Michael Gartenschläger: DDR-Regimekritiker stirbt am Grenzzaun
Der DDR-Regimegegner Michael Gartenschläger will die Existenz von Selbstschussanlagen beweisen. Dafür entwendet er am 1. April 1976 bei Büchen eine Splittermine "SM 70" und überreicht diese dem "Spiegel".
60.000 Selbstschussanlagen hat die DDR an der Grenze zum Westen seit 1972 installiert. "Dieses permanente Unrecht an der deutsch-deutschen Grenze will Michael Gartenschläger nicht länger akzeptieren", erzählt Lothar Lienicke. Er ist in der Nacht zum 1. Mai 1976 im Grenzgebiet im lauenburgischen Bröthen mit dem 32-jährigen Handwerker unterwegs. Bei ihrem dritten Versuch, hier eine Selbstschussanlage vom Typ "SM 70" abzumontieren, wird Michael Gartenschläger von einem Stasi-Kommando getötet - mit 120 Schüssen.
Gartenschläger - Jugendlicher Protest gegen den Mauerbau
Der unangepasste Rock'n'Roll-Fan Michael Gartenschläger, 1944 im brandenburgischen Strausberg geboren, kämpft sein Leben lang gegen das Regime. Als 17-Jähriger protestiert gegen den Mauerbau im Jahr 1961, bekommt dafür in einem Schauprozess eine lebenslängliche Strafe aufgebrummt. Fast zehn Jahre lang sitzt der junge Mann in DDR-Haftanstalten. 1971 kauft ihn die Bundesrepublik schließlich für 45.000 D-Mark frei. In Hamburg betreibt Michael Gartenschläger in den 1970er-Jahren eine Tankstelle. Außerdem arbeitet der DDR-Regimegegner als Fluchthelfer, 31 DDR-Bürgern hilft er in den Westen zu flüchten.
Vom Handwerker zum Staatsfeind Nummer eins
Dann schmiedet Michael Gartenschläger neue Pläne - er will die Grenzanlagen selbst schwächen. Im Oktober 1975 liest Michael Gartenschläger im "Spiegel" einen Artikel, dass in der Bundesrepublik unbekannt sei, wie sie funktionieren. Sie sollen hochbrisanten Sprengstoff und scharfkantige Metallsplitter enthalten. Die DDR-Regierung leugnet damals, dass es solche Anlagen überhaupt gibt. Michael Gartenschläger will das widerlegen, die DDR bloßstellen. So beginnt er von Schleswig-Holstein aus, die Selbstschussanlagen zu zerstören. Er will im Westen zeigen, wie diese Todesautomaten funktionieren. Im März 1976 gelingt es ihm schließlich, eine dieser Anlagen abzumontieren - und dem "Spiegel" zu übergeben, eine andere zu zünden. Mittlerweile gilt Michael Gartenschläger in der DDR als Staatsfeind Nummer eins. Seinen dritten Coup am 30. April 1976 eine weitere Splittermine unschädlich zu machen, bezahlt er schließlich mit dem Leben. Auf seiner Todesbescheinigung steht "Wasserleiche aus der Elbe".
Zwei Prozesse um seinen Tod - in Schwerin 1999/2000 und Berlin 2003 - enden mangels Beweisen mit Freisprüchen. Begraben liegt Michael Gartenschläger auf dem Schweriner Waldfriedhof.
Neun DDR-Bürger sterben nachweislich durch Splittermine "SM 70"
Erst Ende November 1984 werden die letzten Splitterminen an der innerdeutschen Grenze demontiert. Nach Erkenntnissen der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn sterben nachweislich neun DDR-Bürger bei einem Fluchtversuch durch eine Splittermine vom Typ "SM 70". Experten vermuten allerdings, dass die tatsächliche Zahl wesentlich höher liegt. Auch über die Gesamtzahl der Todesopfer an der Grenze von DDR und Bundesrepublik gibt es nur Schätzungen. Meist ist die Rede von mehr als 900 Toten.