Kriegsende 1945 in Hamburg: Die Entnazifizierung
Mit dem Kriegsende im Mai 1945 übernimmt die britische Militärregierung auch die Macht im Hamburger Rathaus. Nach der Zerschlagung des NS-Staates muss eine Neuordnung her - und Kriegsverbrecher sollen vor Gericht gestellt werden.
4. Mai 1945: In Hamburg ist der Krieg zu Ende. Gauleiter Karl Kaufmann wird verhaftet, eine britische Militärregierung übernimmt die Macht im Rathaus. Wie in den anderen Besatzungszonen, beschäftigten sich nun auch die Briten in Hamburg mit einer Neuordnung nach der Zerschlagung des NS-Staates. Bereits vor Kriegsende hatten die Alliierten erklärt, Militarismus und Nationalsozialismus in Deutschland ausrotten und NS-Verbrecher bestrafen zu wollen.
Wie gelingt Entnazifizierung bei Millionen Ex-NSDAP-Mitgliedern?
Die Gesellschaft nach Jahren der NS-Diktatur zu einem Neuanfang führen, ist eine wahre Mammutaufgabe. Einigen Hauptverantwortlichen wird nach Kriegsende unter anderem in Nürnberg der Prozess gemacht. Das eigentliche Problem aber ist das vom "Dritten Reich" millionenfach hinterlassene Personal, sagt Joachim Szodrzynski. Während seiner Arbeit an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg hat er sich mit der Entnazifizierung beschäftigt. "Gegen Ende des Krieges gibt es etwa ungefähr sechs Millionen Mitglieder der NSDAP und je weiter man in der Nomenklatura nach oben guckt, zum Beispiel hier in Hamburg auf die Beamten, da gibt es circa 21.000 Personen und circa 90 Prozent sind Parteimitglieder."
Wer kann das Land zum Laufen bringen?
Wer ist schuldig und in welchem Maß? Wer verantwortlich, wer Mitläufer? Und wer steht überhaupt zur Verfügung, um das Land unter neuen, demokratischen Vorzeichen wieder zum Laufen zu bringen? "Es gab nicht einfach eine greifbare Ersatz-Elite, die jetzt an die Stelle der NS Funktionsträger hätte treten können", sagt Szodrzynski.
Ein Fragebogen stößt auf Ablehnung
Zur Kategorisierung der deutschen Bevölkerung orientieren sich auch die Briten an einem fünfstufigen Raster. "Die erste Kategorie: Mitläufer und Entlastet." 131 Fragen enthält ein Fragebogen, in dem die Deutschen ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus offenlegen sollen. "Wie macht man so einen Fragebogen, der ist eben sehr formal. Was sagt es zum Beispiel aus, wenn man in der NSDAP war? Ob das jetzt Opportunismus ist oder ein gewisser Karrieredrang ist, oder nationalsozialistische Überzeugung, das lässt sich aus so einem Fragebogen gar nicht entnehmen", sagt Szodrzynski. Diese Art der Befragung, so Joachim Szodrzynski, stößt bei einem Großteil der Bevölkerung auf Ablehnung: "So nach dem Motto 'wir haben ja eigentlich gar nichts gegen eine Aufarbeitung des Nationalsozialismus, aber so wird man den Deutschen nicht gerecht'."
Persilscheine in der Nachkriegszeit
Verfahren gegen Beschuldigte der Kategorie 1 und 2 übernimmt die britische Militärregierung selbst. Alle anderen Fälle werden unter deutscher Regie verhandelt - von den sogenannten Spruchkammern. "Ein ausgebildeter Jurist sollte den Spruchkammern immer vorsitzen", sagt Szodrzynski. Allerdings seien mehr als 90 Prozent der Juristen NSDAP-Mitglieder gewesen, sodass es fast ausgeschlossen gewesen sei, diese Quote erfüllen zu können. "Man hatte seine liebe Mühe, die Leute überhaupt zu bekommen", so Szodrzynski. Zum Phänomen der deutschen Nachkriegszeit werden auch in Hamburg Leumundszeugnisse, umgangssprachlich als "Persilscheine" bezeichnet. "Dass einer dem anderen bescheinigt, dass er angeblich entweder überhaupt kein Nazi war oder ein 'guter Nazi' oder nur mitgemacht hat, weil er gar nicht anders konnte…", berichtet Szodrzynski.
Die Legende der Kreisleiter
SS-Angehörige und Funktionsträger der NSDAP sind im Internierungslager in Neuengamme untergebracht. Wie Gauleiter Karl Kaufmann versuchen auch die ehemaligen Kreisleiter alles, um möglichst gut dazustehen. "In Hamburg sei das alles ganz anders gewesen, nämlich nicht so schlimm. Die Judenverfolgung, die 'Reichspogromnacht', das sei in Hamburg nicht passiert oder eben nicht so schlimm gewesen. Das ist natürlich alles gelogen, aber diese Legende hat sich in Hamburg unheimlich erfolgreich verkaufen lassen", sagt Szodrzynski.
Vermögenskontrolle wird als ungerecht empfunden
Jessica Erdelmann von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg beschäftigt sich mit materiellen Fragen der Entnazifizierung. Gleich im Mai 1945 ordneten die Alliierten eine sogenannte Vermögenskontrolle an. "Das war ein Instrument, um sämtliche Vermögenswerte von Institutionen, Organisationen, aber auch von Privatpersonen mit einer totalen Aktions- und Verfügungssperre zu versehen. Das bedeutet, grob gesagt, Konten wurden eingefroren, größere Vermögen unter Treuhandschaft gestellt", sagt Erdelmann. Was Jessica Erdelmann besonders interessiert: wie unterschiedlich die Auswirkungen der Maßnahmen auf die Betroffenen waren. "Wenn man beispielsweise eine Immobilie besaß, die man weiter vermieten konnte, dann konnte man weiterhin auf diese Einnahmen zurückgreifen", so Erdelmann. "Leute, die ein kleineres Handwerkunternehmen oder so was besaßen und deren Vermögen gesperrt wurde, die hatten natürlich nicht die Rücklagen wie ein großer Konzern."
Am Ende, so Joachim Szodrzynski, ist es nicht gelungen, alle ehemals aktiven Nationalsozialisten dauerhaft aus dem öffentlichen Leben fernzuhalten. Und dennoch: "Die Akzeptanz von demokratischen Spielregeln ist dann doch vergleichsweise groß und das ist wahrscheinlich durchaus eine Errungenschaft der Entnazifizierung gewesen."