Stand: 23.11.2013 10:44 Uhr

Wie die Hamburger Hitler sahen

Angehörige der SA marschieren am 30.01.1933 mit Fackeln durch die von Zuschauern gesäumten Straßen von Berlin © dpa
Auch in Hamburg haben die Nationalsozialisten Fackelzüge als Machtdemonstration genutzt.

"Wir waren berauscht vor Begeisterung, geblendet vom Licht der Fackeln gerade vor unsern Gesichtern", schreibt die Hamburgerin Luise Solmitz am 6. Februar 1933 über einen nächtlichen Fackelzug der Nationalsozialisten in der Hansestadt. "Neben uns hob ein kleiner Junge von drei Jahren immer wieder die winzige Hand 'Heil Hitler, Heil Hitlermann!'" Die Hausfrau aus bürgerlichem Hause macht in ihren Tagebüchern keinen Hehl aus ihrer Begeisterung für Hitler und seine Diktatur. Dabei ist sie mit einem Juden verheiratet. Ihr Schicksal und das dreier weiterer Hamburger zu Beginn der NS-Herrschaft schildert eindrucksvoll das neue Buch "Bedrohung, Hoffnung, Skepsis. Vier Tagebücher des Jahres 1933."

Informationen zum Buch

Bedrohung, Hoffnung, Skepsis.
Vier Tagebücher des Jahres 1933
,
herausgegeben von Frank Bajohr, Beate Meyer und Joachim Szodrzynski.
Eine Veröffentlichung des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden und der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg,
34,90 Euro, Wallstein Verlag, 494 Seiten,
ISBN: 978-3-8353-1365-1

Was bringt die NS-Herrschaft?

Neben der Hitler-Verehrerin kommen drei weitere Hamburger zu Wort: ein jüdischer Rechtsanwalt, ein Großbankier und ein Archivar, der Hitler verachtet. Sie alle haben ihre ganz eigene Sicht auf die ersten Wochen und Monate der NS-Herrschaft. Und doch haben sie etwas gemein: "Die vier Tagebuch-Autoren sind alle nicht in der Lage vorauszusehen, was es bedeutet, dass die Nationalsozialisten an der Macht sind", sagt Joachim Szodrzynski. Der Historiker von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) ist einer der Herausgeber des Bandes. "In den Aufzeichnungen ist teilweise eine erstaunliche Naivität im Spiel." Aber der Reiz liegt genau darin, dass die Eintragungen nicht im Nachhinein - mit dem Wissen der späteren Gräuel der NS-Diktatur - überarbeitet worden sind.

Eckdaten des Jahres 1933

30. Januar: Adolf Hitler wird zum Reichskanzler ernannt.
In der Nacht 27./28. Februar: Der Reichstag in Berlin wird in Brand gesetzt.
05. März: Die letzte freie Reichstagswahl endet mit einem Erfolg für die NSDAP.
24. März: Der Reichstag beschließt das Ermächtigungsgesetz: Für Hitler wird der Weg zur Diktatur frei.
31. März: Als eines der ersten deutschen Konzentrationslager wird das KZ Wittmor in Hamburg errichtet.
01. April: Boykott gegen jüdische Geschäfte - "Kauft nicht bei Juden".
14. Oktober: Goebbels erklärt den Austritt des Deutschen Reichs aus dem Völkerbund.
12. November: Reichstagswahl nach Einheitsliste und Volksabstimmung über Völkerbund-Austritt.

Hitler-Verehrerin denunziert ihren Bruder

Die Tagebücher bieten wertvolle Einblicke in das Hamburger Gesellschaftsleben unter der NS-Herrschaft im Jahr 1933 - und in die Gedankenwelt der Verfasser. Der Leser erfährt, dass ein Mann jüdischer Abstammung seiner Familie nie von diesem "Makel" erzählt hat - bis im Mai 1933 seine "nicht arische Abstammung" ans Licht kommt. Man erfährt, dass eine Hitler-Verehrerin ihren eigenen Bruder denunziert. Und dass ein jüdischer Rechtsanwalt nicht den Mut aufbringt, ins Ausland zu gehen.

Drei der vier Tagebücher sind nun erstmals veröffentlicht. Die Historiker haben nur die Passagen von Anfang bis Ende 1933 ausgewählt - und sie mit Hintergrund-Informationen zu den erwähnten Personen und Geschehnissen ergänzt. In vorangestellten Biographien ist viel über die Verfasser und ihr Schicksal vor und nach 1933 zu erfahren.

Auf den folgenden Seiten stellt NDR.de die einzelnen Tagebücher vor.

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 27.01.2013 | 19:30 Uhr

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