Walter Jens: Ein Vordenker mischt sich ein
Er ist bekannt als Vordenker, gesellschaftskritischer Beobachter und Meister des geschliffenen Wortes: Der Schriftsteller Walter Jens gehört zu den großen deutschen Intellektuellen der Nachkriegszeit.
Geboren wird Jens am 8. März 1923 als Sohn eines Bankdirektors und einer Lehrerin in Hamburg. In seiner Jugend ist er vom Fußball fasziniert, schaut sich viele Spiele an und ist sogar als Torwart aktiv. Zur NS-Zeit ist Jens Mitglied der Hitlerjugend. Als der Zweite Weltkrieg tobt, wird er offiziell als NSDAP-Mitglied geführt, wobei er sich an keinen Beitritt erinnern könne, wie unter anderem die "Zeit" 2004 berichtet. Die "Welt" schreibt hingegen, dass Jens mehr gewusst haben soll, als er eingeräumt hat. Da hat Jens aber bereits eigene Fehler im Umgang mit dem Nationalsozialismus zugegeben.
Nach dem Abitur am humanistischen Gymnasium Johanneum in Hamburg im Jahr 1941 studiert er Germanistik und klassische Philologie zunächst in seiner Heimatstadt, dann in Freiburg. Ein Asthma-Leiden verschont ihn davor, als Soldat eingezogen zu werden. Nach seiner Promotion über Sophokles kurz vor Kriegsende arbeitet er als wissenschaftlicher Assistent an den Universitäten Hamburg und Tübingen.
Protest gegen den Totalitarismus
Jens habilitiert sich 1949 mit 26 Jahren in Tübingen. Ab 1950 gehört er zum Literaten-Kreis "Gruppe 47" um Hans Werner Richter. Bei den Treffen deutschsprachiger Schriftsteller werden damals vorgelesene Texte besprochen und kritisiert. Auch werden junge, noch unbekannte Autoren von der Gruppe unterstützt. Ebenfalls 1950 gelingt Jens der Durchbruch als Schriftsteller: Der Roman "Nein. Die Welt der Angeklagten" entsteht als Protest gegen totalitäre Macht unter dem Eindruck von Nationalsozialismus und Stalinismus.
Jens bezieht politisch Stellung
Von 1963 bis 1988 hat Jens in Tübingen den eigens für ihn eingerichteten und bundesweit ersten Lehrstuhl für Allgemeine Rhetorik inne. Neben Marcel Reich-Ranicki gilt er als einer der prominentesten Literaturkritiker. Der engagierte Demokrat mischt sich stets in die öffentlichen Debatten, vor allem über politische Themen, ein. So auch in den frühen 1980er-Jahren, als er in der Friedensbewegung den sogenannten NATO-Doppelbeschluss kritisiert. Er protestiert gegen die Stationierung von Pershing-Raketen in Westdeutschland. Zusammen mit bekannten Schriftstellern wie Heinrich Böll sowie Theologen beteiligt er sich 1983 an der "Prominentenblockade" am Pershing-Depot in Mutlangen. Und damit nicht genug: In den 1990er-Jahren versteckt Jens während des zweiten Golfkrieges desertierte US-Soldaten in seinem Haus.
Zusammenarbeit mit seiner Ehefrau
Von 1976 bis 1982 sowie von 1988 bis 1989 ist er Präsident des PEN-Zentrums Deutschland, von 1989 bis 1997 Präsident der Akademie der Künste in Berlin.
Mehrfach arbeitet er mit seiner Frau Inge zusammen, die er 1951 geheiratet hat. Das Ehepaar veröffentlicht die Biografie "Frau Thomas Mann" über die Lebensgeschichte von Katharina Mann. Thomas Mann ist für Jens ein literarisches Vorbild - das er bereits unter dem Nazi-Regime verteidigt hatte.
"Universelles Wissen und Brillanz der Sprache"
Walter Jens ist über 50 Jahre hinweg einer der wichtigsten und regelmäßigsten Mitarbeiter des NDR Kulturprogramms. "Sein universelles Wissen und die Brillanz seiner Sprache hat er zur Erhellung der verschiedensten Gegenstände aus Literatur und Politik eingesetzt", heißt es in einem NDR Radiobeitrag von 2013. Für seine Leistungen wird Jens 2003 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Im Februar desselben Jahres kommt er zusammen mit seiner Frau zum letzten Mal zu einer Lesung ins NDR Funkhaus. Es ist einer seiner letzten öffentlichen Auftritte.
Wegen einer Demenzerkrankung zieht sich der Rhetoriker aus der Öffentlichkeit zurück. Er stirbt am 9. Juni 2013 in seiner Wahlheimat Tübingen - dem Ort, an dem er mehr als 30 Jahre als Professor für Allgemeine Rhetorik doziert hat.