Schneekatastrophe im Jahrhundertwinter 1978/79: Chaos im Norden

Stand: 23.12.2024 15:55 Uhr

Extreme Schneefälle, Verwehungen, Stromausfälle: Ein plötzlicher Temperaturabfall stürzt den Norden Ende 1978 ins Chaos. Die Schneemassen sind noch nicht abgetaut, da kommt es Mitte Februar 1979 erneut zu heftigen Schneefällen.

Es ist ein Wintereinbruch, den diejenigen, die ihn erlebt haben, wohl nie vergessen werden. Am Morgen des 28. Dezember 1978 liegt die Temperatur noch bei etwa zehn Grad über Null - typisches Weihnachtstauwetter. Dann ändert sich das Wetter schlagartig: Über Norddeutschland legen sich eisige Luftmassen von bis zu 47 Grad minus und feuchtwarme Atlantikluft übereinander. Ab dem Nachmittag stürzen die Temperaturen um bis zu 30 Grad Celsius. Es beginnt heftig zu schneien, vielerorts tobt gleichzeitig ein schwerer Sturm.

Sturm und tagelange Schneefälle zum Jahreswechsel 78/79

Zum Jahreswechsel 1978/79 versinkt der Norden Deutschlands im Schnee. Verwehungen türmen ihn teils mehrere Meter hoch auf. Zahllose Straßen sind nicht mehr passierbar. Vielerorts fällt der Strom aus, weil die Masten unter der Last des Schnees zusammenbrechen. Zum Schnee- und Eissturm kommt an der Ostseeküste ein schweres Hochwasser hinzu. Es überschwemmt in Flensburg, Schleswig und Lübeck ganze Stadtviertel, in Sassnitz auf Rügen werden die Hafenanlagen beschädigt.

Bundeswehr und NVA bei Schneekatastrophe im Dauereinsatz

In zahlreichen Landkreisen wird der Katastrophenalarm ausgerufen, in Schleswig-Holstein sind 80 Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten. Hubschrauber versorgen die Eingeschlossenen aus der Luft, rund 30.000 Helfer von DRK, Bundeswehr, Technischem Hilfswerk, Feuerwehr und anderen Hilfsorganisationen sind im Einsatz. Auf dem Gebiet des heutigen Mecklenburg-Vorpommern im Norden der DDR ist die Nationale Volksarmee vor Ort. Unter anderem mithilfe von Panzern versucht sie, die Straßen wieder zugänglich zu machen. Auch hier übernehmen Helikopter die Versorgung der Bevölkerung aus der Luft.

Rügen von der Außenwelt abgeschnitten

Ein Panzer der Nationalen Volksarmee (NVA) versucht  Schneeverwehungen auf einer Straße zu beseitigen. © picture-alliance/ ZB
Im Norden der DDR sind NVA-Panzer im Einsatz, um Straßen und Gleise vom Schnee zu befreien.

Allein auf der Ostseeinsel Rügen sind 40 Ortschaften tagelang von der Außenwelt abgeschnitten. Bis zu sechs Meter hohe Schneeverwehungen, die mit Flugsand vermischt sind, wirken wie Beton und machen ein Vorankommen für die Hilfskräfte kaum möglich. So muss die NVA auf der Eisenbahnstrecke von Bergen nach Sassnitz die Schneeberge sogar sprengen. Die Nachbarinsel Hiddensee kann zwei Wochen lang nur aus der Luft sowie per Pferdeschlitten über die zugefrorene Ostsee versorgt werden. In zahlreichen Hafenstädten an der Ostsee kommt der Schiffsverkehr komplett zum Erliegen, darunter in Flensburg, Kiel, Wismar und Rostock. Dort haben sich in den Häfen Eisschollen übereinander geschoben und machen das Passieren unmöglich.

Stromausfall bringt Landwirte in Not

Besonders hart trifft es die Landwirte. Auf Höfen, auf denen der Strom ausgefallen ist, funktionieren die Melkmaschinen nicht, die Tiere müssen per Hand gemolken werden. Da die Straßen versperrt sind, fehlt es an Kraftfutter und die Milch kann nicht abgeholt werden. Viele Bauern lassen sie auf Plastikplanen im Schnee gefrieren.

DDR-Stromversorgung bricht gänzlich zusammen

In der DDR bricht gar zeitweise die gesamte Stromversorgung zusammen, da im Süden des Landes die Braunkohleförderung wegen der Kälte unterbrochen werden muss, von der die Strom- und Fernwärmeversorgung der DDR in weiten Teilen abhängig ist. Menschen frieren in ihren Wohnungen. In Lubmin bei Greifswald gelingt es den Angestellten des dortigen Kernkraftwerks "Bruno Leuschner" dagegen, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Das Werk produziert rund zehn Prozent des DDR-Stroms.

Schneekatastrophe macht in Hamburg nur kleinere Probleme

Eis im  Hamburger Hafen am 5. Januar 1979 © picture-alliance / dpa
Zwar behindert der Eisgang auch in Hamburg den Schiffsverkehr, die Hansestadt kommt im Schneewinter jedoch glimpflich davon.

Hamburg kommt dagegen bei der Schneekatastrophe relativ glimpflich davon. Zwar bricht der Flugverkehr am Flughafen Fuhlsbüttel vorübergehend zusammen, weil die Orientierungslampen an der Landebahn immer wieder vom Schnee verdeckt werden. Der öffentliche Nahverkehr kann dagegen im Innenstadtbereich aufrechterhalten werden. Auch mit der Stromversorgung gibt es keine Probleme, denn nach der großen Sturmflut 1962 hatten die Hamburgischen Elektrizitätswerke fast alle Freileitungen durch Erdkabel ersetzt.  

Um die Straßen und Gehwege schnellstmöglich wieder frei zu bekommen, bittet der damalige Bürgermeister Hans-Ulrich Klose die Hamburger, sich am Schneeschippen zu beteiligen. Rathaus und Bezirksämter stellen Schippen, Besen und Schneeschieber bereit, allein 300 Schieber stehen in der Rathausdiele. Zugleich bietet der ungewohnt heftige Wintereinbruch Gelegenheit für ein eher seltenes Vergnügen: Viele Hamburger nutzen den Schnee, um auf Skiern durch die Parks zu gleiten. Auf der Moorweide gibt Georg Thoma, Olympiasieger in der Nordischen Kombination, interessierten Hamburgern auf der "Dammtor-Loipe" eine Einführung im Ski-Langlauf.

Zweites Schneechaos im Februar 1979

Auf der Autobahn 7 zwischen Hamburg und Hannover sind Bergepanzer der Bundeswehr im Einsatz. © picture-alliance / dpa
Auf der Autobahn zwischen Hamburg und Hannover versucht die Bundeswehr, die Fahrbahn mit Bergepanzern freizuräumen.

Am 13. und 14. Februar wird in vielen Landesteilen erneut Katastrophenalarm ausgelöst. Besonders betroffen sind diesmal Teile von Niedersachsen, darunter Friesland, Oldenburg und Rotenburg/Wümme. In Ostfriesland bringen die Schneemassen teilweise die Stromversorgung zum Erliegen. Auf den Bahnstrecken werden immer wieder Weichen und Gleise durch Schnee zugeweht und müssen freigeschaufelt werden.

In Schleswig-Holstein ist erneut die Ostseeküste betroffen. Vor Kiel und Flensburg türmt sich das Eis bis zu zwei Meter hoch. In der Kieler Förde liegen rund 80 Schiffe fest, der Nord-Ostsee-Kanal ist nicht mehr zu befahren. Zwischen Ascheberg und Preetz müssen 40 Bahnreisende per Hubschrauber mithilfe einer Seilwinde aus einem festsitzenden Zug gerettet werden.

Schnee liegt mancherorts bis Mai

Noch wochenlang ist Norddeutschland von einer kompletten Schneedecke bedeckt. Es dauert, bis alle Straßen komplett geräumt sind. In Husum liegt noch bis zum 20. Mai 1979 Schnee.

Der außergewöhnlich harte Winter kostet allein in der Bundesrepublik 17 Menschen das Leben, in der DDR sind es neueren Erkenntnissen zufolge sogar mehrere Hundert, so der Krisenforscher Frank Roselieb. Genaue Zahlen wurden nicht bekannt. Die Erfahrung des Extremwinters hat trotzdem für viele Menschen auch eine positive Seite. Die gemeinsame Not hat Nachbarn zusammengeschweißt. Jeder half dem anderen, wo es ging. "Es war ein unheimlich freundliches Miteinander. Die Leute haben wieder mehr miteinander gesprochen. Es wurden gemeinschaftlich die Wege freigeschaufelt. Es gab einen Gemeinschaftssinn, an den ich mich gerne erinnere", erinnerte sich etwa Feuerwehrmann Johann Müller aus dem ostfriesischen Norden in einem Interview mit dem NDR.

Kann sich die Schneekatastrophe wiederholen?

Ist auch heute ein Jahrhundertwinter wie 1978/1979 noch möglich? Trotz des Klimawandels halten Meteorologen das nicht für ausgeschlossen - zwar werden extrem kalte Winter seltener. Auftreten können sie allerdings dennoch. Allerdings wären die Bundesländer heutzutage besser auf eine Katastrophe vorbereitet, denn es gibt mittlerweile geordnete Abläufe für derartige Szenarien. Stromausfälle könnte es zwar geben und sie würden sich auch auf das komplette Fest- und Mobilfunknetz auswirken. Zumindest größere landwirtschaftliche Betriebe mit Tierhaltung besitzen heute aber Notstromaggregate.

Weitere Informationen
Eine Schneefräse im Einsatz im Winter 1979 in Mecklenburg-Vorpommern. © NDR Foto: Marlies Schumacher

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Panzer im Einsatz während der Schneekatastrophe 1978/79
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