Fotograf Günter Zint 2008 auf der Ausstellung "68 - Brennpunkt Berlin" im Amerikahaus in Berlin, die mit seinen Fotografien und anderen Ausstellungsstücken an die Studentenbewegung und Jugendrevolte von 1968 erinnert hat. © picture-alliance/ dpa Foto: Arno Burgi

"Den Star-Club geliebt, weil unsere Eltern ihn gehasst haben"

Stand: 19.03.2009 17:15 Uhr

Mit seiner Kamera dokumentiert der Fotograf Günter Zint die Zeitgeschichte. Über drei Millionen Mal hat er auf den Auslöser gedrückt - und Momente festgehalten, die nur erleben konnte, wer Teil des Geschehens war.

Im Gespräch mit dem NDR berichtet Zint über strenge Regeln und widerspenstige Jugendliche in den späten 60er-Jahren sowie über seine eigene Jugend.

Am 22. März 1974 beschloss der deutsche Bundestag das Volljährigkeitsalter von 21 auf 18 Jahre herabzusetzen.

Günter Zint: Für mich ist das etwas zu spät gekommen. 1974 war ich schon 33 Jahre alt. 15 Jahre vorher hätte mir das Gesetz sehr viel Ärger erspart.

Sie hatten selbst Konflikte mit Ihrem Vater, als Sie noch nicht volljährig, also keine 21 Jahre alt waren. Wie konnten Sie sich schließlich durchsetzen?

Zint: 1960 fing ich gegen den Willen meines Vaters ein Volontariat als Bildredakteur bei dpa in Frankfurt am Main an. Mein Vater hatte für mich vorgesehen, dass ich studiere, am liebsten Theologie oder einen anderen "ordentlichen Beruf" ergreife. Fotografie - das galt damals als Hobby, nicht als Beruf. Ich versuchte, über das Jugendamt vorzeitig für mündig erklärt zu werden. Da das aber mit Befragungen von Lehrern und Familienmitgliedern verbunden war und das meinem Vater zu unangenehm war, willigte er schließlich ein und unterschrieb den Lehrvertrag. Ich musste aber in Frankfurt in einem Jugendheim wohnen, das mein Vater für mich ausgesucht hatte. Es wurde abends - was heißt abends! - es wurde gegen sieben, halb acht abgeschlossen, direkt nach dem Abendessen. Das war ein Heim, in dem noch der Knüppel regierte. Zu lang musste ich da allerdings nicht bleiben, da ich für die dpa auch mal abends fotografieren musste. Dann ging das nicht mehr und ich "durfte" in ein Heim des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM), das auch näher am Büro der dpa lag.

Hamburg war Anfang der 60er-Jahre die einzige deutsche Stadt, in der es Jugendschutztrupps gab, die vor allem in Altona und St. Pauli aktiv Jugendliche aufgriffen. Haben Sie die Jugendschutztrupps im Einsatz erlebt?

Zint: Warum es diese Truppe gab und warum nur in Hamburg, weiß ich nicht. Im Star-Club habe ich die Damen und Herren oft erlebt. Kurz nach zehn Uhr abends kamen sie zur Ausweiskontrolle. Einige der Jüngeren haben sich gut mit den Kellnern gestellt. Wenn die Truppe dann anrückte, haben die Kellner denen Bescheid gesagt und sie durch den Notausgang rausgelassen. In der Straße "Hütten" gab es eine geschlossene Jugendeinrichtung, in die wurden alle Minderjährigen gebracht, die erwischt wurden. Dort mussten sie von den Erziehungsberechtigten abgeholt werden. Ich kannte auch ein damals minderjähriges Mädchen, die hatte zu einem Beamten gesagt, dass sie "Freunde" habe - die kam sofort ins Krankenhaus Heidberg und wurde auf Geschlechtskrankheiten untersucht. Die hatte noch nie was mit einem gehabt - aber "Freunde haben", das durfte man damals einfach nicht sagen, dann galt man schon als Prostituierte.

Blick auf den Eingang zum Hamburger Star Club (undatiert). Auf einer großen Tafel stehen die Namen der bekannten Künstler, die im Star Club gastierten. Die Weltkarriere der Beatles fand hier ihren Anfang. © picture-alliance / dpa Foto: Lothar Heidtmann
Blick auf den Eingang zum Hamburger Star Club.

Aber den Star-Club haben wir geliebt - auch schon deswegen, weil ihn unsere Eltern so gehasst haben. Es gibt übrigens über die Polizeieinsätze einen sehr anschaulichen Film von 1968: "Dienst im Halbdunkel - Nächte und Tage der Jugendschutztrupps" von Max H. Rehbein.

Nach Jahren der erbitterten Diskussion um das Thema Volljährigkeit waren am Ende sowohl die sozial-liberale Koalition als auch die oppositionelle CDU einer Meinung. Wie kam es zum Gesinnungswandel?

Zint: Sicherlich war auch der Gedanke dabei, dass Jugendliche mit 18 Jahren selbst über ihre Lebens- und Berufsplanung entscheiden können. Und dass man mit 18 schon wählen durfte, lag einfach daran, dass die Parteien auf mehr Wähler hofften.

Am 1. Januar 1975 trat das Gesetz in Kraft: Wie veränderte sich dadurch das Verhalten der Jugendlichen? Waren die Clubs auf einmal rappelvoll und rissen die Jugendlichen in Scharen von zu Hause aus?

Zint: Ich habe keinen Anstieg der Besucher in den Musik-Clubs festgestellt. Allerdings bin ich nach 1975 nicht mehr so oft in Clubs gegangen, da ich mich stärker politisch engagiert habe, in der APO (Anmerkung der Redaktion: Außerparlamentarische Opposition). Ich habe aber beobachtet, dass plötzlich viele Jugendliche ihr Elternhaus verließen und in Kommunen wohnten. Auch ich wohnte ab 1967 bis Mitte der 80er-Jahre in verschiedenen Kommunen.

Die meisten Befürchtungen (Frühehen, Verschuldung et cetera) der Gegner der Senkung des Volljährigkeitsalters traten nicht ein. Allerdings war es auch nicht so, dass die Jugendlichen sich signifikant stärker in der Politik engagierten. Wie erklären Sie sich das?

Zint: Das sehe ich anders. Das Interesse für Politik war Anfang der 70er-Jahre zumindest in meinem Umfeld extrem gestiegen.

Immer wieder wird heute gefordert, das Wahlalter weiter herabzusetzen. Der Deutsche Bundesjugendring etwa fordert die Absenkung des aktiven Wahlalters auf 14 Jahre, manche fordern sogar eine Abschaffung des Wahlalters (Wahlrecht ab Geburt). Was denken Sie darüber?

Zint: Wahlrecht ab Geburt halte ich für Blödsinn. Die Orientierungsphase bei Jugendlichen setzt nach meiner Erfahrung (ich habe fünf Kinder) erst nach der Pubertät ein.

Und die letzte Frage: Welche Pläne haben Sie momentan?

Zint: Ich bin dabei, mein St. Pauli Museum auf festere Füße zu stellen, und ich arbeite an zwei neuen Büchern, das eine trägt den Arbeitstitel "Kann denn Sünde Arbeit sein?" oder "Kann denn Arbeit Sünde sein?" - passt beides, wir wissen es noch nicht. Außerdem wird im Moment mein Fotoarchiv mit drei Millionen Fotos für das Reemtsma Institut (Institut für Sozialforschung in Hamburg) digitalisiert. Wir haben gerade sehr viel zu tun!

Das Gespräch führte Astrid Reinberger, NDR.de.

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