Kurt Sieveking: Ein Hamburger Bürgermeister der leisen Töne
Kurt Sieveking wird am 9. Dezember 1953 zum Ersten Bürgermeister von Hamburg gewählt. In der Nachkriegszeit gehört der Wiederaufbau der Stadt zu den wichtigsten Aufgaben des Juristen und CDU-Politikers.
Sieveking ist in Hamburgs Politik in jedem Fall ein Unikum: Er ist einer der wenigen Bürgermeister, der nicht Mitglied der SPD ist. Von 1953 bis 1957 führt Sieveking die lange Zeit einzige bürgerliche Regierung. Mit seiner Wahl zum ersten Mann im Rathaus gelingt es einem Bündnis aus CDU, Deutscher Partei (DP), FDP und Gesamtdeutschen Block (GB)/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), die jahrzehntelange Vorherrschaft der Genossen zu unterbrechen. Gerade mal vier Jahre hält das Bündnis. Das "Hamburger Abendblatt" resümiert Sievekings Amtszeit nüchtern: "Alles in allem erwiesen sich die Jahre 1953 bis 1957 - trotz guter Sacharbeit - als Desaster für die CDU."
Sieveking: Spross aus Hamburger Großbürgertum
Sieveking stammt aus einer alten Hamburger Familie von Gelehrten, Ärzten und Senatoren. Der Name Sieveking ist allgegenwärtig im Straßenbild der Hansestadt - von Sievekingsallee bis Sievekingdamm. Letzterer ist der Sozialreformerin Amalie Sieveking (1794-1859) gewidmet.
Kurt Sieveking kommt am 21. Februar 1897 in Hamburg zur Welt. Schon sein Vater Georg Herman Sieveking ist neben seinem Beruf als Arzt Politiker. Von 1915 bis 1927 gehört dieser der Hamburgischen Bürgerschaft an. Der Filius besucht das Johanneum, Hamburgs ältestes Gymnasium. Nach dem Notabitur 1914 zieht Sieveking als Freiwilliger in den Krieg. Bei der Ausbildung zum Flieger verliert er einen Arm. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs studiert Sieveking Rechtswissenschaften in Heidelberg, München und Marburg. Das erste Staatsexamen besteht er 1922.
Von 1923 bis 1924 ist er als Referendar im Amerikareferat des Auswärtigen Amtes tätig, an dessen Spitze damals Gustav Stresemann steht. 1925 absolviert Sieveking das zweite Staatsexamen. Der promovierte Jurist lässt sich danach als Rechtsanwalt in Hamburg nieder.
NS-Zeit: Juristischer Berater bei der Warburg-Bank
In den 1930er-Jahren engagiert sich Sieveking politisch in der DVP. Zusammen mit einer Gruppe junger Parteifreunde drängt er 1931 die Führung der DVP im Wahlkampf zur Hamburgischen Bürgerschaft entschieden gegen die republikfeindlichen Parteien von rechts und links aufzutreten. Als Gegner der Nationalsozialisten wechselt Sieveking 1936 als Syndikus ins deutsch-jüdische Bankhaus M. M. Warburg & Co. Als er 1944 zur Wehrmacht nach Dänemark einberufen wird, endet sein Engagement bei der Privatbank. Nach Kriegsende kehrte Sieveking nach Hamburg zurück.
Nachkriegszeit: Sieveking wird Generalkonsul in Stockholm
Am 1. Oktober 1945 beruft ihn Rudolf Petersen (CDU), der erste Nachkriegsbürgermeister, ins Amt des Senatssyndikus ins Hamburger Rathaus. In dieser Funktion leitet Sieveking das Bürgermeisteramt und fungiert zudem als Verbindungsmann zur britischen Militärregierung. Nach dem Wahlsieg der SPD 1946 behält er auch unter Bürgermeister Max Brauer diese Aufgabe. 1951 richtet die Bundesregierung den Auswärtigen Dienst ein und sucht dafür politisch unbelastete Persönlichkeiten mit Erfahrung. Sieveking passt in dieses Profil - und so geht er noch im selben Jahr als erster Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland nach Stockholm. Nach wenigen Monaten wird das Konsulat in eine Gesandtschaft überführt.
Breites Wahlbündnis schlägt Sieveking als Bürgermeister vor
Sieveking treibt eine Kandidatur für das Bürgermeisteramt nicht selbst an. Eine Sammelpartei bestehend aus CDU, DP, FDP und BHE schlägt ihn als Kandidaten vor. Sieveking beteiligt sich nicht am Wahlkampf, sondern verweilt als Generalkonsul weiter in Schweden. Aber die Rechnung des Hamburg-Blocks e.V. geht auf: Dank der Popularität Sievekings erreicht das Wahlbündnis bei einer Wahlbeteiligung von 81 Prozent 50 Prozent und 62 der 100 Sitze bei der Bürgerschaftswahl.
Sieveking in Abwesenheit zum Bürgermeister gewählt
Doch ganz so leicht macht es die bisher regierende SPD dem Bündnis nicht. Max Brauer weigert sich zurückzutreten - der SPD-Senat besteht zunächst als Minderheitsregierung weiter. Erst ein konstruktives Misstrauensvotum - das erste in der jungen Geschichte der Bundesrepublik - bringt Sieveking und Co. ins Amt. Das Kuriose daran: Der potenzielle Kandidat weilt in der Wahlnacht Anfang November gar nicht in Hamburg. Erst nach der Wahl kehrt der Kandidat in die Hansestadt zurück und tritt in die CDU ein. Darüber hinaus existiert kein Schattenkabinett, weil für etliche Posten schlicht das Personal fehlt. Ein durch und durch holpriger Start.
SPD opponiert geschickt gegen den Ersten Bürgermeister
Die Personalpolitik der Regierung erweist sich in Sievekings Amtszeit als Achillesferse. Die SPD hatte unter Brauer wichtige Behördenposten besetzt - und zeigt sich nun wenig kooperativ. Sieveking setzt im Umgang mit der Opposition oft mehr auf Diplomatie als auf Konfrontation. Er will sogar populäre Sozialdemokraten mit in seinen Senat zu holen, um die neue Regierung möglichst breit aufzustellen. Doch die Genossen denken gar nicht daran, mit Sieveking zusammenzuarbeiten. Im Gegenteil: Sie lassen den Bürgermeister immer wieder auflaufen.
Sievekings Senat beginnt langsam zu bröckeln
Auch in den eigenen Reihen läuft es nicht rund: 1955 stürzt Polizeisenator Josef von Fisenne den damaligen Leiter der Kriminalpolizei, SPD-Mitglied Carl Breuer. Doch dessen Suspension erweist sich als falsch. Außerdem tritt der CDU-Fraktionsvorsitzende Erik Blumenfeld nach Differenzen mit Sieveking im selben Jahr von seinem Amt zurück. Er wirft dem Bürgemeister einen mangelnden politischen Gestaltungswillen und eine zu beamtenmäßige Amtsausübung vor. Die Senatsmehrheit ist auch deshalb bedroht, weil ausgerechnet die rechtskonservative DP damit liebäugelt, eine Koalition mit der SPD einzugehen.
Wohnungsbau und Bildung: Erfolge unter Sieveking
Dabei kann der Senat unter Sieveking durchaus Erfolge vorweisen. Dazu gehört ein Rekord im Wohnungsbau. Es entstehen größere Projekte wie die Gartenstadt in Farmsen. Dem Senat gelingt der Ausbau der Universität und er schafft es, die Führungsakademie der Bundeswehr nach Hamburg zu holen. Sieveking treibt die Ansiedlung des Deutsches Elektronen-Synchrotron (DESY) voran und forciert darüber hinaus die Zusammenarbeit mit Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Ein Ergebnis dieser Kooperation heraus: Die Nachbarländer beschließen 1955 einen ersten Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk. Im selben Jahr empfängt Sieveking das persische Kaiserpaar. Der glanzvolle Besuch von Reza Pahlevi und seiner Frau Soraya dauert vier Tage.
"Politik der Elbe": Sieveking pflegt Kontakte nach Osteuropa
Jahrhundertelang ist die Elbe der natürliche Handelsweg der Hansestadt nach Mittelosteuropa. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg ist Europa geteilt und Hamburg vom östlichen Hinterland abgeschnitten. Sieveking strebt deswegen mit seiner "Politik der Elbe" in den 1950er-Jahren eine Verständigung mit den Ländern Osteuropas ein. Der Senat pflegt Beziehungen nach Prag und Budapest und forciert eine Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und Leningrad (heute: St. Petersburg) - sehr zum Missfallen des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer.
Nach Neuwahlen wird Sieveking Oppositionsführer
Die politischen Erosionen innerhalb des regierenden Blocks führen schließlich in eine Sackgasse. Als Sieveking sich eine Koalition mit der SPD vorstellen kann, kommt das einer Niederlage des regierenden Senats gleich. In der Folge scheitert das Bündnis. Bei der nächsten Bürgerschaftswahl im Jahr 1957 gewinnt die SPD die absolute Mehrheit. Sieveking übernimmt die Aufgabe des Oppositionsführers. 1961 tritt er erneut an - und verliert gegen Paul Nevermann.
1965 verlässt Sieveking die Hamburger Politik
Sievekings politische Karriere klingt anschließend langsam aus. Nach der Sturmflut 1962 macht er als Vorsitzender des Sonderausschusses zur Bekämpfung der Hochwasserkatastrophe einen guten Job. 1965 legt Sieveking sein Mandat endgültig nieder und arbeitet wieder als Rechtsanwalt. Für seine Verdienste um Hamburg erhält Sieveking 1967 vom Hamburger Senat die Bürgermeister-Stolten-Medaille.
Am 16. März 1986 stirbt Sieveking in Hamburg. 450 Trauergäste verabschieden den Hanseaten bei einem Staatsakt. Das "Hamburger Abendblatt" schreibt als Erinnerung: "Dem 'Politiker der leisen Töne' hatte es offenkundig widerstrebt, sich und seine Arbeit so marktschreierisch zu verkaufen, wie das vermutlich nötig gewesen wäre."