Altes Foto des U-Bahnhofs Beimoor bei Großhansdorf © Hamburger Anzeiger

Beimoor: Der Geisterbahnhof der Hamburger U1

Stand: 29.12.2023 05:00 Uhr

Von der Endhaltestelle der Hamburger U-Bahnlinie 1 namens Beimoor sind heute nur noch die Bahnsteigplatte auf dem Bahndamm sowie der zugemauerte Zugangstunnel übrig. Dabei ist die Station 1918 fast vollständig fertiggestellt, geht aber nie in Betrieb.

von Jochen Lambernd

Wer heutzutage in Hamburg mit der U-Bahnlinie 1 unterwegs ist, kennt die Anzeige "Großhansdorf" auf den Zügen. Doch der Ort kurz hinter der östlichen Grenze zu Schleswig-Holstein sollte ursprünglich nicht die Endhaltestelle der U 1 sein. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist geplant, auf der sogenannten Walddörfer-Linie eine weitere Station zu errichten. Ihr Name: Beimoor.

"Irre" vor den Toren der Stadt

1913 geplante "Irrenanstalt" in Beimoor bei Großhansdorf © Archiv Gemeinde Großhansdorf
Die Planungen von 1913 zu einer "Irrenanstalt" sind sehr konkret gewesen.

Die Walddörfer-Linie entsteht bereits ab 1912 zwischen Barmbek und Volksdorf sowie Großhansdorf. Die Verlängerung über Großhansdorf hinaus wird im Juli 1914 nachträglich von Senat und Bürgerschaft beschlossen, "weil der Plan bestand, in Beimoor die 3. hamburgische Irrenanstalt zu bauen", heißt es in der Festschrift zum 700-jährigen Bestehen der Gemeinde von 1974. Außerdem soll eine Siedlung für Arbeiter einer neuen Rüstungsfabrik im angrenzenden Beimoorwald aufgebaut werden. Auch ein Güterbahnhof für die Fabrik ist geplant. Zudem sind die Menschen im östlich angrenzenden Todendorf sehr interessiert an einer Verkehrsanbindung, wie im Hamburger Staatsarchiv aufbewahrte Dokumente belegen.

Es gibt damals sogar Überlegungen, die Bahnstrecke später noch weiter Richtung Norden zum Hansdorfer Kamp zu einer Haltestelle namens Auekämpe zu führen. Doch außer einem sogenannten Brückenwiderlager in Beimoor gibt es dafür keinerlei Bauvorleistungen. Sogar das "Gegenüber" einer Brücke fehlt.

Das Stationsschild ist 1918 schon aufgehängt

Zeichnung des U-Bahnhofs Beimoor bei Großhansdorf von Franz-Josef Süßmilch © Archiv Gemeinde Großhansdorf
Diese Zeichnung fertigt Franz-Josef Süßmilch nach dem Zeitungsfoto des "Hamburger Anzeigers" von 1931.

Von 1915 an laufen die Arbeiten in Beimoor: Der Bahndamm wird aufgeschüttet, die Gleise werden montiert. "Alles war doppelgleisig gebaut und für Vier-Wagen-Züge ausgelegt", schreibt Regina Buck in ihrem Buch "Ach ja, Großhansdorf und das Beimoor". Auch die Abstellgleis-Anlage wird vollständig angelegt. Die Arbeiter errichten einen 60 Meter langen Mittelbahnsteig - inklusive einer Teilüberdachung. Darunter befindet sich der Zugang zum Bahnsteig über ein Treppenhaus sowie die kleine Ein- und Ausgangshalle. Die Grundmauern sind rund 1,60 Meter dick - eine solide Konstruktion. Auf dem Bahnsteig hängt schon das Stationsschild. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs im November 1918 fehlt nur noch die Elektrifizierung. Und "die Schächte mit den Fußabtreter-Rosten vor den Zugangstüren zum Eingangstunnel", wie Buck berichtet.

Haltestelle verliert ihren Sinn

Doch dann kommt alles ganz anders: Der Versailler Vertrag von 1919 untersagt den Deutschen ab dem 10. Januar 1920 jegliche Rüstungsaktivität. Die Waffenfabrik nahe Beimoor darf folglich nicht gebaut werden. Eine Arbeitersiedlung wird nicht mehr gebraucht. Auch die geplante Psychiatrie wird infolge der Finanznöte der Nachkriegsjahre nicht verwirklicht. Die Gründe, in der entlegenen Gegend eine Haltestelle zu errichten, sind innerhalb kürzester Zeit entfallen.

Ausbau der Station Großhansdorf besiegelt das Aus

Die Gleise zwischen der Hoisdorfer Landstraße und Beimoor werden bereits um 1920 komplett abgebaut, das Material wird anderweitig eingesetzt. Mit dem fertigen Bahnhofsgebäude in Beimoor geschieht zunächst einmal nichts: Es verfällt und verkommt.

"Niemand zu Nutze als Rowdyhorden, die ein Gefallen daran fanden, (...) Fensterscheiben zu zertrümmern." "Hamburger Anzeiger" vom 13.03.1931

1932 werden an der Großhansdorfer Station ein zweites Bahnsteiggleis und eine Kehrgleisanlage errichtet. Das ist nicht nur das heutige Ende der U 1, sondern auch das Ende des Beimoor-Projekts. Erschwerend kommt später hinzu, dass Großhansdorf infolge des Groß-Hamburg-Gesetzes von 1937 Schleswig-Holstein zugeschlagen wird.

Metall und Steine entnommen, später Behelfsheim

Der ehemalige U-Bahnhof Beimoor in den 1970er-Jahren © Achiv Gemeinde Großhansdorf
Vor dem ehemaligen Bahnhofsgebäude steht viele Jahre ein Behelfsheim. (Foto: Archiv Gemeinde Großhansdorf)

Noch 1932 reifen Pläne, das Gebäude zu einer Jugendherberge umzubauen. Doch die Kosten - 10.000 Mark werden veranschlagt - sind zu hoch. Während der Nazi-Zeit soll die Hitlerjugend auf der Anlage sogar Schieß- und Sprengübungen durchgeführt haben, wie Ulrich Alexis Christiansen in seinem Buch "Hamburgs dunkle Welten" schreibt. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ist die Überdachung schon so gut wie weg. Während des Kriegs bedient man sich des Materials der Anlage für Rüstungszwecke. Metall ist rar. So wird etwa die stählerne Brückenkonstruktion über die Straße Mielerstede abgebaut. Dort stehen bis heute nur noch die beiden Stützmauern. Die ausgebombten Hamburger holen aus der Beimoor-Ruine auch noch Baumaterial für Behelfsunterkünfte. Nach 1945 wird das Stationsgebäude abgetragen, wie die Fahrgastzeitung "Fahr mit uns" der Hochbahn 1996 berichtet. Aus Sicherheitsgründen werden der Treppenabgang und der Eingang der Anlage 1946 verschlossen.

Ehemaliger U-Bahnhof Beimoor nahe Großhansdorf (Aufnahme von 1980) © NDR Foto: Thomas Bade Verlauf des Bahnsteigs vom ehemaligen U-Bahnhof Beimoor bei Großhansdorf © NDR Foto: Jochen Lambernd

Der Beimoor-Bahndamm im Wandel der (Jahres-)Zeit: Mai 1980 und Oktober 2016

Anfang der 1950er-Jahrewird vor dem Bahnhofsgebäude ein Behelfsheim für zufluchtsuchende Menschen errichtet. Der Zugang zur Anlage wird wieder geöffnet, um mehr Platz für die Bewohner und Lagermöglichkeiten zu schaffen. In den 1960er-Jahren wohnt laut Christiansen ein Jäger mit seiner Familie in dem Behelfsheim. Anfang der 1970er-Jahre zerstört ein Feuer das Heim. Der Eingangsbereich der Anlage wird mit Schutt gefüllt, aber zunächst nicht völlig verschlossen. Erst seit Ende der 1980er-Jahre kann die Anlage nicht mehr betreten werden.

Einmal im Jahr wird der Damm "geschoren"

Gelände des ehemaligen U-Bahnhofs Beimoor, ein "Lost Place" in Großhansdorf nahe Hamburg © NDR Foto: Jochen Lambernd
Der ehemalige Bahnsteig ist im Sommer fast völlig überwuchert. Nur an einigen Stellen lässt sich sein Verlauf so deutlich erkennen wie hier.

Heute ist der Bahndamm vor allem im Sommer fast vollständig überwuchert, junge Sträucher und Bäume wachsen dort. Einmal im Jahr - meist im Herbst - werden der obere Bereich der Anlage und der Damm komplett abgemäht und dann wieder sich selbst überlassen, wie das Umweltamt der Gemeinde im Gespräch mit NDR.de mitteilt. Einige Abschnitte des Bahndamms sind als Trockenrasenbiotop rekultivert worden. Eine botanische Besonderheit in Beimoor ist zudem die Mauerraute, eine Pflanze, die in Norddeutschland eher selten ist. Sie wächst in den Fugen der Stützmauer.

Schnecke, Spinne und Fledermaus sind hier zu Haus

Gelände des ehemaligen U-Bahnhofs Beimoor, ein "Lost Place" in Großhansdorf nahe Hamburg © NDR Foto: Jochen Lambernd
Schnecken fühlen sich auf dem Bahnsteig sehr wohl. Hier finden sie kalkhaltigen Beton. Der Kalk hilft ihnen beim "Häuschen-Bau".

Außerdem tummeln sich unzählige Schnecken in dem Grün auf und entlang der Anlage, der Kalk im Beton zieht sie an. Spinnen finden ideale Bedingungen, genauso wie Käfer und andere Insekten. Die Gebäudereste - vor allem der zugemauerte Tunnel - dienen Fledermäusen als Winterquartier. Und nur der "Fledermausbeauftragte" von Großhansdorf gelangt über eine Tür in das Gemäuer. 10 bis 15 Tiere halten sich laut Umweltamt im Winter dort auf. Platz wäre für weit mehr der geschützten Fledermäuse. Ruhe finden sie auf jeden Fall, denn wie schon in den vergangenen rund 100 Jahren wird in Beimoor auch in absehbarer Zeit kein U-Bahnzug ankommen.

Karte: Beimoor - ein nie genutzter U-Bahnhof

Weitere Informationen
Pferdebahnen in der Hamburger Neustadt, Fotografie von etwa 1892. © Wiki Commons Foto: Von Friedrich Strumper († 1913) - Die Hamburger Neustadt: 1878-1986, Hans Christians Verlag, Hamburg 1986, ISBN 3-7672-0973-X, Von Pincerno am 11. Dezember 2008 in die deutschsprachige Wikipedia geladen., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7876558

Chronik der Hamburger Straßen- und U-Bahnen

1866 begann der Pferdebahnbetrieb, 1978 fuhr in Hamburg die letzte Straßenbahn. Seitdem verkehren Busse und U-Bahnen. Mit U 4 und U 5 baut die Stadt das Netz weiter aus. (05.10.2015) mehr

Ein zerstörter Viadukt der Hamburger Hochbahn-Bahnlinie nach Rothenburgsort

Auf den Spuren einer verschwundenen U-Bahn

Im Ersten Weltkrieg eröffnet, im Zweiten Weltkrieg zerstört: Die Hamburger U-Bahn-Linie nach Rothenburgsort ist seit Langem abgebaut. Aber einige Überbleibsel sind noch zu entdecken. (27.11.2014) mehr

Blick auf die Strecke zwischen Landungsbrücken und Baumwall im Juni 1912 © Hochbahn Hamburg

Wie Hamburgs Untergrund in Fahrt kam

1912 eröffnet in Hamburg die erste U-Bahn - eine technische Meisterleistung in nur sechs Jahren Bauzeit. Buchstäblich zügig nimmt eine Erfolgsgeschichte ihren Lauf. (15.02.2012) mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 21.10.2016 | 13:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Hamburger Geschichte

Öffentlicher Nahverkehr

Mehr Geschichte

Der wegen Mordes angeklagte Hartmut M. (M.) trifft am 16.01.2007 im Landgericht in Würzburg (Unterfranken) zum Prozessbeginn ein. © picture alliance/dpa Foto: Daniel Karmann

Vor 20 Jahren: Shell-Erpresser "Garibaldi" wird gefasst

Der Erpresser forderte vier Millionen Euro von Shell in Hamburg. Am 24. November 2004 wurde er festgenommen. Der Mann ist auch ein Mörder. mehr

Norddeutsche Geschichte