Generaloberst von Moltke: Kein klassischer Haudegen
Der Name von Moltke ist eng verbunden mit dem preußischen Militär. Helmuth Johannes Ludwig von Moltke, geboren am 25. Mai 1848 in Mecklenburg, eifert seinem berühmten Onkel nach. Angriffspläne im Ersten Weltkrieg scheitern aber - wie auch er.
Helmuth von Moltke, ein Neffe des berühmten preußischen Feldherren gleichen Namens ist damals enger Vertrauter Kaiser Wilhelm II. und Chef des deutschen Generalstabs. Er setzt im August 1914 auf einen schnellen Sieg gegen Frankreich. Doch als der Vormarsch auf Paris wenige Wochen später an der Marne ins Stocken gerät und der Stellungskrieg beginnt, der Jahre dauern und Millionen Soldaten das Leben kosten wird, ist Moltke gescheitert. Dabei hat er sein ganzes Leben auf eine erfolgreiche Militärkarriere ausgerichtet.
Junger Moltke erlebt idyllische Kindheit
Geboren wird Helmuth Johannes Ludwig von Moltke vor 175 Jahren, am 25. Mai 1848 im mecklenburgischen Gersdorf nahe der Ostsee bei Kühlungsborn. Sein Vater Adolph, der seit Jahren im dänischen Staatsdienst steht, hat die Familie bei Ausbruch des Schleswig-Holsteinischen Krieges wenige Wochen zuvor auf das Gut einer befreundeten Familie gebracht.
Seine Kindheit verbringt Moltke jedoch mit seinen fünf Geschwistern in Barmstedt nordwestlich von Hamburg, wo der Vater auf der Schlossinsel im See als oberster Verwaltungsbeamter der Grafschaft Rantzau residiert. Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg wird er 1867 preußischer Landrat des Kreises Pinneberg. Jahre später hat Moltke seine idyllische Kindheit in Holstein beschrieben, als er 1912 - inzwischen Generalstabschef - an Bord eines Luftschiffs Barmstedt überquerte: "Da ist Voßloeh, wo wir als Kinder Warmbier und Butterbrot aßen, dann der Buchenwald, in dem wir uns herumtrieben (…) Da liegt das alte Haus unserer schönen Jugend auf seiner kleinen Insel, umgeben von Grün und von Wasser."
Moltke will Förster werden oder zur See fahren
Er besucht als Jugendlicher das humanistische Gymnasium Christianeum in Altona, eine renommierte Gelehrtenschule, lernt Latein, Altgriechisch, später auch Französisch, Schwedisch und Dänisch, interessiert sich überhaupt sehr für Geschichte, Philosophie, Musik und Literatur. Goethes "Faust"-Drama kann er weitgehend auswendig, deklamiert immer wieder ganze Passagen. Er zeichnet viel und spielt ausgezeichnet Cello. Er will jetzt Förster werden - oder Kaufmann. Auch die Seefahrt zieht ihn an.
Herkunft und Tradition bestimmen seine Karriere
Aber das ist für einen jungen Adeligen damals undenkbar. Außerdem verehrt er seinen berühmten Onkel Helmuth Karl Bernhard von Moltke, dessen ersten Vornamen auch er trägt. Der General hat mit den Siegen gegen Dänemark 1864 und Österreich 1866 die Gründung des Deutschen Reiches vorbereitet und ist zu höchstem Ruhm gelangt. Sein Patenkind verlässt das Gymnasium vorzeitig und tritt in die preußische Armee ein.
Den Krieg gegen Frankreich macht er im Alter von 22 Jahren als Leutnant mit. In den Jahren 1875 bis 1878 wird er an der Berliner Kriegsakademie zum Generalstabsoffizier ausgebildet und rückt bis 1888 zum persönlichen Adjutanten seines Onkels auf, der inzwischen Generalfeldmarschall und Chef des Großen Generalstabs ist. Der jüngere Moltke ist jetzt Major, seit zehn Jahren mit Eliza von Moltke-Hvitfeld aus der dänischen Linie der Familie verheiratet. Sie ist in Schweden aufgewachsen, hat spiritistische Neigungen und begleitet ihren Mann oft auf dem Klavier. Das Paar lebt mit ihren vier Kindern in einer Dienstwohnung im Generalstabsgebäude am Königsplatz.
Séancen mit Rudolf Steiner
Noch immer interessiert sich Moltke sehr für Kunst und Kultur. Bei seinem Onkel, der eine weltläufig-kultivierte Atmosphäre schätzt, lernt er bedeutende Musiker kennen, etwa den Geiger und Komponisten Joseph Joachim. Er selbst hat ein Atelier gemietet, wo er malt und musiziert. Seine Frau, die mit Begeisterung die Schriften Rudolf Steiners liest, macht ihn mit dem Anthroposophen bekannt. Er kommt bald zu spiritistischen Sitzungen ins Haus, bei denen sich ein Geist namens Uriel kundgegeben haben soll.
Erster Soldat des Reiches
Der berühmte Name ebnet Moltkes weiteren Weg. Kaiser Wilhelm II., den er schon länger kennt, sagt, er wolle auch einen eigenen Moltke haben, wie sein Großvater Wilhelm I. den berühmten Generalfeldmarschall. 1891 macht er den jüngeren Moltke zu seinem Adjutanten. Über Jahre sieht dieser den Monarchen nun fast täglich, pflegt bald eine freundschaftliche Beziehung zu ihm.
In der militärischen Hierarchie des Reiches steigt er rasch auf und wird 1906 Chef des Generalstabs, einer Behörde, der 600 Offiziere angehören und die ein Millionenheer führt. Er zählt nun zu einem elitären Kreis um den Kaiser, der die Geschicke des Landes leitet. Doch vielen Beobachtern gilt er nicht als beste Wahl, denn er hat nie ein Armeekorps kommandiert und wird als zögerlich angesehen. Er selbst befürchtet, der Kaiser habe ihn nur seines Namens wegen ernannt.
Moltke befürchtet einen europäischen Krieg
Trotzdem macht sich der General daran, Deutschland für einen Krieg aufzurüsten, den die meisten Politiker und Militärs in Europa für unausweichlich halten. Seine Nichte Dorothy, die Mutter seines Patenkindes, des späteren Widerstandskämpfers Helmuth James von Moltke, schreibt 1912 in einem Brief: "Onkel Helmuth meint, dass es vielleicht Krieg gibt aus dem einfachen Grund, dass alle sich seit Langem darauf vorbereitet haben (…). Aber er glaubt auch, dass absolut kein Grund zu einem Krieg besteht."
Da Russland seine Armeen beständig vergrößert und Deutschland bald überlegen sein wird, tritt er für einen Präventivkrieg ein, sein Motto lautet: "Je eher, desto besser". Sein Vorgänger als Stabschef, Alfred von Schlieffen, hat ihm einen Plan hinterlassen, der den Sieg im Zweifrontenkrieg gegen die Verbündeten Frankreich und Russland garantieren soll. Ein schneller Feldzug der Hauptkräfte, der in Belgien und der Niederlande die französischen Festungsgürtel umgeht, soll im Westen den Sieg bringen. Dann folgt die Verlegung der Armeen nach Osten, bevor die Russen ihre Truppen vollständig mobilisiert haben.
"Kein Plan überlebt die erste Feindberührung"
Doch die Strategie, die auf präzise Befolgung aller Schritte aufgebaut ist, geht nicht auf. Von seinem Onkel, dem älteren Moltke, stammt der Satz: "Kein Plan überlebt die erste Feindberührung." Der bewahrheitet sich in den ersten Kriegstagen. Weil der Generalstabschef eine wirtschaftliche Blockade Deutschlands befürchtet, will er anders als im Schlieffen-Plan vorgesehen wenigstens die Neutralität der Niederlande nicht verletzen. Deshalb lässt er Anfang August 1914 - kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs - die deutschen Truppen, 600.000 Mann, nur durch einen engen Korridor in Belgien marschieren, wo sie viel langsamer vorankommen, als es der Plan erfordert. Wegen der Verletzung der belgischen Neutralität greifen die Briten früh in den Krieg ein, auch die Russen mobilisieren schneller als erwartet, sodass Moltke Truppen nach Osten verlegen muss und die Westfront schwächt.
Der Bruch mit dem Kaiser
Auch vom Kaiser ist Moltke tief enttäuscht. Schon am Tag der Mobilmachung am 1. August hat dieser versucht, die sorgfältig ausgearbeiteten Aufmarschpläne über den Haufen zu werfen und nur im Osten anzugreifen. Moltke ist darüber so erschüttert, dass er während der Auseinandersetzung in Tränen ausbricht: "Mir war zumut, als ob mir das Herz brechen sollte", erinnert er sich später an diese bittere Stunde. Es bleibt nicht die einzige. Anfang September beginnen die Franzosen an der Marne östlich von Paris einen massiven Gegenangriff. Wenige Tage später befiehlt der Generalstabschef den erschöpften Truppen, sich an den Fluss Aisne zurückzuziehen und Stellungen anzulegen, "der schwerste Entschluss meines Lebens, der mich mein Herzblut gekostet hat". Der Grabenkrieg, der Jahre dauern wird, hat begonnen.
Moltke stirbt an gebrochenem Herzen
Als Moltke dem Kaiser meldet, "Majestät, wir haben den Krieg verloren", wird er von Wilhelm II. sofort entlassen und zieht sich auf ein Schloss in Homburg zurück. Rudolf Steiner gehört zu den wenigen, die ihm in seiner Verzweiflung noch Beistand leisten. Von ehemaligen Militärführern wird Moltke später sogar für das Scheitern der Offensive im Westen verantwortlich gemacht, das die deutsche Niederlage eingeleitet habe - auch, weil sie von ihren eigenen Fehlern ablenken wollen. Er selbst hat keine Gelegenheit mehr, sich zu rechtfertigen, denn er stirbt 1916 an den Folgen eines Herzschlags.