Jahren auf gut 10.000 Haltestellen

War es zunächst ein Zusammenschluss von vier Unternehmen, arbeiten heute sieben Kreise, drei Länder und 23 Verkehrsunternehmen im HVV eng zusammen. Rund 795 Millionen Fahrgäste waren 2019 an insgesamt 10.359 Haltestellen im HVV unterwegs. Ein Zuwachs um 1,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Historiker Frahm: HVV muss Bedürfnisse analysieren

Daniel Frahm, Hochbahn-Historiker, auf dem Betriebshof in Barmbek. © NDR Foto: Heiko Block
Historiker Daniel Frahm schrieb unter anderem die meisten Texte für die Sonderausgabe des HVV-Magazins zum 50. Geburtstag 2015.

"Seit der Gründung wird beim HVV immer wieder analysiert, wie sich die Bedürfnisse der Fahrgäste entwickeln", sagt Daniel Frahm. Der Historiker schreibt unter anderem für das Hochbahn-Blog und hat das historische Archiv für die Hamburger U-Bahn mit aufgebaut. "In der Anfangszeit des HVV hat man sich zum Beispiel ernsthaft Gedanken über den steigenden Fernseh-Konsum und die Auswirkungen auf den Nahverkehr gemacht. 1965 gab es etwa 700.000 TV-Anschlüsse, das wird im ersten HVV-Geschäftsbericht thematisiert. Man hatte Befürchtungen, dass die Menschen abends lieber zu Hause bleiben. Auch heute müssen die Verkehrsbetriebe am Puls der Zeit bleiben", so Frahm. Nicht nur technisch mit neuen Fahrzeugen, sondern auch mit neuen Mobilitätsangeboten wie zum Beispiel HVV Switch, das den HVV mit Car- und Bikesharing-Anbietern und Shuttle-Diensten verbindet.

Für Frahm ist eine Stadt ein lebender Organismus: "Die Verkehrslinien sind die Lebensadern, die ständig angepasst werden müssen. Der HVV muss sich stetig verändern - sonst würde er keinen Sinn mehr machen." Man müsse immer schauen, wohin Hamburg wachse - und darauf reagieren.

Alles begann mit Pferde- und Straßenbahnen

Hamburgs ÖPNV hat bereits eine lange Tradition. Ab Oktober 1839 fuhren vier Pferdewagen mit je bis zu 13 Passagieren vom Steintor in Hamburg zur Palmaille im damals noch dänischen Altona. Um 1900 hatte Hamburg über 700.000 Einwohner, Pferde- und auch die Straßenbahnen stießen deshalb an ihre Kapazitätsgrenzen. Für Entlastung sorgte 1906 die sogenannte Vorortbahn, eine Erweiterung der bisherigen Verbindungsbahn. Grundlegend modernisiert wurde der ÖPNV durch die 1912 eröffnete Ringlinie, Hamburgs erste U-Bahn. Zusammen mit ersten Buslinien entstand so ein dichtes Netz verschiedener ÖPNV-Systeme - jedoch mit unkoordinierten Fahrplänen und Tarifen.

Die Zersplitterung in verschiedene Betreibergesellschaften war jahrzehntelang ein Problem. Der Senat setzte deshalb 1954 die "Kommission für Verkehrsfragen" ein. Ein Jahr später empfahl diese einerseits neue Stadtautobahnen für den stetig wachsenden Autoverkehr, andererseits den Ausbau des U-Bahn-Netzes.

Hochbahn-Idee war Grundstein für HVV

Vertragsunterzeichnung bei HVV-Gründung im Hamburger Rathaus. © DB Museum Hamburg
Die Unterzeichnung des HVV-Gründungsvertrags (v.l.n.r.): 2. Bürgermeister Engelhard, DB-Präsident Oeftering, 1. Bürgermeister Weichmann, Bundesbahndirektions-Präsident Petzoldt, HHA-Vorstandschef Mroß und VHH-Vorstand Tappert.

Da im öffentlichen Nahverkehr die Fahrgastzahlen zurückgingen, regte Hochbahn-Vorstandschef Max Mroß 1960 an, alle im Großraum Hamburg tätigen Verkehrsunternehmen rechtlich, organisatorisch und wirtschaftlich derart eng miteinander zu verbinden, dass die Eigeninteressen weitgehend aufgelöst werden. Ziel: eine Verknüpfung von Linien, Fahrplänen und Tarifen. Auf Grundlage der Hochbahn-Vorschläge begannen Gespräche. Fünf Jahre lang wurde intensiv verhandelt - bis am 29. November 1965 schließlich die Gründung des HVV im Kaisersaal des Rathauses besiegelt wurde.

Frahm bezeichnet das Papier des Hochbahn-Chefs als HVV-Grundstein: "Das war damals eine innovative Idee. Es war nicht abzusehen, ob sie erfolgreich wird. Aber dann pilgerte plötzlich halb Europa hier nach Hamburg. Experten kamen, um sich über das revolutionäre Modell zu informieren." Der HVV sei Vorreiter gewesen. Selbst in Weltstädten wie London und Paris gab es nichts Vergleichbares.

VIDEO: Heimatkunde: Der HVV (3 Min)

Letzte Straßenbahn fährt 1978

Im Gegenzug zum Ausbau der S- und U-Bahnen wurde das Straßenbahnnetz in der Hansestadt reduziert. Von einstmals 187 Kilometern im Jahr 1955 waren 1971 nur noch 72 Kilometer übrig, bevor am 30. September 1978 schließlich auch die Linie 2 zu ihrer letzten Fahrt aufbrach und mehr als 300.000 Hamburger auf dem Rathausmarkt Abschied von der Straßenbahn nahmen. Persönlich erlebt hat Frahm die Straßenbahn nicht mehr. "Ich kann mich aber noch an die große Baustelle erinnern vor unserem Haus in der Ludolfstraße, als die Schienen entfernt wurden", so der Historiker.

U4 wird 2012 eingeweiht - U5 in Planung

Um den ÖPNV weiter zu fördern, beschloss die Bürgerschaft 1990 unter anderem den behindertengerechten Ausbau von Haltestellen, die Ausweitung des P+R-Angebots, die Beschleunigung des Busverkehrs, die Modernisierung der Fahrzeuge und den Bau einer S-Bahn zum Flughafen. Diese wurde schließlich im Dezember 2008 eingeweiht. Neues Terrain erschließt seit November 2012 die U-Bahn-Linie 4. Sie führt von Billstedt über Jungfernstieg in die neue HafenCity und von dort bis zu den Elbbrücken. Die Linie U5, die den Nordwesten und den Nordosten mit der Innenstadt verbinden und fahrerlos betrieben werden soll, ist - mit deutlichen Verzögerungen - in Planung. Mit dem Bau will die Hochbahn nach eigenen Angaben Ende 2021 beginnen.

HVV-Statistik damals und heute
19672019
Verbundgebiet3.000 Quadratkilometer8.616 Quadratkilometer
Einwohner im HVV-Gebiet2,4 Millionen3,53 Millionen
Verkehrsunternehmen8 (bei Gründung 1965: 4)23
Linien177763
Streckenlänge1.635 Kilometer14.966 Kilometer
Haltestellen2.18110.359
Fahrgäste406 Millionen795,5 Millionen

An neuen Projekten mangelt es im HVV also nicht. Aber nicht alle Planungen und Ideen für Verkehrsprojekte in Hamburg wurden in der Vergangenheit auch umgesetzt. Eine geplante Stadtbahn wurde bei den rot-grünen Koaltitionsverhandlungen 2015 zugunsten des U-Bahn-Ausbaus vorerst kassiert. Und auch eine von privaten Investoren geplante Seilbahn über die Elbe in St. Pauli wurde von der Bevölkerung abgelehnt. Ein ebenfalls luftiges Projekt, das in den 1960er-Jahren zwar geplant, aber nie eingesetzt wurde: die Kabinenbahn. Diese sollte in etwa fünf Metern Höhe durch Hamburg fahren. In der Innenstadt sollten für das Kabinenbahn-Netz hohe Pfeiler aufgestellt werden. "Dieses Vorhaben wurde ernsthaft diskutiert, aber nicht umgesetzt. Es sah nicht schön aus und war wohl auch zu teuer", so Historiker Frahm. "Zudem hätten nur jeweils zwei bis vier Leute in den Gondeln der sogenannten C-Bahn mitfahren können." Klingt nicht nach einem vielversprechenden Zukunftsprojekt - aber man darf gespannt sein, was den Verkehrsplanern als nächstes einfällt.

Wichtige Stationen der HVV-Geschichte 

1965: Gründung des HVV

Am 29. November 1965 wird der HVV gegründet - der erste Verkehrsverbund weltweit. Gesellschafter sind die Hamburger Hochbahn AG (HHA), die Deutsche Bundesbahn (DB) mit S-Bahn und Stadtbussen und die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (VHH). Die Hafen-Dampfschifffahrt AG (HADAG) und die Hamburg-Blankenese-Este-Linie sind über die HHA mit dem HVV verbunden.

 

Zoom-Bild
HVV Netzplan © HVV

Der HVV-Linienplan von 1969

Blick zurück in das Jahr 1969. Hier sehen Sie den Fahrplan vier Jahre nach der Gründung des HVV. Klicken Sie auf das Bild, um den Zoom zu aktivieren. mehr

HVV Netzplan 2020 © HVV

Der HVV-Linienplan von 2020

So sieht der Fahrplan 55 Jahre nach der Gründung des HVV aus. Klicken Sie auf das Bild, um den Zoom zu aktivieren. mehr

Blick auf die Strecke zwischen Landungsbrücken und Baumwall im Juni 1912 © Hochbahn Hamburg

Wie Hamburgs Untergrund in Fahrt kam

Am 15. Februar 1912 eröffnet in Hamburg die erste U-Bahnlinie. Buchstäblich zügig nimmt eine Erfolgsgeschichte ihren Lauf. mehr

Eine Hamburger Straßenbahn der Linie 3, Eidelstedter Platz, 1961 © Archiv VVM (Verein Verkehrsamateure und Museumsbahn e. V.) - Helmut Grevsmühl Foto: Helmut Grevsmühl

Als Hamburg seine Straßenbahn aufs Abstellgleis schickte

Am 1. Oktober 1978 fuhr in Hamburg die letzte Straßenbahn. Sie passte nicht mehr in das damalige Ideal der "autogerechten Stadt". mehr

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 29.11.2020 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Die 60er-Jahre

Öffentlicher Nahverkehr

Mehr Geschichte

"Stern"-Reporter Gerd Heidemann am 25.04.1983 mit den vermeintlichen Dokumenten, den "Hitler-Tagebüchern". © picture alliance/dpa Foto: Cornelia Gus

"Hitler-Tagebücher"-Skandal: Ex-"Stern"-Reporter Heidemann tot

Sein Name ist verbunden mit einem der größten Medienskandale Deutschlands: Gerd Heidemann. Er starb jetzt im Alter von 93 Jahren in Hamburg. mehr

Norddeutsche Geschichte