Ivar Buterfas-Frankenthal: "Dachte, wir hätten es überwunden"
Ivar Buterfas-Frankenthal hat den Holocaust überlebt. Immer wieder bricht der gebürtige Hamburger auf, um an die Grauen der NS-Herrschaft zu erinnern. Die aktuelle Lage aufgrund des Gaza-Kriegs bereitet ihm Sorge.
Es ist diese Erinnerung, die den heute 90-jährigen Ivar Buterfas-Frankenthal seit mehr als 80 Jahren verfolgt: der kleine Ivar, von halbwüchsigen Hitlerjungen umringt. Sie stellen ihn auf ein Eisengitter, zünden Papier an, wollen ihn verbrennen. Nur knapp entkommt der Hamburger Junge einer christlichen Mutter und eines jüdischen Vaters seinen Peinigern.
Jahrzehnte später lässt ihn dieses Erlebnis zum Mahner werden. Gegen Unmenschlichkeit und gegen das Vergessen. "Ich bin durch die Hölle gegangen", sagt er rückblickend. "Ich konnte keine Nacht mehr schlafen. Mich holte mit einer solchen Geschwindigkeit die ganze Vergangenheit ein, die Verfolgung, der Hass. Und dann hab ich zu meiner Frau gesagt: Ich muss was tun. Ich muss mich befreien, sonst muss ich mir das Leben nehmen. Ich komm nicht mehr klar."
Mutter und Kinder entgehen nur knapp der Deportation
Seitdem widmet sich Buterfas-Frankenthal, der mittlerweile in Bendestorf im Norden Niedersachsens lebt, der Erinnerungsarbeit. Mit "Sunny Goj" und "Mut ist nicht Leichtsinn - Ich musste eine Lücke schließen" hat er zwei Bücher geschrieben, in denen er seine Lebensgeschichte erzählt. Er engagiert sich für Gedenkorte in Norddeutschland, wie etwa die Gedenkstätte am ehemaligen Straf- und Gefangenenlager Sandbostel.
Und er geht an Schulen. Mehr als 1.500 Mal hat er, dessen Vater im Konzentrationslager Esterwegen landete, Kindern und Jugendlichen seit den 80er-Jahren seine Lebensgeschichte erzählt. Wie er als kleiner Hamburger Butjer aus der Grundschule gejagt wird - keine sechs Wochen nach der Einschulung. Wie seine Mutter und ihre Kinder nur dank eines Tipps der Deportation entgeht. Und in Keller-Löchern ausharren, bis die Briten die Stadt besetzen.
"Da wird verdrängt. Und das ist falsch"
Eine Geschichte, die fassungslos macht. Auch, weil Kinder heutzutage in ihren Familien entweder keine oder nur ausweichende Antworten bekommen, glaubt der Buterfas-Frankenthal. "Dat is vorbiede Tied. Da wird verdrängt. Und das ist falsch. Und deswegen: Gebt unseren nachrückenden Generationen die Chance, dass sich so etwas nie wiederholt."
"Ich bin Deutscher, ich liebe dieses Land"
Offen und ehrlich sein, das sei der Schlüssel, sagt er. Auch wenn seine Geschichte viele Jugendliche zunächst einschüchtere. "Erstmal hören sie eine Stecknadel fallen. Und dann kommen die Fragen: 'Warum sind Sie in einem Land geblieben, das Ihnen so weh getan hat?'" Über die Antwort muss Buterfas-Frankenthal nicht lange nachdenken: "Ich bin Deutscher, ich liebe dieses Land." Es zu verlassen, habe für ihn immer außer Frage gestanden. "Wo hätte ich hingehen können? Wo hätte ich Wurzeln schlagen können? Nein! Das war für mich klar."
Sorge um Situation aufgrund des Gaza-Kriegs
Über die Lage in Deutschland infolge des Gaza-Kriegs im Jahr 2023 zeigt sich Buterfas-Frankenthal hingegen besorgt: "Es ist sehr unruhig auf Deutschlands Straßen, unruhiger als 1934." Zu einer Gedenkveranstaltung in Bremen sei er von Polizisten empfangen worden, die seinem Schutz dienten. "Das ist etwas, was ich geglaubt habe, haben wir überwunden. Scheinbar nicht", gibt sich Buterfas-Frankenthal nachdenklich. Wie geht es ihm dabei? "Unbeschreiblich, unbeschreiblich. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie beschissen ich mich fühle. Entschuldigen Sie den Ausdruck", sagt er dem NDR.
Aber er ist sich sicher, nur durch Aufklärung könne verhindert werden, dass sich Geschichte wiederholt: "Ich gebe meine Erinnerung ja deswegen weiter, damit wir verhindern, was sich leider in Deutschland schon sehr stark intensiviert hat: ein Wiederaufleben von Antisemitismus in höchster Form." Es sei zu viel verdrängt worden.
Davidstern auf Corona-Demos: "Widerwärtige Entgleisung"
Der jährliche Holocaust-Gedenktag erinnert ihn an die vielen Freunde und Zeitzeugen, die inzwischen gestorben sind. Dass er wegen der Corona-Pandemie rund zwei Jahre nicht mehr in Schulen gehen konnte, hat Buterfas-Frankenthal in der Zeit sehr geschmerzt.
Noch mehr regte es ihn jedoch auf, wenn Menschen auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen Armbinden tragen, auf denen ein Davidstern mit dem Schriftzug "Ungeimpft" prangt. "Ich hoffe, dass sie sehr bald mal mit ein paar drakonischen Strafen loslegen. Für solche wirklichen Entgleisungen. Ganz widerwärtige Entgleisungen. Aber ganz werden sie solche Dinge nie aus der Welt schaffen können, weder Antisemitismus noch Rassenhass", sagt er damals.
Ein Jugendlicher schenkte ihm das Bild seines Lebens
Für sein Engagement hat der 90-Jährige bereits 37 hohe internationale Orden und Preise erhalten, 2020 etwa das Verdienstkreuz Erster Klasse. Besonders in Ehren hält er jedoch eine Zeichnung, die ihm ein Jugendlicher vor einiger Zeit überreicht hat. "Er hat mich gemalt, mein Mund ist aufgerissen. Und über mir die Hakenkreuzfahne. Das ist so überwältigend und so beeindruckend. Wenn Sie so etwas bekommen, sind sie so was von entschädigt."
Es ist das Bild seines Lebens. Als Kind zwangen sie den kleinen Ivar in ihre Mitte, um ihn anzuzünden. Jetzt stellt sich Buterfas-Frankenthal selbst dahin - um zu berichten. Und das will er tun, so lange er lebt.