Der Harz: Wie der Bergbau die Landschaft verändert hat
Jahrhundertelang haben die Menschen im Harz mit und vom Bergbau gelebt. Mit der Bergfreiheit in St. Andreasberg 1521 konnte jeder nach Bodenschätzen suchen. Das Aus für die Grube "Hilfe Gottes" in Bad Grund 1992 beendete die Ära.
Vor gut 500 Jahren erlebt der Harz einen "Goldrausch": Mit der Bergfreiheit in St. Andreasberg 1521 darf ein jeder dort nach Bodenschätzen suchen - und die Menschen vor Ort nutzen das. Sie erschließen sich die unterirdische Landschaft und leben fortan von und mit dem Bergbau. Der verändert die Region nicht nur wirtschaftlich, sondern auch die Naturlandschaft.
"Schwarze Höhle. Erleuchteter Kamin. Flammen, Geprassel. Rauch, Zug, Glut. Funken sprühen, Knall, dumpfes Getöse der springenden Felsen." Johann Wolfgang von Goethe
So beschreibt Johann Wolfgang von Goethe seine Eindrücke aus einem Stollen des Harzer Bergwerks Rammelsberg im Jahr 1784. Was er beobachtet, ist das sogenannte Feuersetzen, bei dem die Bergarbeiter das Gestein mittels großer Feuer sprengen, um die wertvollen Erze zu gewinnen. Goethe ist damals Bergbauminister in Thüringen und studiert auf seiner Reise die Techniken der Harzer Bergmänner - denn diese sind bekannt für ihr umfangreiches Wissen, das schon damals Jahrhunderte zurückreicht.
Die Anfänge der Bergbaus im Harz
Denn im Harz wird schon seit dem Mittelalter systematisch geschürft, am Rammelsberg bereits mindestens seit dem Jahr 968. Ein 2021 in einem bis dato unzugänglichen Schacht gefundenes Stück Leder könnte laut Forschern gar aus dem 9. Jahrhundert stammen. Andere Funde belegen, dass Harzer Erze sogar bereits in der Bronzezeit verarbeitet wurden. Im 12. und 13. Jahrhundert erlebt der Bergbau im Oberharz eine erste Blütezeit. Bleiglanz, Kupfer, Zink und vor allem das begehrte Silber - das Mittelgebirge ist reich an Bodenschätzen.
Zunächst gewinnen die Bergleute vor allem Erze, die nah an der Erdoberfläche liegen, später müssen sie immer weiter in den Berg vordringen. Doch Tiefen von mehr als 60 Metern sind für die Menschen des Mittelalters nicht mehr zu überwinden - der Bergbau gelangt an seine technischen Grenzen. Hinzu kommt im 14. Jahrhundert die Pest, die ganze Landstriche entvölkert.
Bergfreiheit lockt Menschen in den Harz
Erst im 16. Jahrhundert bricht für den Harzer Bergbau eine neue Ära an. Der Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, Heinrich der Jüngere, erlässt 1521 und 1527 die sogenannten Bergfreiheiten, um Bergleute anzulocken. Sie garantieren unter anderem Steuerfreiheit, Erlaubnis zur Jagd, freien Bezug von Bau- und Brennholz sowie die Freiheit von Herrendiensten - immense Privilegien in einer Zeit, in der vielerorts die Leibeigenschaft vorherrscht.
Sankt Andreasberg im Silberrausch
Mit dem großen "Bergschrei" - der Nachricht bedeutender Silberfunde - beginnt in dem kleinen Ort Sankt Andreasberg ein regelrechter Silberrausch: Scharenweise zieht es die Menschen dorthin - neben Bergleuten aus dem Erzgebirge auch Abenteurer und Glücksritter. Der Bergbau boomt: Bereits 1537 sind allein in Sankt. Andreasberg 115 Gruben in Betrieb, um 1570 wohnen bis zu 8.000 Menschen in der Bergstadt - etwa viermal so viele wie heute. Innerhalb weniger Jahrzehnte entstehen insgesamt sieben freie Bergstädte mit weit reichenden Privilegien wie Zollfreiheit, Marktrechten und einer eigenen Gerichtsbarkeit - neben Sankt Andreasberg die Orte Altenau, Clausthal, Grund, Wildemann, Zellerfeld und Lautenthal.
Der Bergbau im Harz verändert den Wald
Der Bergbau lockt nicht nur viele Menschen an, er verändert auch die Landschaft des Mittelgebirges. Große Mengen Holz sind erforderlich, um die Schächte abzustützen und das Gestein mithilfe des Feuersetzens aufzubrechen, und so werden immer mehr Bäume in der waldreichen Region gefällt. Um sie zu ersetzen, werden meist Fichten gepflanzt - genügsame, schnell wachsende Bäume, die ebenso schnell wieder zu Bauholz verarbeitet werden können.
Doch die Monokulturen sind anfällig: In schweren Stürmen knicken sie weitflächig um wie Streichhölzer - und bieten dem Borkenkäfer ideale Bedingungen. Allein zwischen 1770 und 1800 vernichtet eine verheerende Borkenkäferplage, die "Große Wurmtrocknis", Tausende Hektar Fichtenwald.
Kulturfrauen forsten nach dem Krieg den Wald wieder auf
Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg kommt es zu einem wahren Raubbau an den Harzer Wäldern, das Holz wird erst für Kriegsvorbereitungen, nach 1945 für den Wiederaufbau, zum Heizen sowie für Reparationszahlungen an die Briten gebraucht. Viele Hänge sind in der Nachkriegszeit vollständig entwaldet. Als eine Art "Trümmerfrauen des Waldes" beginnen sogenannte Kulturfrauen mit der Wiederaufforstung und pflanzen unermüdlich junge Bäume. Ihre Arbeit wird in der 50-Pfennig-Münze verewigt: Sie zeigt eine Frau die eine Eiche pflanzt.
Allerdings forsten auch die Kulturfrauen nicht mit Eichen, sondern vorwiegend mit Fichten auf. Bis heute dominieren sie die Wälder im Harz - und liegen derzeit oft im Sterben. Denn Fichten sind besonders anfällig für den Klimawandel und dessen Folgen wie Wärme, Trockenheit und Stürme.
Kanäle, Stauteiche, Dämme: Der Bergbau zähmt das Wasser
Neben Holz ist Wasser für den Bergbau unerlässlich. Bereits im 16. Jahrhundert nutzen die Bergleute systematisch die Wasserkraft, fangen Niederschläge auf und zapfen weit entfernte Bäche an, um Wasser in Stauseen und Auffangbecken umzuleiten. Von dort fließt es durch ober- und unterirdische Gruben und Kanäle in die Bergwerke, um Wasserräder anzutreiben und die Pumpen zum Laufen bringen, mit denen die Bergleute die Stollen trockenlegen. Denn das aus dem umliegenden Gestein einsickernde Wasser muss aus den Gruben wieder herausbefördert werden - die Bergleute bekämpfen das Wasser mit Wasser.
Stauteiche stellen sicher, dass auch in regenarmen Perioden stets genügend Wasser bereitsteht. Zu ihnen zählt unter anderem der Oderteich, die älteste Talsperre Deutschlands. Er entsteht ab 1715, um die Bergwerke von Sankt Andreasberg mit Wasser zu versorgen. Später treibt die Wasserkraft auch die sogenannten Fahrkünste an, die dazu dienen, Bergleute und Material in einer Art einfachen Aufzug zu ihren bis zu 600 Meter tiefer gelegenen Einsatzorten zu befördern.
Ab dem 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts entsteht im Harz ein ausgeklügeltes Wasserleitsystem, zu dem rund 500 Kilometer Gräben, 120 Stauteiche, etwa 30 Kilometer unterirdischer Wasserläufe und 100 Kilometer Wasserlösungsstollen zählen. Sie prägen den Charakter der Landschaft bis heute und stehen wegen ihrer historischen Bedeutung als Oberharzer Wasserwirtschaft seit 2011 als UNESCO-Welterbe unter Schutz.
Das Ende des Bergbaus im Harz
Über Jahrhunderte bleibt der Bergbau der wichtigste Pfeiler der Wirtschaft im Harz. Bis ins 19. Jahrhundert werden immer neue Erzvorkommen erschlossen. Doch nach und nach erschöpfen sich die Minen, zugleich sinken die Weltmarktpreise, sodass sich der Abbau immer weniger lohnt. Nach knapp 500 Jahren schließt im Jahr 1910 die Grube Samson in Sankt Andreasberg, bis 1930 stellen auch fast alle anderen Gruben im Oberharz den Betrieb ein. Erst 1988 folgt der Rammelsberg bei Goslar. Über 1.000 Jahre hatte man dort nach Erzen geschürft.
Förderstopp in der Grube "Hilfe Gottes" beendet eine Ära
Vier Jahre später, am 28. März 1992, wird auch die Förderung in der Grube "Hilfe Gottes" in Bad Grund eingestellt - sie gehört zum letzten deutschen Erzbergwerk, in dem bis dahin noch Blei und Zink gefördert wurden. Mit Spielmannszug und dem letzten Förderwagen aus der Tiefe wird symbolisch Abschied genommen. Die 350 Beschäftigten hatten dort bis zu 800 Meter unter der Erde teils Jahrzehnte gearbeitet. "Stempeln" heißt es für viele nun, wie sie dem NDR damals erzählen. Im meist fortgeschrittenen Alter sind die Aussichten, in der Umgebung noch einen Job zu finden, düster. Das stillgelegte Betriebsgelände, so der damalige Plan, soll in Teilen zu Gewerbeflächen umgewandelt beziehungsweise renaturiert werden.
In der Schachtanlage Knesebeck, die zur Grube "Hilfe Gottes" gehört, zeigt das Bergbaumuseum Bad Grund eine umfassende Ausstellung zur Harzer Bergbau-Geschichte und bietet Führungen durch die Industrieanlage und das Stollensystem an.
Mythos Harz: Sagenlandschaft - vom Menschen geprägt
Kilometerlange Stollen, geheimnisvolle Höhlen und Berge voller Schätze inmitten schroffer Klippen und dunkler Wälder: Dieses Bild der Harzlandschaft, maßgeblich von den Schilderungen Goethes und anderer Dichter beeinflusst, prägt uns bis heute und ist. Doch was einst als romantischer Natureindruck beschrieben wurde, war auch damals schon eine vielerorts vom Menschen gestaltete Landschaft. Erst in jüngster Zeit hat eine Umkehr stattgefunden. Ein neuer Mischwald entsteht, Fichten werden zurückgedrängt und Moore wieder vernässt. Die Natur erobert sich den Harz zurück.