Spektakulärerer Abbruch: Wissower Klinken stürzten 2005 in die Tiefe

Stand: 03.02.2025 14:55 Uhr

Lange waren die berühmten Kreidefelsen wegen ihrer bizarren Form eine der Hauptattraktionen Rügens. Doch am 24. Februar 2005 stürzten die Wissower Klinken in die Ostsee. Wie kam es zu dem Abbruch?

Ihre bizarre Form inspirierte schon im 19. Jahrhundert Künstler wie den Maler Caspar David Friedrich: die Wissower Klinken auf der Halbinsel Jasmund im Nordosten von Rügen. Die spitz aufragende Kreideformation war bis 2005 gemeinsam mit den nebenan gelegenen Kreidefelsen des Königsstuhls eines der beliebtesten Fotomotive der Insel und ein wichtiger touristischer Anziehungspunkt.

Doch von einem Tag auf den anderen war das außergewöhnliche Naturdenkmal nur noch Geschichte: In der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 2005 stürzten die weiß leuchtenden Hauptzinnen der Wissower Klinken in die Tiefe. 50.000 Kubikmeter Kreide wurden in die Ostsee gerissen, von der ursprünglichen Formation blieben nur zwei Stümpfe übrig. Ein Rügener Wahrzeichen war für immer verloren.

Reste der "Wissower Klinken" an der Kreide-Steilküste auf der Insel Rügen © dpa Foto: Stefan Sauer
AUDIO: Wissower Klinken abgestürzt (1 Min)

Abbruch kam nicht völlig unerwartet

Wissower Klinken nach Abbruch im Februar 2005 © dpa
Nur Stümpfe blieben übrig: Die Klinken nach dem Abbruch.

Wie kam es zu dem spektakulären Abbruch mitten im Nationalpark Jasmund? Die Rügener Kreidefelsen verändern bereits seit Jahrtausenden ihr Aussehen. Erosion, innere Spannungen, die Meeresbrandung sowie Feuchtigkeit und Frost setzen den Felsen zu. Meist finden die Abbrüche im Winter und Frühjahr statt und kündigen sich durch Risse und Rieselungen von feinem Sand und Kreide an. So auch bei den Wissower Klinken: "Es hatte in den letzten Jahren bereits mehrere Abbrüche und auffällige Risse gegeben, sodass zu vermuten war, dass die Klinken demnächst das Zeitliche segnen", erklärte Manfred Kutscher vom Nationalparkamt Rügen am Tag des Abbruchs. Bereits im Jahr zuvor hatte der Kreideküstenspezialist gewarnt, dass der Unterbau im Bereich der Wissower Klinken instabil geworden war.

Natürliche Prozesse verändern die Felsen

Der Absturz der Klinken war also eine natürliche Folge der Erosion. Ein künstliches Aufhalten dieses Prozesses - etwa durch Abstützen der Kreidefelsen oder eine Schutzmauer gegen die Brandung der Ostsee - wurde nach dem Abbruch 2005 und weiteren Abstürzen in den Folgejahren zwar diskutiert. Aber solche Maßnahmen sind teuer und lassen sich nicht mit dem Charakter eines Naturparks in Einklang bringen - die natürliche Entwicklung der Küste ist eines der Schutzziele in Deutschlands kleinstem Nationalpark.

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Warnhinweise am Steilufer ernst nehmen

Blick über die Kreidefelsen der Insel Rügen. © picture alliance/imageBROKER Foto: Julie Woodhouse
Rügens Kreideküste ist ständigen Erosionsprozessen ausgesetzt und verformt sich daher unaufhaltsam.

Jedes Jahr besuchen etwa 1,5 Millionen Touristen die 15 Kilometer lange Kreide-Steilküste. Das Nationalparkamt warnt mit Hinweisschildern und Handzetteln vor den Gefahren, die vom Steilufer ausgehen. Besucher sollten nur die ausgewiesenen Wanderwege benutzen, Warnhinweise an gefährdeten Küstenabschnitten ernst nehmen und diese nach längeren Regenfällen meiden. Der folgenschwerste Abbruch an der Kreideküste bislang ereignete sich im Dezember 2011. Damals starb am Kap Arkona ein zehnjähriges Mädchen.

Prognosen darüber, wann, an welcher Stelle und in welchem Ausmaß der nächste Abbruch stattfinden wird, sind nicht möglich. Einen Vorteil haben die beständigen Abbrüche dennoch: Die strahlend weiße Farbe der Kreidefelsen bleibt erhalten - andernfalls würden sie mit der Zeit wohl eine unscheinbare, schmutzig-graue Farbe annehmen.

An der Steilküste unterhalb der ehemaligen Bunkeranlage in Sellin zeichnet sich ein Riss ab. © Arne Fründt Foto: Arne Fründt
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Abschied mit Brahms-Musik

Die Einwohner Rügens verabschiedeten sich von ihren Wissower Klinken am 13. März 2005 mit einem Konzert im Nationalparkzentrum. Gespielt wurde die Symphonie Nr. 1 c-Moll op.68 von Johannes Brahms, deren vierter Satz von der Natur auf der Halbinsel Jasmund inspiriert wurde: Im Sommer 1876 hatte Brahms an einen Freund geschrieben: "An den Wissower Klinken ist eine schöne Sinfonie hängen geblieben."

Strand und Kreidefelsen auf Rügen. © dpa
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NDR//Aktuell | 08.06.2019 | 14:00 Uhr

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