Die Gruppe '47
Was sollte aus der Literatur werden, als der Krieg zu Ende war, als auch die jungen Schriftsteller zurück waren aus Schützengraben und Kriegsgefangenschaft? Darum ging es bei jenen ersten Lesungen und Werkstattgesprächen, zu denen Hans-Werner Richter am 6. September 1947 an den abgelegenen Bannwaldsee im Allgäu eingeladen hatte.
"Was die Gruppe '47 ist? Das ist sehr schwer zu beantworten," so Richter. "Ich sage immer: ein Freundeskreis. Und sie wissen, dass Enzensberger gesagt hat, jeder hätte immer nur drei Freunde in der Gruppe '47. Und sie sind sicher auch nicht alle mit mir befreundet. Aber ich glaube, dass ich mit allen befreundet bin." Richter war der Gründungsvater und Organisator der Gruppe '47, deren Jahrestagungen bald zum Zentralereignis des bundesdeutschen Literaturbetriebes wurden, in dem Bücher entstanden und Karrieren. Jürgen Becker erinnert sich. Er war von 1962 bis 1967 dabei. "Es war, wie wenn Sepp Herberger einen in die Nationalmannschaft beruft."
Sprungbrett und Bühne
Oft ging es hoch her bei der Gruppe '47, bei der über realistische Schreibkonzepte diskutiert wurde, über formale Innovation, aber auch über politische Haltung. "Das eigentliche Erlebnis ist für mich unter anderem auch ein Lernergebnis gewesen: diese vermittelte Toleranz, das Zuhören-müssen und dann auch mehr oder weniger -können, und das artikulierte Sprechen, wenn etwas gefällt oder weniger gefällt." Günter Grass wurde 1958 schlagartig berühmt mit seiner Lesung aus der "Blechtrommel", die bald zum Bestseller geriet.
Die Gruppentagungen dienten eben der Profilierung: für Wolfgang Hildesheimer und Erich Fried, Helmut Heißenbüttel, Peter Rühmkorf, Peter Weiss, Ilse Aichinger und für die ebenso schön wie zerbrechlich wirkende Ingeborg Bachmann, die es als lyrisches Fräuleinwunder 1954 sogar auf das Titelblatt des Spiegel brachte. Sowohl für schüchterne Poetinnen wie für heroische Prosaisten, aber auch für die ebenso kompetenten wie eitlen Berufskritiker wie Reich-Ranicki, Kaiser, Jens und Maier bot sich hier eine öffentliche Bühne, vor der immer auch Journalisten und Verleger saßen.
Avantgarde der literarischen Eventkultur
Die Gruppe '47 war wohl so etwas wie die Avantgarde der literarischen Eventkultur, in der 1966 der 24-jährige Selbstdarsteller Peter Handke mit seinem unbotmäßigen Auftritt eine Art Schlusspunkt markierte. Und dann 1967 wurden die durchweg linksliberalen Dichter auch noch von den linken Romantikern des SDS überholt.
Das irgendwie überschaubare literarische Trainingslager der alten Bundesrepublik war damit zu Ende - als fortlebender Mythos auch noch in unseren Zeiten des ganz großen Kulturspektakels.