"Wappen von Hamburg": Mit Eleganz nach Helgoland
Während Hamburg auch zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg noch in Trümmern liegt, wird auf der Werft Blohm & Voss ein elegantes Seebäderschiff gebaut, das die Hansestadt mit der Insel Helgoland verbinden soll.
Am 1. Februar 1955 wird bei Blohm & Voss die "Wappen von Hamburg" getauft, ein elegantes Seebäderschiff, schneeweiß und mit geschwungenem Bug, knapp 90 Meter lang und 13 Meter breit. Es bietet Platz für 1.600 Gäste. Unter Beifall und Bravorufen Tausender Werftarbeiter und Schaulustiger läuft sie vom Stapel und taucht in das Wasser der Elbe ein. Zum fünften Mal seit 1669 wird der Name verwendet, ihre Vorgängerinnen haben die Schiffe der Hamburger Kaufleute gegen Piraten beschützt.
Die rote Insel lockt
Auch zehn Jahre nach dem Krieg liegen weite Teile Hamburgs noch immer in Trümmern, wohnen Ausgebombte und Flüchtlinge in Kellern und Behelfsheimen. Doch die Menschen sehnen sich nach Normalität, auch nach Freizeitvergnügen und Luxus. Den will damals die HADAG, die Hafen-Dampfschiffahrtsgesellschaft, bieten. Ihr neues Seebäderschiff soll wieder Tagesgäste und Urlauber aus der Hansestadt über Cuxhaven nach Helgoland bringen. Die traditionsreiche Verbindung gibt es zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als 100 Jahren, unterbrochen nur durch die Weltkriege. Der erste Dampfer fährt sogar schon 1816 ins gerade gegründete Seebad an der Elbmündung.
Badeleben auf Helgoland beginnt
Helgoland ist erst wenige Jahre zuvor von den Briten freigegeben worden, nachdem die Insel jahrelang als Bombenziel der Royal Air Force gedient hat. Im Unterland sind seitdem nur wenige Unterkünfte für Badegäste gebaut worden. Aber auf der vorgelagerten Düne regt sich bereits das Strandleben. Am Pfingstsonnabend 1955 legt die "Wappen von Hamburg" zum ersten Mal an den Landungsbrücken ab. Im Bordrestaurant servieren Kellner in weißer Livree Helgoländer Hummer und im Tanzsaal spielt eine Kapelle die Schlager der Saison. In Cuxhaven steigen vormittags weitere Gäste zu, dann geht's nach Helgoland. Spätabends kehrt das Schiff dann nach Hamburg zurück.
Das Schiff ist zu langsam
Der Seebäderdienst boomt bald, doch der HADAG ist der Aufenthalt auf der Insel mit lediglich drei Stunden zu kurz. Die "Wappen von Hamburg" ist zu langsam - nur 17 Knoten machen die Maybachmotoren. Deshalb verkauft die Reederei sie Ende 1960 nach Griechenland, wo sie als Kreuzfahrtschiff in der Ägäis fährt. Im James-Bond-Film "Liebesgrüße aus Moskau" ist sie vier Jahre später noch einmal im Kino zu sehen, als Unterschlupf für die Verbrecherorganisation "Phantom".
Die zweite "Wappen von Hamburg" läuft 22 Knoten
Die HADAG hat 1962 bei Blohm & Voss ein schnelleres Schiff bauen lassen, die zweite "Wappen von Hamburg". Sie kann 1.700 Passagiere aufnehmen, und die Motoren, die bei den Ottenser Eisenwerken gebaut wurden, beschleunigen das Schiff auf 22 Knoten. Dadurch verlängert sich der Inselaufenthalt der Passagiere um zwei Stunden. Neu sind auch die sogenannte Schlingerdämpfungsanlagen, die Seekrankheit bei hohem Wellen vermeiden helfen. Für Notfälle ist dennoch immer ein Sanitäter an Bord.
In der ersten Saison kommt es zu einem tragischen Zwischenfall. Bei Otterndorf springt ein betrunkener Passagier über Bord. Während der sofort eingeleiteten Rettungsaktion ertrinken drei Seeleute, als ihre Boote umschlagen. Der Passagier erreicht unversehrt das Ufer.
Im Winter wird die "Wappen von Hamburg" auch in der Ostsee eingesetzt, kreuzt sogar zeitweise als Spielcasino zwischen Miami und den Bahamas. Doch schon 1965 verkauft sie die HADAG günstig nach Schweden.
Die dritte "Wappen" wird zum Flaggschiff
Die dritte "Wappen von Hamburg" wird 1965 bei den Hamburger Howaldtswerken gebaut. Sie ist noch größer als ihre Vorgängerinnen und kann 1.800 Personen befördern. Neben Restaurant und Tanzsalon, Cafés und Kiosken gibt es sogar Kabinen auf dem Oberdeck mit Betten, Waschraum und Toilette, die für einen Aufpreis gemietet werden können. Mehr als 40 Jahre fährt die "Wappen von Hamburg" in den Sommermonaten nach Helgoland. Im Winter liegt sie in Hamburg als Restaurant- und Hotelschiff. Generationen von Norddeutschen, aber auch von weither angereisten Touristen verbinden mit ihr die Überfahrt zu Deutschlands einziger Hochseeinsel.
Eine Reise nach Helgoland
Die ist immer ein Erlebnis. Frühmorgens geht es die Elbe hinab, vorbei an den kleinen Dörfern hinter den Deichen. Am Vormittag steigen dann in Cuxhaven weitere Gäste zu. Mittags kommt endlich der rote Felsen in Sicht, während das Wasser der Nordsee wegen des steinigen Untergrunds flaschengrün scheint. In Sichtweite des Hafens findet das Ausbooten statt: Ein großer Schritt aus der dafür vorgesehenen Luke im Rumpf über den Abgrund hinweg, und schon sitzen die Reisenden im sogenannten Börteboot, das sie sicher in den Hafen bringt.
Deutschlands einzige Hochseeinsel ist "in"
Die 60er- und 70er-Jahre sind die Hochzeiten der "Wappen von Hamburg". Michael Schleef vom Archiv der HADAG, das Fotos und Dokumente rund um die Schiffe aufbewahrt, sagt: "Der Seebäderdienst aller Reedereien war und ist die Lebensader für Helgoland. Die HADAG fuhr ja nicht nur von Hamburg, sondern auch von Cuxhaven und Sylt." Verbindungen gibt es damals auch von Bremerhaven, Büsum und Norderney. Bis zu zehn Schiffe ankern dann vor dem roten Felsen, rund 10.000 Tagesgäste bevölkern die Insel, wo neben dem Naturerlebnis vor allem der Einkauf zollfreier Waren lockt: Butter, Zigaretten, Alkoholika und Parfum.
Die Nachfrage ist so groß, dass die HADAG die zweite "Wappen von Hamburg" aus Schweden zurückkauft und als "Alte Liebe", benannt nach dem berühmten Schiffsanleger in Cuxhaven, zusätzlich fahren lässt.
Die HADAG muss das Schiff verkaufen
Doch bis Ende der 70er-Jahre geht das Fahrgastaufkommen zurück, weil sich das Freizeitverhalten wandelt und lange Schiffsreisen immer weniger beliebt sind. Deshalb schränkt die HADAG ihren Seebäderdienst ein und verlegt die Abfahrt der "Wappen von Hamburg" nach Cuxhaven. Nur noch sonnabends beginnt die Reise in Hamburg. Wenige Jahre später muss die HADAG den Seebäderdienst aufgeben und verkauft die "Wappen von Hamburg" 1984 an die Flensburger Reederei Seetouristik.
Tanzfahrten und Filmkulisse
Die setzt ab auf neue Angebote. An den Wochenenden sticht die "Wappen von Hamburg" dann auch zu Abendfahrten in See, bei denen auf allen Decks getanzt und gefeiert wird. In mancher lauen Sommernacht baden die Fahrgäste aus der Luke heraus in der glatten See. Und sogar für Bälle kann das Schiff gechartert werden.
Noch immer ist die "Wappen von Hamburg" so populär, dass auch das Fernsehen aufmerksam wird. In der Tatort-Folge "Haie vor Helgoland", dem ersten Fall der Hamburger Kommissare Stoever (Manfred Krug) und Brockmöller (Charles Brauer) spielt sie 1984 eine Rolle. Und in einer Folge der Reihe "Schwarz-Rot-Gold" mit Uwe Friedrichsen als Zollfander Zaluskowski, in der ein Rentner Goldbarren von Helgoland schmuggelt, ist sie 1991 ebenfalls zu sehen.
Konkurrenz durch den Katamaran
In der Saison 1997 fährt erstmals ein schneller Katamaran der Reederei Speedways die Strecke von Hamburg nach Helgoland in der Rekordzeit von dreieinhalb Stunden. Auch das langwierige Ausbooten entfällt, weil der Katamaran einfach im Hafen anlegt. Im folgenden Jahr steigt die Flensburger Seetouristik selbst mit einem eigenen Katamaran in dieses Geschäft ein. Die "Wappen von Hamburg" kann auf Dauer nicht konkurrieren. Die Passagierzahlen gehen so stark zurück, dass sie 2006 außer Dienst gestellt wird. Seit 1965 hat sie 780.000 Seemeilen zurückgelegt und sieben Millionen Menschen befördert.
Was bleibt?
Die drei Schiffe fahren noch lange Zeit auf den Weltmeeren. Die erste "Wappen von Hamburg" unternimmt Kreuzfahrten vor der Küste Alaskas und Expeditionen im südlichen Atlantik, wird später zum Krabbenfabrikschiff umgebaut. Dann liegt sie jahrelang im kalifornischen Stockton, wo sie im Sommer 2024 sinkt und nun abgewrackt wird.
Das zweite Schiff fährt nach seiner Zeit bei der HADAG noch bis 2004 von Bremerhaven zur roten Insel. Als der Umbau zur Luxusjacht scheitert, wird sie 2014 in der Türkei verschrottet. Über dieses Schiff sagt der HADAG-Archivar Schleef: "Für mich ist die zweite 'Wappen von Hamburg' (1962), spätere 'Alte Liebe', das schönste der drei Schiffe. Sie erinnert sowohl an die großen Ozeanliner als auch an eine Jacht - einfach ein sehr schönes Beispiel für Schiffdesign ihrer Zeit."
Die dritte "Wappen von Hamburg" ist jedoch die bekannteste. Sie gilt auch heute noch als der Inbegriff des Seebäderdampfers. 2010 wird sie im dänischen Esbjerg abgewrackt. Die Brücke aber ist erhalten geblieben und im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven ausgestellt.