"Rasender Roland": Mit Volldampf gemächlich über Rügen
Die Geschichte der Rügener Kleinbahn "Rasender Roland" reicht bis ins Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Am 21. Juli 1895 fuhr der erste Zug von Putbus nach Binz. Mittlerweile fährt die Schmalspurbahn Touristen über die Insel.
Wilhelm von Humboldt nannte seine Reise durch Rügen eine Qual. Johannes Brahms wetterte über die schlechten Verkehrsmöglichkeiten. Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts ist Deutschlands größte Insel verkehrstechnisch schlecht angeschlossen. Holperige Landstraßen erschweren den Touristen das Vorwärtskommen - und den Einheimischen ohnehin. Da es weder einen regulären Fährbetrieb noch Brücken gibt, ist Rügen vom Rest der Welt weitgehend abgeschnitten.
"Mit Gott per Dampf quer durch die Insel"
Das soll sich Mitte des 19. Jahrhunderts ändern: 1863 wird die Eisenbahnverbindung von Berlin nach Stralsund eröffnet. Von nun an ist auch eine Verlängerung über den Strelasund nach Rügen im Gespräch. 1883 wird nicht nur der Fährverkehr zwischen dem Festland und der Insel aufgenommen, sondern auch die erste Eisenbahnverbindung auf Rügen, zwischen Altefähr im Süden und Bergen im Zentrum.
"Mit Gott per Dampf quer durch die Insel" steht auf der Lokomotive des Eröffnungszuges. 1891 wird die Strecke nach Sassnitz verlängert. "Nach Rügen reisen heißt nach Sassnitz reisen" schwärmt Theodor Fontane. Die Route vom Festland über Bergen bis nach Sassnitz avanciert auf Rügen zur Hauptverkehrsader.
Rügener Bahn für Zuckerrüben und Touristen
1889 geht auch eine Eisenbahn von Altefähr nach Putbus in Betrieb, die vor allem landwirtschaftlichen Zwecken dient. An weiteren Strecken auf der Insel hat der preußische Staat allerdings wenig Interesse. In ländlichen Gegenden gilt die Ausweitung des Schienennetzes als unrentabel. Doch auf Rügen, wie auch in anderen dünn besiedelten Gegenden Deutschlands, gibt es zahlreiche Menschen, die sich für den Ausbau der Eisenbahn brennend interessieren: um landwirtschaftliche Produkte schneller zu transportieren, die Einheimischen zum weit entfernten Arzt oder zur Arbeit zu bringen und um den Tourismus anzukurbeln.
Werben für die Rügener Kleinbahn
1892 hält der Rügener Kreisbaumeister Ohnesorge einen "Vortrag über Tertiärbahnen für die Insel Rügen" vor großem Publikum. Er wirbt für den Ausbau der Rügener Bahnstrecken, vor allem, um den schnellen, massenhaften Transport von Zuckerrüben zu gewährleisten, der "auf Landwegen so gut wie unmöglich" ist. Der Kreisbaumeister befürwortet eine Schmalspurbahn, da diese in Bau und Betriebsführung weitaus günstiger ist.
Schmalspurbahnen zählen zu den sogenannten Tertiär- oder auch Kleinbahnen und sind in der Regel halb so schmal wie normalspurige Bahnen. Ende des 19. Jahrhunderts kommen sie in ganz Deutschland in Mode - ob im Harz, in Sachsen oder im Ruhrgebiet. Dazu trägt auch das Preußische Kleinbahngesetz bei, das 1892 verabschiedet wird. Das neue Gesetz sieht für den Bau von Tertiärbahnen vereinfachte technische Anforderungen vor sowie finanzielle Unterstützung.
Bahn frei für den "Rasenden Roland"
Das Werben von Ohnesorge hat Erfolg: Die 1890 gegründete Rügensche Kleinbahn-Aktiengesellschaft, kurz RüKB, beschließt, auf der Insel ein weitverzweigtes Streckennetz für schmalspurige Bahnen mit 750 Millimetern Spurweite zu errichten. Bau und Betriebsführung übernimmt die Stettiner Firma Lenz & Co., die im Wilhelminischen Reich zum wichtigsten Kleinbahn-Unternehmen Deutschlands aufsteigt. 1895 errichten Bauarbeiter, die auch aus Russland angeheuert werden, die erste Strecke von Putbus bis in den 10,8 Kilometer entfernten aufstrebenden Badeort Binz.
Harte Sitzbänke und ein Plumpsklo - für heutige Verhältnisse bietet die Rügener Kleinbahn nicht gerade viel Komfort. Doch das tut der Jungfernfahrt des "Rasenden Rolands", wie die Bahn frei nach dem berühmten italienischen Epos genannt wird, keinen Abbruch. Am 21. Juli 1895 ruckelt die dampfbetriebene Bahn zum ersten Mal von Putbus nach Binz-Ost durch scheinbar endlose Felder und Wiesen. Warum die so gemächlich fahrende Bahn ausgerechnet "Rasender Roland" genannt wird, ist unklar.
Das Schienennetz auf Rügen wächst schnell
Ein Jahr später sind bereits die Schienenstrecken nach Sellin und Altefähr fertiggestellt. Binnen weniger Jahre baut die Rügensche Kleinbahn-Aktiengesellschaft das Streckennetz auf 97,3 Kilometer aus und verbindet so die Bahnhöfe von Altefähr, Stralsund, Göhren, Altenkirchen, Bergen und Kap Arkona miteinander. Nicht nur der "Rübenverkehr", auch der Tourismus erlebt, vor allem an der Ostküste Rügens, eine ungeahnte Blüte. Zwischen 1901 und 1916 verkehren zwischen Binz und Putbus sogar "Theaterzüge", die die Gäste von den Badeorten zum Theater bringen.
Der Niedergang der Schmalspurbahnen
Ab den 20er-Jahren, als immer mehr Lkw, Busse und Kleinwagen die asphaltierten Straßen bevölkern, verlieren die Schmalspurbahnen als Transportmittel an Bedeutung. Vor allem in den späten 60er-Jahren werden viele der einstigen Streckenabschnitte stillgelegt - auch auf Rügen.
Die letzte verbliebene pommersche Schmalspurbahn in Deutschland wird seit 2008 unter dem Namen Rügensche BäderBahn von der Eisenbahn-Bau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn mbH betrieben. Heute sind lediglich 24,1 Kilometer des einstigen Streckennetzes übrig. Doch der "Rasende Roland" dampft und schnauft noch immer: Mit maximal 30 Stundenkilometern fährt er im Zweistundentakt von Lauterbach über Putbus, Binz, Sellin und Baabe nach Göhren. Längst wird die Bahnstrecke nicht mehr für den Güterverkehr benutzt, sondern als reine Touristenattraktion - mit nostalgischen Dampflokomotiven und Waggons.