Ralph Giordano: Reporter, Publizist und engagierter Kritiker
Der Schriftsteller Ralph Giordano hatte ein erlebnisreiches Leben als streitbarer Publizist und Fernsehreporter. Geprägt haben ihn seine Erfahrungen in der Nazi-Zeit. Er starb am 10. Dezember 2014.
Ralph Giordano hat den Zweiten Weltkrieg und die Verfolgung durch die Nationalsozialisten nur knapp überlebt - versteckt in einem Hamburger Kellerloch. In den Jahrzehnten danach profilierte er sich als streitbarer Publizist, Romanautor und Fernsehreporter.
Die Schrecken der Nazizeit prägen ihn
Giordano kommt am 20. März 1923 in Hamburg zur Welt. Zunächst verbringt er dort eine unbeschwerte Kindheit. Seine Eltern sind beide Musiker. Sein Vater hat sizilianische Wurzeln, die Mutter ist deutsche Jüdin. Er hat noch zwei Brüder, Egon und Rocco.
Als die Nazis an die Macht kommen, beginnen die Schikanen gegen die jüdische Familie. Ralph Giordano muss das Gymnasium verlassen. Er wird mehrfach von der Gestapo verhaftet und gefoltert. "Wir waren arme Leute, eine Ausreise stand nie zur Debatte", beantwortete er einmal in einem Zeitungsinterview die Frage, warum seine Familie Deutschland nie verlassen hatte.
Aus Angst vor Deportation taucht die Familie unter
Nach der Ausbombung fliehen die Giordanos 1943 aus Hamburg, müssen aber nach einer Denunziation in die Hansestadt zurückkehren. Aus Angst vor der drohenden Deportation der Mutter taucht die Familie in verschiedenen Verstecken unter. Sie überlebte den Nationalsozialismus nur, weil eine Nachbarin bereit war, ihn unter Einsatz ihres eigenen Lebens zu verstecken. Fast verhungert, wird die Familie am 4. Mai 1945 von der britischen Armee befreit.
Zwischenzeitliche Auswanderung in die DDR
Nach dem Krieg wird Giordano als Journalist tätig. Im Auftrag des Zentralrats der Juden in Deutschland beobachtet er die NS-Prozesse. Es folgt ein politisches Intermezzo bei den Kommunisten: 1946 tritt er der KPD bei und siedelt 1955 in die DDR über. Doch schon zwei Jahre später kehrt er zurück in die Bundesrepublik. In Veröffentlichungen wie "Die Partei hat immer Recht" (1961) rechnet er mit dem Stalinismus ab.
Spezialist für sozialpolitische Themen
Anfang der 60er-Jahre beginnt seine Fernsehkarriere. Er produzierte über 100 Dokumentationen, viele für den NDR und den WDR. Als Spezialist für Minderheiten, angetrieben von seiner eigenen Biografie, berichtet er nicht nur über die NS-Zeit und den Stalinismus, sondern auch über die Probleme der Entwicklungsländer in Filmen wie "Slums - Hinterhof der Menschheit" oder "Hunger - Herausforderung auf Leben und Tod", für den er 1968 mit dem Grimme-Fernsehpreis ausgezeichnet wird.
Aufarbeitung der Familiengeschichte
1982 veröffentlicht der Autor "Die Bertinis". Der teilweise autobiografische Roman schildert die Verfolgung einer Hamburger Familie im Nationalsozialismus. In dem 1988 vom ZDF verfilmten Buch, an dem Giordano fast vier Jahrzehnte gearbeitet hatte, setzt er sich mit seiner eigenen Familiengeschichte auseinander. Auf den Roman geht auch ein jährlich verliehener Preis für Zivilcourage zurück, der Bertini-Preis. Er wird traditionell am 27. Januar verliehen, dem Holocaust-Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.
Warnung vor neuem Rechtsextremismus
Seine Lebenserfahrungen bleiben für Giordano immer der wichtigste Antrieb, sich einzumischen. Auch in den 90er-Jahren erhebt er immer wieder seine Stimme - beispielsweise in Büchern wie "Die zweite Schuld" oder "Die Last, Deutscher zu sein", aber auch als Kommentator des tagespolitischen Geschehens.
Stets bezieht er Positionen zur Rolle von Minderheiten im Land, zur jüngeren deutschen Geschichte, zu Israel und zum Judentum. Insbesondere seine Proteste gegen die Kölner Großmoschee bringen ihm 2007 Kritik ein. Umstritten sind 2010 auch seine Äußerungen zur Integration des Islam, in denen er unter anderem die Aussagen von Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" unterstützt. Ein Jahr später kritisiert er den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU) in einem offenen Brief und stellt dessen Aussage bei seiner Ansprache zum 20. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung infrage, dass Islam und Demokratie kein Widerspruch sein müssten.
Fernab der umstrittenen Haltung zur Integration des Islam warnt Giordano zeitlebens immer wieder vor den Gefahren eines erstarkenden Rechtsextremismus in Deutschland. Im Alter von 91 Jahren stirbt der streitbare Publizist am 10. Dezember 2014 in Köln an den Folgen eines Oberschenkelhalsbruchs. Bis zu seinem Tod ist Giordano seiner Heimatstadt Hamburg eng verbunden geblieben. 2017 wird mit der Piazza-Ralph-Giordano ein Platz in Hamburg-Barmbek nach ihm benannt.