Bergmann-Pohl: Aufarbeitung der DDR-Diktatur nicht abgeschlossen
Es war eine Zeit des Aufbruchs, in der Sabine Bergmann-Pohlmann viel Verantwortung übernehmen musste. Nach dem Fall der Mauer im Herbst 1989 und den ersten freien Wahlen in der DDR wurde sie zur Präsidentin der Volkskammer gewählt. Außerdem übernahm sie im April 1990 die Aufgaben des DDR-Staatsoberhaupts. Der bisherige Staatsrat war von der Volkskammer abgeschafft worden. Eine gewaltige Herausforderung, erinnert sich Sabine Bergmann-Pohl bei NDR Info im Interview mit Stefan Schlag.
Frau Bergmann-Pohl - wie fühlte sich das damals an - Staatsoberhaupt in einem Staat im Umbruch zu sein?
Bergmann-Pohl: Ich habe erst am Abend vor der konstituierende Sitzung erfahren, dass ich dieses Amt auch übernehmen soll. Sie können sich vorstellen, dass ich da eine schlaflose Nacht gehabt habe. Wir sind ja damals davon ausgegangen, dass die DDR vielleicht noch drei, vier Jahre überleben wird, und es sollte noch ein Staatsoberhaupt gewählt werden. Aber das war ja dann hinfällig, dadurch dass wir schon nach sechs Monaten die Einheit gefeiert haben.
Und was war besonders schwierig an dieser Doppelfunktion – einerseits Präsidentin der Volkskammer und andererseits Staatsoberhaupt?
Bergmann-Pohl: Erst einmal war die Arbeitsbelastung riesig. Und dann kam noch hinzu, dass natürlich die Mitarbeiter im Amt des Staatsoberhauptes alle zweihundertprozentig hinter dem Staat DDR standen. Ich musste dieses Amt mit diesen Mitarbeitern übernehmen und hatte davor natürlich riesigen Respekt und auch ein bisschen Angst.
Und haben die Ihnen das Leben schwer gemacht?
Bergmann-Pohl: Das habe ich gedacht, war dann aber doch sehr überrascht. Das waren ganz überwiegend "preußische Beamte", die an ihrer Selbstauflösung gearbeitet haben. Im Großen und Ganzen hat das aber gut geklappt. Es waren unglaublich viele Botschafter zu akkreditieren und zu verabschieden. Es ging um Begnadigungen, um Patenschaften. Es war eine Unmenge Arbeit, die da auf mich zukam. Es war schon eine große Belastung.
Heute, 30 Jahre nach dem Mauerfall, sind die Folgen der Diktatur überwunden?
Bergmann-Pohl: Nein. Oder Jein. Auf der einen Seite schauen wir auf einen unglaublichen Aufschwung in den neuen Ländern und die Städte und Gemeinden sind erblüht. Die Arbeitslosigkeit unterscheidet sich auch nicht mehr viel von den alten Bundesländern. Aber wir sind natürlich damals durch ein tiefes Tal der Tränen gegangen. Und vor allen Dingen glaube ich, dass die Aufarbeitung der DDR-Diktatur noch längst nicht abgeschlossen ist. Ich glaube es ist falsch, wie manche Politiker das behauptet haben, es wäre damals viel falsch gemacht worden. Natürlich ist einiges falsch gemacht worden. Heute würden wir es besser machen. Aber es gab ja keine Erfahrungen damit. Die Lebensleistungen der Menschen in den neuen Bundesländern wurden teilweise nicht anerkannt, weil die Westdeutschen zum Teil viel zu wenig über uns wussten und über unser Leben.
Nun war ja der Aufbau des Ostens auch für den Westen ein hartes Stück Arbeit. Wird im Osten manchmal auch vergessen, was der Westen geleistet hat?
Bergmann-Pohl: Das glaube ich nicht. Wenn sie sich Umfragen ansehen, dann sagen mehr als 70 Prozent der Ostdeutschen, sie sind mit ihrem Leben sehr zufrieden. Wenn sie nach der allgemeinen Lage fragen, dann sagen sie 'Ja, aber...'. Das ist kein korrekter Blick auf die Vergangenheit. Die Erwartungen waren damals riesig. Und man hat eben nicht mit dieser Arbeitslosigkeit, dem Abbau der Industrie, usw. gerechnet. Und deswegen sind die Lebensleistungen der Menschen in den neuen Bundesländern auch besonders hoch anzuerkennen. Aber ich glaube auch, dass viele natürlich anerkennen, dass aus den alten Bundesländern viel Hilfe kam.
Wenn man jetzt auf den Osten schaut, da wenden sich viele Bürger zunehmend den politischen Rändern zu. Woher kommt das?
Bergmann-Pohl: Vielleicht versagt da unsere Politik, weil Politik teilweise nicht mehr verstanden wird. Die Herausforderungen, vor der die Bundesregierung steht, die kommt bei dem Bürger vor Ort offenbar nicht richtig an. Die globalisierte Welt mit den ganzen Umweltproblemen, die Migrationswanderungen - das sind Probleme, die vor Ort offensichtlich so nicht anerkannt werden. Und die AfD befeuert diese Missverständnisse. Und ich ärgere mich insbesondere darüber, denn auch wir waren Flüchtlinge, als wir vom Osten in den Westen geflüchtet sind. Aber trotzdem sind wir dort mit viel Freude und Unterstützung aufgenommen worden. Ich glaube, das vergessen viele im Osten. Und sie waren es ja auch nicht gewohnt in 40 Jahren DDR, mit diesen Herausforderungen zu leben. Und auch das Misstrauen gegenüber der Politik war groß – und das wird teilweise an die jüngere Generation weitergegeben. Das ist eine gesamtdeutsche Herausforderung, der wir begegnen.