Ernst Albrecht: Niedersachsens lächelnder Landesvater
Von 1976 bis 1990 hat der CDU-Politiker Ernst Albrecht das Land Niedersachsen regiert. Wirtschaftlich und sozialpolitisch trieb er seine Entwicklung voran. Doch es gab auch Skandale in seiner Ära. Ein Porträt.
Ernst Albrecht wird am 29. Juni 1930 in Heidelberg geboren und wächst in der Nähe von Bremen auf. Der Arztsohn studiert zunächst Philosophie und Theologie - unter anderem bei Karl Jaspers in Basel. Nach dem Abschluss folgt ein weiteres Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, das er 1953 als Diplomvolkswirt beendet. Sechs Jahre später promoviert Albrecht.
Von 1954 bis 1970 arbeitet er in verschiedenen Positionen bei der Montanunion und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) - zuletzt als Generaldirektor für Wettbewerb bei der EWG-Kommission in Brüssel. 1970 kehrt er nach Niedersachsen zurück. Der CDU-Politiker wird in den Niedersächsischen Landtag gewählt und übernimmt eine leitende Position in der hannoverschen Keksfabrik Bahlsen.
Wahl zum Ministerpräsidenten ein politischer Paukenschlag
Albrechts Wahl zum niedersächsischen Ministerpräsidenten 1976 ist ein politischer Paukenschlag: Mitten in der Legislaturperiode wird er mit Stimmen aus dem Lager der sozial-liberalen Landtagsmehrheit zum Nachfolger des aus Altersgründen zurückgetretenen Ministerpräsidenten Alfred Kubel (SPD) gewählt. Nach der Landtagswahl 1978 kann er mit absoluter Mehrheit regieren.
In seiner Regierungszeit fördert Albrecht die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes. So gelingt ihm der Abbau der Neuverschuldung und er initiiert den landesweiten Aufbau von Sozialstationen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Stärkung der ländlichen Regionen.
Gorleben: Urknall der Anti-Atom-Bewegung in Niedersachsen
Zu den umstrittensten Entscheidungen in Albrechts Amtszeit gehört die Auswahl von Gorleben als Standort für ein "nukleares Entsorgungszentrum".
Ernst Albrechts Einsatz für die Atomenergie hat auch medienpolitische Konsequenzen: Er und sein schleswig-holsteinischer Kollege Gerhard Stoltenberg (CDU) stören sich an der Berichterstattung des NDR über Proteste gegen das AKW Brokdorf und kündigen 1978 den NDR Staatsvertrag. Aufgrund eines Formfehlers ist die Kündigung jedoch ungültig.
Ernst Albrecht setzt sich für Boatpeople aus Vietnam ein
Internationale Anerkennung erhält Albrecht für sein Engagement für vietnamesische Flüchtlinge, die sogenannten Boatpeople. Durch Niedersachsens Bereitschaft, Bootsflüchtlinge aufzunehmen, wird die Bundesrepublik zum ersten westlichen Land, das sich der asiatischen Flüchtlingskatastrophe annimmt.
Albrecht gilt bei den als Bürgern beliebt. Die CDU will bundesweit von seiner Popularität profitieren: 1979 nominiert ihn der Bundesvorstand der Partei als Kanzlerkandidaten. Die Bundestagsfraktion der Union entscheidet sich dann jedoch für den CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß.
"Celler Loch" bleibt ohne personelle Konsequenz
Albrechts Regierungszeit ist aber nicht nur von Erfolgen, sondern auch von Skandalen geprägt: 1986 wird bekannt, dass ein Sprengstoffanschlag auf die Justizvollzugsanstalt Celle im Jahr 1978 vom Verfassungsschutz fingiert wurde. Die Nachrichtendienstler wollten so V-Leute in die terroristische Szene einschleusen. Albrecht rühmt sich, mit der Aktion seien "schlimme Verbrechen verhindert" worden. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss kann das jedoch nicht bestätigen. Personelle Konsequenzen hat die Affäre nicht. Wegen des im Durchmesser rund 40 Zentimeter großen Lochs, das durch die Detonation in die Außenmauer der Justizvollzugsanstalt gerissen wurde, geht der Fall unter dem Namen "Celler Loch" in die niedersächsische Geschichte ein.
Spielbankenaffäre kostet Albrechts Innenminister das Amt
In Bedrängnis gerät die Regierung Albrecht auch durch die sogenannte Spielbankenaffäre: Nach der Insolvenz der Kasinos in Hannover und Bad Pyrmont kommt der Verdacht auf, die privaten Spielbankbetreiber hätten sich mit verdeckten Parteispenden an die CDU politisches Wohlwollen erkauft. Der Verdacht kann nicht bestätigt werden, doch eine Falschaussage im parlamentarischen Untersuchungsausschuss kostet Albrechts Innenminister Wilfried Hasselmann das Amt.
Engagement für den Osten
Bei der folgenden Landtagswahl 1990 unterliegt Albrecht seinem SPD-Herausforderer Gerhard Schröder. Er zieht sich aus der Landespolitik zurück und engagiert sich beim wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern. Albrecht übernimmt den Aufsichtsratsvorsitz der maroden Eisenhüttenwerke in Thale (Sachsen-Anhalt), erwirbt die Firma später zum symbolischen Preis von einer D-Mark und kann die Schließung des ehemaligen volkseigenen Betriebes abwehren. Als Berater der ehemaligen Sowjetrepublik Kirgisien setzt er sich auch auf internationaler Ebene für die Einigung Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ein.
Ursula von der Leyen: Politik bleibt in der Familie
Nach Albrechts Rückzug bleibt seine Tochter Ursula von der Leyen, CDU-Mitglied seit 1990, politisch aktiv und legt eine geradlinige Politikerinnen-Karriere aufs Parkett. Als Bundesministerin in verschiedenen Ressorts setzt sie die Tradition ihres Vaters fort, aber auch neue Akzente. Zeitweise ist sie sogar als Kandidatin für das Bundespräsidentenamt im Gespräch. Seit 2019 ist sie Präsidentin der EU-Kommission.
Rückzug aus der Öffentlichkeit
Zu seinem 80. Geburtstag im Sommer 2010 gibt der damalige niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) Ernst Albrecht zu Ehren einen Empfang im Gästehaus der Landesregierung in Hannover. Dabei sagt Albrecht: "Ich bin nur erfüllt von Dankbarkeit. Ich bin dankbar für mein ganzes Leben." Seine letzten Lebensjahre verbringt er zurückgezogen im Kreis der Familie.
Ernst Albrecht, der in seinen letzten Lebensjahren an Demenz leidet, stirbt am 13. Dezember 2014 nach langer Krankheit im Alter von 84 Jahren auf dem Familiengut in Burgdorf-Beinhorn.