Stand: 23.11.2013 10:44 Uhr

Wie die Hamburger Hitler sahen

Luise Solmitz mit ihrem Mann Friedrich und Tochter Gisela
Luise Solmitz steht die NS-Herrschaft zusammen mit ihrem Mann Friedrich und Tochter Gisela durch.

Das faszinierendste Tagebuch stammt von der Hausfrau und Mutter Luise Solmitz. Sie wird 1889 geboren und später eine glühende Hitler-Verehrerin. Die ausgebildete Lehrerin begrüßt die "nationale Erhebung" durch die Nationalsozialisten. In Hitler macht sie einen Seelenverwandten aus. Dabei hat das Jahr 1933 für ihre Familie schwerwiegende Folgen: Der Aufstieg der Nazis bedeutet zugleich ihren gesellschaftlichen Abstieg. Denn ihr Mann Friedrich ist jüdischer Abstammung. Eine Tatsache, die er in den 20 Jahren ihrer Partnerschaft versuchte, vor ihr geheim zu halten. Nie hatten sie über seine Abstammung gesprochen. Doch Luise wusste davon.

Ein verhängnisvoller Fragebogen

Als die 13 Jahre alte Tochter Gisela im Mai 1933 einen Familien-Fragebogen aus der Schule mitbringt, kreuzt der Vater wahrheitsgemäß "nicht arischer Abstammung" an. Luise Solmitz schreibt dazu: "Es wurde ein Schicksalstag für uns." Friedrich muss in den folgenden Monaten aus allen Vereinen austreten, auch aus dem Tierschutzverein. Nur sein Status als "Frontkämpfer" im Ersten Weltkrieg verhindert Schlimmeres. Die Tochter darf nicht in den Bund Deutscher Mädel, den weiblichen Zweig der Hitlerjugend, eintreten.

Judenfeindin kritisiert NS-Judenpolitik

Ein Wohnhaus in der Kippingstraße in Hamburg © NDR.de Foto: Marc-Oliver Rehrmann
In diesem Haus in der Kippingstraße in Hamburg wohnt die Familie Solmitz im Jahr 1933.

Luise Solmitz steht zu ihrem Mann. Sie sieht sich aber selbst als "Judenfeindin", "antisemitisch von Papa erzogen". Die Judenpolitik der Nationalsozialisten hält sie jedoch für falsch und gefährlich - vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Sie würde das "internationale Judentum mit seinem unermeßlichen Reichtum und Einfluß" gegen die Deutschen aufbringen - und das Land ruinieren. Den Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 bezeichnet sie als "bitterbösen Aprilscherz". Zeitweise ist sie über sich selbst irritiert, dass sie mit Juden mitfühlt. "Ich hasse, hasse Ungerechtigkeit!"

Die Verehrung Hitlers geht bei Luise Solmitz sogar so weit, dass sie schon im März 1933 ihren Bruder Werner denunziert. Dieser hatte einst Schriften gegen die Nationalsozialisten verfasst. Zwar hat sie Gewissensbisse ("Mir brannte die Scham im Gesicht!"), aber sie nimmt eine Verhaftung und den wirtschaftlichen Ruin ihres Bruders in Kauf: "Denn jetzt ist er eine Gefahr für die mir heilige Sache." Die Denunziation bleibt für den Bruder aber folgenlos.

Hitler-Begeisterung verschwindet

Die Begeisterung für Hitler ebbt bei Luise Solmitz ab. Eine Auswanderung kommt für das Ehepaar Solmitz nicht infrage - trotz der Perspektivlosigkeit. Gisela schließt die Schule ab, darf aber nicht studieren. Ihre Verlobung mit einem "Deutschblütigen" muss sie auflösen. 1943 wird Friedrich Solmitz zur Zwangsarbeit herangezogen. Als der Krieg vorbei ist, atmet Luise Solmitz auf - und rechnet mit der Nazi-Herrschaft ab: "Nie hat sich ein Volk mit größerer Begeisterung für eine schlechte Sache eingesetzt", hält sie am 8. Mai 1945 fest.

Sie kann nach dem Krieg wieder als Lehrerin arbeiten. Tochter Gisela heiratet schließlich einen Juden. Luises Bruder Werner Stephan steigt in den 1950er-Jahren zum Bundesgeschäftsführer der FDP auf. Luise Solmitz schreibt bis zu ihrem Todesjahr 1973 Tagebuch. Die 65 Bände vermacht sie der Forschung.

Auszüge aus den Tagebüchern von Luise Solmitz

15. Januar 1933

Schauderhafte Kälte. Dabei ein gewaltiger Hitler-Umzug, der gar nicht enden wollte. Ist nun doch einmal die einzige Partei, für die ich mit dem Herzen eintreten kann. (...) [Nachbar] Ernst Mich. sagt, daß die Kinder, die kleinen u. die großen, nicht mehr sagen 'Guten Morgen, Mutter', 'Guten Morgen, Vater', sondern nur 'Heil Hitler!' Und weil diese Bewegung so gewaltig ist, so die Menschen durchdringend, glaube ich noch immer an sie, oder möchte es wenigstens.

 

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 27.01.2013 | 19:30 Uhr

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