Hamburgs Star-Club: "Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei"
Am 13. April 1962 öffnet der legendäre Star-Club auf Hamburg-St. Pauli. Statt Schlagermusik sind hier Rock 'n' Roll und Beat angesagt. Auf der Bühne stehen am ersten Abend auch die noch unbekannten Beatles.
"One, two, three, four...": Am Freitag, den 13. April 1962 um 20 Uhr, eröffnet der Star-Club im Rotlichtquartier auf St. Pauli. Endlich gibt es in Hamburg einen Musik-Club für Rock 'n' Roll, einer Musik, die das Lebensgefühl der damaligen Jugend widerspiegelt, die das Aufbegehren gegen die gesellschaftlichen Zwänge ausdrückt. Das provokante Plakat zur Eröffnung des Clubs in der Großen Freiheit 39 ist schon bald in aller Munde: "Die Not hat ein Ende! Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei." Mit Dorfmusik ist Schlagermusik gemeint, die in Radio und Fernsehen den Ton angibt.
Am ersten Abend spielen die Beatles
Das Konzept: Jede Nacht Live-Musik von nicht nur einer, sondern vier Bands, bis morgens um 6 Uhr. Am ersten Abend gehören die Beatles - damals noch weitgehend unbekannt - zu den Musikern. Ihre Gage liegt bei 500 Mark pro Mann und Woche, so viel Geld haben sie bis dahin noch nie bekommen. Insgesamt 79 Mal stehen die "Fab Four" aus Liverpool bis Ende 1962 auf der Bühne und begründen damit ihre Weltkarriere.
Horst Fascher: Vom Schiffszimmermann zum Musikpromoter
Die Idee zum Star-Club hat Horst Fascher, ehemaliges Hafenkind und gelernter Schiffszimmermann mit einer angefangenen Karriere als Profi-Boxer und verurteilt wegen Totschlags. "Im Sommer 1949 schlich ich heimlich auf die Reeperbahn. ... aus den offenen Türen des Trichters klang etwas, das mich magisch anzog. Dort saß ein dicker schwarzer Mann am Piano, George Maycock. Ein phantastischer Musiker, mit einem für mich vollkommen neuen Sound - Rhythym & Blues. Diese Musik - ein Vorläufer des Rock 'n' Roll - war eine Erweckung für mich. Von nun an wurde Musik ein ganz wichtiger Teil meines Lebens", heißt es in Faschers Biografie "Let the good times roll!".
Deshalb zögert er auch nicht, als er die Möglichkeit hat, Ende der 1950er-Jahre als Aufpasser und Tresenmann im Kaiserkeller anzufangen. Dort wird Rock 'n' Roll gespielt - live. "Dort spielte die Musik, ein irischer Sänger namens Tony Sheridan rockte das Haus und uns junge Leute um den Verstand. Das war es, was ich wollte."
Little Richard, Bill Haley, Ray Charles: Ein Traum wird wahr
Als Fascher Anfang der 1960er-Jahre Manfred Weissleder kennenlernt, Porno-Produzent und Besitzer einiger Kneipen und Striptease-Läden, wird sein Traum von einem Rock 'n' Roll-Laden Wirklichkeit - Weissleder gibt das Geld. Little Richard, Bill Haley, Gene Vincent treten im Star-Club auf, Fats Domino, Lee Curtis, Chubby Checker und Ray Charles. Zu den Sensationen gehören auch die Everly Brothers und Jerry Lee Lewis. Deutsche Musiker bekommen ebenso ihre Chance, zum Beispiel Achim Reichels Band The Rattles.
Star-Club bietet der Jugend Freiheit von Zwang und Autorität
Fast eine Million Besucher hat der Star-Club fortan jährlich. Zum Markenzeichen wird seine Atmosphäre: dunkel, rappelvoll und das Publikum hautnah an den Musikern dran. Viele Hamburger, auch die sogenannten feinen Söhne und höheren Töchter, verbringen hier ihre Jugend. Der dämmrige Club ist für sie ein Stück Freiheit in der von Autoritäten und Zwängen geprägten Adenauer-Ära. Ihren Eltern, die Peter Alexander, Freddy Quinn, Fred Bertelmann, Udo Jürgens und Mireille Matthieu hören, passt das nicht. Für sie ist die Musik ihrer Kinder Lärm. Und ihnen passt es nicht, dass sich ihre Kinder auf der Vergnügungsmeile herumtreiben.
Ärger mit den Ordnungshütern
Schon ab 1963 gibt es immer wieder Ärger mit dem Ordnungsamt. Manfred Weissleder ist den Ordnungshütern ein Dorn im Auge und sie versuchen, ihm das Leben mit immer neuen Auflagen und Ausweiskontrollen der Gäste schwer zu machen - ein Grund, weshalb die Rolling Stones nie gebucht werden: "In der Öffentlichkeit galten sie als das komplette Gegenteil der Beatles. Die Pilzköpfe waren trotz ihrer für die damalige Zeit langen Haare sauber und ordentlich, geradezu bildhafte Schwiegersöhne. Die Stones dagegen wirkten schmuddelig und waren als wildgewordene Rowdies verschrien. Ständig besoffen und auf Drogen", so Horst Fascher einst rückblickend. Die Hippie-Zeit ist noch nicht angebrochen und Betäubungsmittel sind alles andere als salonfähig. "So etwas konnten wir uns im Star-Club - zumindest offiziell - gar nicht leisten."
Die Disco kommt - und der Niedergang ist nicht aufzuhalten
Im September 1967 - Horst Fascher verbüßt eine dreijährige Gefängnisstrafe wegen schwerer Körperverletzung und hat im Anschluss St. Pauli-Verbot - gibt Weissleder auf und verpachtet den Star-Club. Aber der Niedergang des Clubs ist nicht mehr aufzuhalten, denn auch die Zeiten und ihr Musikgeschmack haben sich geändert. Rock-Gruppen spielen in großen Hallen und sind zu teuer für kleine Clubs. Discos sind der neue Renner. Silvester 1969 ist Schluss.
Nachmieter wird René Durand mit seinem Erotik-Theater Salambo. Am 18. Februar 1983 wird das Haus durch ein Großfeuer vernichtet. 1978 versucht Horst Fascher am Großneumarkt mit einer Star-Club-Neueröffnung sein Glück - und scheitert. Heute erinnert nur noch eine Gedenktafel an das einstige Mekka der Rock-Musik.