HT 16: Von der Wehrertüchtigung zum Zumba
Auf der Turnmatte sind alle gleich
Die Turnerschaft war eine völlig neue Organisationsform in der ständischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts: Jeder konnte mitmachen, alle sahen in ihrer funktionalen Kleidung gleich aus. Familie, Zunft, Religion, Wohnort und Einkünfte spielten keine Rolle. Frauen und Männer turnten bei der HT 16 von Beginn an gleichberechtigt. "Das war eine Revolution und der beste Übungsplatz für die Demokratie", sagt Sportsoziologe Schulke.
Dieser Gemeinsinn ist auch 200 Jahre später die tragende Säule des Sportvereins, der seinen Sitz inzwischen in Hamburg-Hamm hat. "Die HT 16 lebt davon, dass viele Menschen zusammenkommen, die mit viel Herz und gutem Willen etwas für die Allgemeinheit tun", sagt Andreas Wolff, der heutige Geschäftsführer der Turnerschaft. Knapp über 5.000 Mitglieder zählt der Verein aktuell. Und diese Zahl steht für den größten Kampf, den die HT 16 abseits der Sportmatten über die zwei Jahrhunderte meistern musste. Denn der Verein trägt sich über Mitgliederbeiträge - ohne Sponsoren. Hinzu kommen Subventionen aus Sportamt und Sportbund. "Es war ein Kraftakt dieses Jubiläum zu erreichen" gibt Wolff zu.
Steiniger Weg zum 200-jährigen Bestehen
Ein Auf und Ab der Mitgliederzahlen und damit verbunden finanziell schwierige Zeiten sind immer wieder Thema in der Chronik der Turnerschaft. Insbesondere die Weltkriege setzen dem Verein stark zu. Knapp 1.000 Mitglieder unterstützten den Sportbund nach Kriegsende 1945 noch. Zum Vergleich: Bereits Ende des 19. Jahrhunderts waren es schon über 2.000 gewesen. Ihre Blütezeit erlebt die HT 16 hingegen in den 1980er-Jahren mit mehr als 8.000 Mitgliedern, sie zählt in der Zeit zu den fünf größten Clubs der Bundesrepublik. Danach kommt die Talfahrt: Wegen einer starken Überalterung und der großen Konkurrenz durch private Fitnessanbieter verliert der Verein in den 1990er-Jahren und in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends Hunderte Mitglieder. Die HT 16 manövriert durch schwierige Zeiten.
Inzwischen konnten Andreas Wolff und sein Team den Abwärtstrend stoppen. Sie bieten wieder Leichtathletik an, die zwischenzeitlich komplett aus dem Programm gefallen war, engagieren sich im Schulsport und im Fitnessraum locken neue Geräte die Sportler. Mit messbarem Erfolg: Es treten junge Menschen ein - wichtige Substanz für die Zukunft.
"Wir brauchen Idealisten"
Dazu müssen Wolff und Co. den Spagat meistern, dass die Qualitätsansprüche an das Sportangebot gestiegen sind, während sich immer weniger ehrenamtliche Trainer finden lassen. "Dabei sind das die Säulen, die den Verein tragen", sagt Wolff. Während zwölf Mitarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt werden, arbeiten mehr als 150 ehrenamtlich Organisierte für die HT 16 und etwa 150 Übungsleiter, die eine geringe Aufwandsentschädigung bekommen. Wolff fordert eine politische Unterstützung, die es ermöglicht, Trainer so zu honorieren, dass sie ihren Lebensunterhalt stemmen können. Nach wie vor habe Sport einen zu geringen Wert.
Zudem sei die Akzeptanz eines Ehrenamtes bei Arbeitgebern gesunken: "Die Menschen wollen, aber die Arbeitswelt heute lässt kaum Spielraum." Die Turntrainerin des Vereins arbeitet Vollzeit als Graphikerin, notfalls auch nachts und am Wochenende, damit sie dreimal die Woche Training in der HT 16 geben kann. "Es sind Idealisten, die wir brauchen", erklärt Wolff. So wie die Gründer des Vereins vor 200 Jahren schon Idealisten waren.
Hinweis der Redaktion: Rein rechnerisch wird beim TSV 1814 Friedland in Mecklenburg bereits zwei Jahre länger als bei der Hamburger Turnerschaft geturnt. Allerdings ist die HT 16 Sporthistorikern zufolge "der erste autonome Verein, losgelöst von schulischer Organisation". Außerdem gab es den TSV damals noch nicht als Verein, denn eine Vereinsgründung war in Mecklenburg laut Deutschem Turnerbund zu der Zeit noch nicht möglich.
- Teil 1: Turnen für den Nationalstaat
- Teil 2: Auf der Turnmatte sind alle gleich