Die "Ost-Künstler" und die Einheit
Kann in einer Diktatur überhaupt Kunst entstehen und können die, die aus ihr kommen, dieses Erbe überwinden? Der Versuch einer Zwischenbilanz 30 Jahre nach der Wende.
Es mutet so an, als würden die Feierlichkeiten zu 30 Jahren Wiedervereinigung eher so eine Art Therapie-Sitzung: Warum hat das mit dem Zusammenwachsen irgendwie immer noch nicht funktioniert? So lautet eine der Fragen in dieser Woche. Auf dem Feld der bildenden Kunst wurde in den letzten drei Jahrzehnten besonders heftig, lautstark und polemisch gestritten. Im Jubiläumsjahr lohnt es sich, einen Blick in die Archive der deutsch-deutschen Kunstgeschichte zu werfen.
Hype um Neo Rauchs großformatige Bilder
"Wie östlich sind ihre Bilder immer noch?", fragt eine Journlistin. Neo Rauch atmet genervt aus: "Ach ja, diese Frage kann ich ganz besonders gut leiden!" Zarte elf Jahre alt war die Deutsche Einheit damals. Neo Rauch saß in seinem Leipziger Atelier. Es gab einen - in der jüngeren Kunstgeschichte - nie da gewesenen Hype um seine großformatigen Bilder, auf denen merkwürdige Figuren wie Zeitreisende aus vergangenen Jahrhunderten auftauchten. Weltweit riss man sich um seine Kunst. Er war der herausragende Maler der "Neuen Leipziger Schule". Seine Kritiker nannten und nennen seine Kunst konservativ, reaktionär oder eben "östlich". Neo Rauch bemühte sich 2001 doch noch um eine Antwort: "Da ich nun einmal östlich sozialisiert bin, werden die östlichen Schlickablagerungen durchpflügt, und so kommt das Zeug dann in die Bilder. Ich muss mit dem operieren, was ich zur Verfügung habe."
Schnelles Urteil des westdeutschen Feuilletons
Ganz ähnlich erging es Norbert Bisky. Dabei hatte der, anders als Neo Rauch, seine Ausbildung gar nicht in der DDR absolviert: "In der DDR wäre mir nie in den Sinn gekommen, Künstler werden zu wollen. Ich glaube, den entscheidenden Ausschlag hat einfach die Maueröffnung gegeben, die Explosion aller Möglichkeiten." Aber die strohblonden Jünglinge, die transparenten Töne, die er direkt auf die Leinwand malte und die knallig leuchteten, ließen das westdeutsche Feuilleton murmeln: Nazi-Kunst. Mindestens aber: sozialistischer Realismus.
1994 hatte sein Lehrer an der Berliner Hochschule der Künste, Georg Baselitz, ihm gesagt: Kunst muss immer persönlich sein. "Das hat irgendwann dazu geführt, dass ich gesagt hab: Ok! Ich mal jetzt ein DDR-Bild", erzählt Bisky. "Offensichtlich sind dann so Sachen aus mir herausgepurzelt, die ich im Kopf hatte, nämlich die Bilder meiner Kindheit mit paradiesischen Szenen, die aber auch sehr verlogen waren in ihrem Anspruch, zwar Malerei sein zu wollen, aber im Grunde Propaganda für ein politisches System sein zu müssen."
Eskalation im deutsch-deutschen Bilderstreit
Während in den Ateliers im Osten also die private Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit den Pinsel führte, wurde gesamtdeutsch über die Kunst aus der DDR gerichtet und damit auch über die Künstler, die dort sozialisiert worden waren. Es war Georg Baselitz, ein Weggegangener, der 1990 rigoros und polemisch urteilte: "Es gibt keine Künstler in der DDR, alle sind weggegangen. - Es waren keine Jubelmaler, sondern ganz einfach Arschlöcher."
Was folgte, war der sogenannte deutsch-deutsche Bilderstreit. Er vergiftete das Klima über mehr als ein Jahrzehnt. Besonders in der Kritik waren die Mitglieder der sogenannten "Viererbande", die Malerpäpste der DDR: Willi Sitte, Bernhard Heisig, Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer, der sagte: "Ich hab mich nie als DDR-Maler verstanden; ich hab immer gesagt, ich bin ein deutscher Maler. Deshalb war es ja so bösartig, dass nach der Wende auch die hier wirksamen Museumsleute behaupteten, in Leipzig war doch gar nichts los auf dem Gebiet. Die haben keine Ahnung, hier war enorm viel los!"
Cornelia Schleimes Suche nach einer eigenen Kunst
Dem westdeutschen Kunstbetrieb wurde Arroganz und Ignoranz vorgeworfen, den Künstlern aus dem Osten Rückwärtsgewandtheit, ein ewiges Festhalten am Figurativem und am Handwerk. "Ich habe eine Dresdner Ausbildung, wo es um Form geht. Also die Dresdner Hochschule war spitze! Ganz eng verbunden mit der Tradition!" sagt etwa Cornelia Schleime. Sie durfte in der DDR nicht ausstellen. "Schrott- und Müllkunst" nannte der Leiter des Verbandes Bildender Künstler ihr Werk. 1984 war sie ausgereist, später hat sie aus den umfangreichen Berichten aus ihrer Stasi-Akte und inszenierten Fotos eine Serie gemacht. Aber die westdeutsche Konzeptkunst ging ihr gehörig auf die Nerven, sie wandte sich wieder der Malerei zu: "Warum soll ich da so ein Kasperletheater machen und mich da als eine Performerin präsentieren? Nein, ich wollte diesen roten Faden der Kunstgeschichte wieder aufgreifen!"
Eines ist den Künstlerinnen und Künstlern aus dem Osten tief eingepflanzt: die Scheu gegenüber dem Zeitgeist. Sie wollen ihre Kunst eben häufig nicht als Kommentar gesellschaftlicher Sachverhalte verstehen. Der Maler, Hochschulprofessor und Lehrer von Neo Rauch, Arno Rink, sagte 2015, anlässlich seiner letzten Ausstellung in der Rostocker Kunsthalle: "Ich bin als Maler keine moralische Instanz. Ich will niemanden verbessern und ich will niemandem erklären, wie die Welt läuft."