"Raute unterm Hakenkreuz" - HSV in der NS-Zeit

Der Hamburger SV war schon in der NS-Zeit einer der größten deutschen Sportvereine. Bedeutend über die Hansestadt hinaus, zu Hause im großbürgerlichen Harvestehude. Viele Mitglieder waren wohlhabende Kaufleute jüdischen Glaubens aus dem angrenzenden Grindel-Viertel. Was wurde aus ihnen nach der Machtergreifung der Nazis? Wie haben sich der HSV, die Mitglieder und Funktionäre im Dritten Reich verhalten? Und wie wurde (und wird) die NS-Vergangenheit vom HSV aufgearbeitet?
Der 17. Januar 2010 war ein bemerkenswerter Tag für den Hamburger SV. Eine Jahreshauptversammlung der besonderen Art, emotional und beispielgebend für viele andere Sportvereine in Deutschland. Es war zwar nur ein Zeichen, als die Mitglieder einstimmig beschlossen, die im Dritten Reich ausgeschlossenen jüdischen Mitglieder postum wieder aufzunehmen.
Aber der HSV bekennt sich inzwischen zu seiner Verantwortung. Zu sehen ist das im 2004 eröffneten Museum im Volksparkstadion. Unter der Überschrift "Raute unter dem Hakenkreuz" dokumentiert der HSV die unheilvolle NS-Vergangenheit und "verschweigt dabei nichts", wie Museums-Chef Niko Stövhase im Gespräch mit NDR.de erklärt.
Akribische Recherche
"Wir sind der erste deutsche Profiverein, der seine Vergangenheit in dieser Weise aufarbeitet", sagt Dirk Mansen, der bis 2013 Stövhases Vorgänger war, voller Stolz. Der HSV hat beschlossen, die Augen nicht vor den Tatsachen zu verschließen, die manchmal erst nach akribischer Recherche zu Tage kamen. Sie zeigen, wie sich das Leben nach der Machtübernahme der Nazis 1933 radikal veränderte - und wie sich die Nazi-Herrschaft auf den Sport auswirkte.
Es gab auch Widerstand
"Aber es gab auch Menschen, die Widerstand leisteten", erzählt Mansen: "HSV-Handballer beispielsweise versteckten einen jüdischen Mitspieler monatelang. Andere halfen bei der Emigration; da bietet eine Hafenstadt wie Hamburg natürlich Möglichkeiten." Aber die bedrückenden Protokolle und Dokumente zeigen, dass auch sehr viele Sportler den Holocaust nicht überlebt haben.
Anderenorts wird der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit weniger Bedeutung beigemessen. Dabei hat die kritische Aufarbeitung des Dritten Reiches insbesondere im Fußball durchaus aktuellen Bezug - nicht zuletzt angesichts von Rassismus und braunem Gedankengut in den Stadien.
Der HSV blieb lange untätig
Der HSV sah lange zu und brauchte Jahre, die rechte Gewalt aus dem Stadion zu verbannen. Nach den brutalen Übergriffen in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren, denen der Bremer Fan Adrian Maleika zum Opfer fiel, dauerte es bis in die 90er-Jahre, ehe der Verein wirkungsvoll gegen rechtsradikale Vereinigungen und neofaschistische "Schlachtenbummler" vorging. Regelmäßig und organisiert hatten Neonazis die Reichskriegsflagge als Symbol ihrer braunen Gesinnung geschwungen und um Mitglieder geworben. Die Sozialarbeiter des "HSV Fanprojekts" standen auf verlorenem Posten; viele Fans wanderten zum FC St. Pauli ab. Im neuen Stadion änderte sich das Bild, mehr und mehr setzten sich antifaschistische Fan-Gruppen durch.
Lernen im Volksparkstadion
Das HSV-Museum begegnet den rechten Auswüchsen mit Aufklärung. "Lernen im Volksparkstadion" heißt ein Schüler-Projekt. Ein Lernmodul im sogenannten "Hamburger Weg Klassenzimmer", das vor knapp drei Monaten eröffnet wurde, beschäftigt sich mit Gewalt im Stadion und dem HSV im Nationalsozialismus.
Dabei erfahren die Jugendlichen, wie die Nazis das tägliche Leben beeinflusst haben - und wie der HSV mit der Gleichschaltung und den damit einhergehenden diktatorischen Strukturen umgegangen ist. Besonders eindringlich sind die Protokolle, Erzählungen und Interviews mit Opfern des Regimes, die teilweise auf einem Bildschirm zu sehen sind. Natürlich geht es auch um Täter wie Otto "Tull" Harder und wie widersprüchlich der HSV mit ihnen nach dem Krieg umgegangen ist.
Nichts soll verschwiegen werden
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Auch das verschweigt der Verein nicht, obwohl die Recherche möglicherweise noch glaubwürdiger wäre, wenn sie von unabhängigen Historikern begleitet würde. Die allerdings sollen erst hinzugezogen werden, wenn ein lange geplantes Buch zum Thema realisiert wird. Aber das dauert wohl noch, das Forschen nach der Wahrheit ist komplex. Ein Beispiel: Gab es im Handball-Team noch in den 40er-Jahren jüdische Mitglieder? Stövhase hält das für möglich, weil im Mitgliedsbuch eines Juden der 27. Oktober 1941 als Eintrittsdatum steht.
Führerprinzip schon vor 1933
Auf der anderen Seite hat sich der am 2. Juni 1919 aus dem Zusammenschluss des SC Germania von 1887 und des Hamburger FC von 1888 gegründete Hamburger Sport-Verein unter seinem Vorsitzenden Emil Martens schon früh gerühmt, das Führerprinzip eingeführt zu haben. Einfach ausgedrückt könnte man sagen, dass die Mitglieder seit Martens' Wahl 1928 bei bestimmten Fragen nichts mehr zu sagen hatten. Allein der Vorsitzende, der bei den Nazis Vereinsführer hieß, bestimmte. Auszug aus den Vereinsnachrichten vom August 1933: "Damit ist ein leichtes Einordnen in den neuen Staat gewährleistet, erklärte Martens."
Vorauseilender Gehorsam
Ob dies vorauseilender Gehorsam war oder eine Scharade, ist nicht geklärt. "Wir wissen nicht, ob Martens dies genutzt hat, um bei den Nazis gut dazustehen, oder ob es tatsächlich die Überzeugung war", erklärt Stövhase. Belegt ist, dass Martens 1933 in die NSDAP eingetreten ist. Weil er ein strammer Nazi war - vielleicht aber auch, weil er als Homosexueller so Repressalien zu verhindern glaubte. Tatsächlich schützte es ihn weder vor Verfolgung und Haft noch vor der Kastration.
Als Martens 1934 wegen Verstoßes gegen das Amateurstatut von der Sportbehörde als Präsident abgesetzt wurde, ernannte ihn der HSV zum Ehrenmitglied und Ehrenvorsitzenden. Auch das könne man so und so sehen, sagt Stövhase. Sicher ist Martens ein Beispiel dafür, wie eng Opfer- und Täterschaft beieinander liegen können.
HSV-Begräbnis für einen Nazi
Was den Verein veranlasst hat, Otto Fritz - genannt "Tull" - Harder nach seinem Tod 1956 ein Begräbnis mit HSV-Flagge auf dem Sarg zu verschaffen, bleibt ebenso unverständlich wie die erneute Wahl von NSDAP-Mitglied Paul Hauenschild 1949/50 zum Präsidenten. Harder war zwar Nationalspieler und mehrfacher Meister mit dem HSV, er war aber auch bekennender Nazi, Wachmann im KZ Neuengamme und Lagerführer in Hannover-Ahlem.
Die "taz" hat nachgedruckt, was die HSV-Vereinsnachrichten damals geschrieben haben: "Nun ist er nicht mehr; aber unsere Gedanken werden noch oft bei ihm verweilen und den schönen Stunden gedenken, die er uns bereitet hat." Und im "Hamburger Abendblatt" (10./11. März 1956) war zu lesen: "Spieler der ersten Jugendmannschaft des HSV hielten im Klubdress Wache am Sarg."
Peinlich wurde es nochmals im Jahr 1974, als Harder in einer Broschüre zur Fußball-WM als Legende des Hamburger Fußballs auftauchte. Der Fauxpas wurde spät entdeckt, die Seite eiligst herausgerissen.
"Man muss wachsam sein"
Der Fall "Tull" Harder dokumentiert, dass der Faschismus durchaus nicht immer nur von außen kam. Er zeigt aber auch die Widersprüchlichkeit seiner persönlichen Geschichte, die sich in der Freundschaft zu Nazi-Verachter Asbjörn Halvorsen offenbarte, mit dem er 1928 deutscher Meister wurde. Der selbstständige Schiffsmakler Halvorsen ging wenige Monate nach der Machtergreifung der Nazis zurück nach Norwegen und wurde dort Nationaltrainer. 1942 wurde er von der Gestapo verhaftet und in verschiedene KZ deportiert. Mansen: "Dass Harder in seiner Zeit in Hannover-Ahlem zum Bewacher von Halvorsen geworden ist, stimmt aber nicht."
Erschütternde Feldpostbriefe
"Wir haben keine Bewertung versucht, ob der HSV sich besser oder schlechter verhalten hat als andere", sagte der damalige HSV-Vorsitzende Bernd Hoffmann vor Jahren bei der Eröffnung der Ausstellung "Raute unter dem Hakenkreuz".

In der Zwischenzeit hat das Museum weitere Exponate - erschütternde Feldpostbriefe, Bilder oder persönliche Dokumente - zusammengetragen. Sie gelangten teils auf verworrenen Wegen ins Museum und dokumentieren das Verhalten von Mitgliedern und Funktionären vor, während und nach der NS-Zeit in vielen Schattierungen - von vorauseilendem Gehorsam über Handlangertum bis hin zu Zivilcourage.
"Man muss wachsam sein"
"Von Widerstand kann man dabei nicht reden, sonst gebe es den HSV wohl nicht mehr", erklärt Mansen. Widerstand gegen die auch kritische Aufarbeitung und Dokumentation habe es von Seiten des Vereins nicht gegeben. Mansen: "Im Gegenteil. Wir sind sogar gebeten worden, alles offenzulegen." Nur so könne der HSV seiner Verantwortung gerecht werden, meint Stövhase und betont: "Wir dürfen unsere Arbeit nicht auf Täter und Opfer reduzieren. Wichtig ist auch, deutlich zu machen, wie es dazu kommen konnte. Man muss wachsam sein."
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