1998: Havarie des Frachters "Pallas" löst Ölpest aus
Ein Frachter steht am 25. Oktober 1998 in hellen Flammen und treibt auf der Nordsee. Der Name des brennenden Schiffes: "Pallas". Öl strömt ins schleswig-holsteinische Wattenmeer. Erst am 22. November 1998 kann das Feuer endgültig gelöscht werden.
Als die "Pallas" am 20. Oktober 1998 den schwedischen Hafen Hudiksvall nördlich von Stockholm verlässt, ist die Lage an Bord des Frachtmotorschiffes aus Italien zunächst ruhig. Es soll 2.500 Tonnen Schnittholz von Schweden nach Marokko bringen. Das 147 Meter lange Schiff kämpft sich durch schweren Sturm und fünf Meter hohe Nordseewellen. Am 25. Oktober 1998 bricht jedoch an Bord Hektik aus: Gegen 14.30 Uhr entdeckt die Besatzung, dass Rauch aus zwei Ladeluken dringt.
25. Oktober, 23.54 Uhr: Die "Pallas" sendet Mayday
Der Kapitän versucht, den Brand zu ersticken, doch der Qualm aus dem Laderaum der "Pallas" wird stärker. Kurz vor Mitternacht gerät die Lage vollends außer Kontrolle. Um 23.54 Uhr sendet das Schiff den internationalen Notruf Mayday. Ein dänischer und ein deutscher Rettungshubschrauber machen sich auf den Weg zu dem lichterloh brennenden Frachter.
Riskante Rettung aus der Luft
Eine Rettung der Besatzung direkt vom Deck kommt nicht infrage, denn meterhohe Flammen und stürmische See behindern den Einsatz. Die Besatzungsmitglieder steigen in ein Rettungsboot, das sich aber nicht richtig ausklinkt, kippt und gegen die Bordwand schlägt. Die Männer stürzen in die Nordsee, in der bereits brennende Teile der Ladung treiben. Ein Besatzungsmitglied wird schwer verletzt, der Schiffskoch stirbt an einem Herzinfarkt. Immer wieder seilen sich die Retter aus dem Hubschrauber ab, bis sie alle Crewmitglieder an Bord der Helikopter gezogen haben.
Das brennende Geisterschiff strandet
Am Morgen des 26. Oktober wird den deutschen Behörden klar, dass der brennende Frachter auf die Insel Sylt zutreibt, ohne dass ein Schlepper in der Nähe ist. Am frühen Nachmittag erreichen vier deutsche Schiffe die havarierte "Pallas". Mit Wasser und Schaum aus Löschkanonen bekämpfen sie das offene Feuer. Zwei Schleppversuche scheitern, weil die Leinen reißen. Sturm aus West treibt den immer noch brennenden Frachter weiter in Richtung Küste. Im flachen Wasser können ihm die Schiffe der Helfer nicht mehr folgen. Am 29. Oktober strandet die "Pallas" südwestlich der Insel Amrum.
Alle Bergungsversuche scheitern
Auch zwei englische Schlepper versuchen sich in den folgenden Tagen im Auftrag der italienischen Reederei Bogazzi an der Bergung. Knapp zwei Wochen nach der Havarie wird klar: Die "Pallas" hat einen Knick im Rumpf und einen Riss, aus dem Öl austritt. Freischleppen lässt sich das Wrack nicht mehr. 54 Grad 32 Minuten Nord, 8 Grad 17 Minuten Ost bleibt die endgültige Position des Frachters, der 756 Tonnen Treibstoff, Schwer- und Schmieröl gebunkert hat.
Öl auf 20 Kilometern Länge
Die Folgen der Havarie werden aus der Luft deutlich: Eine mehrere Hundert Meter breite Ölfahne schwappt auf knapp 20 Kilometern Länge auf der Nordsee. Erst driftet das Öl seewärts, dann erreicht es die Inselstrände - zunächst Amrum und Föhr, später Sylt und in geringerem Ausmaß die Halligen Hooge und Langeneß. Feuerwehrleute und unzählige freiwillige Helfer reinigen die Strände von Ölplacken und bergen ölverschmierte Vögel. Spezialschiffe dämmen das Öl auf See ein und pumpen es ab. Aus der Nordsee, aus dem Wrack und von den Stränden werden insgesamt 450 Tonnen Öl aufgenommen.
16.000 Seevögel verenden
Erst am 22. November 1998 ist die havarierte "Pallas" endgültig gelöscht. Das Nationalparkamt beziffert die Zahl der toten Seevögel auf 16.000: Hauptsächlich Eiderenten und Trauerenten sind Opfer des Öls geworden. Das Schiffsunglück hat damit das größte Vogelsterben an deutschen Küsten ausgelöst, das eine Ölpest je verursacht hat.
In den Laderaum des Wracks werden schließlich Tausende Kubikmeter Sand geschüttet. Ein Spezialbaustoff soll die Ölreste in Tanks und Maschinenraum binden. Fast 1.000 Tonnen Schüttsteine halten das Unglücksschiff an Ort und Stelle, acht Kilometer südwestlich von Amrum. Dort liegt es noch immer in rund sechs Meter tiefem Wasser. Von der Südspitze der Insel aus sind die Reste der "Pallas" bei klarer Sicht und Niedrigwasser mit bloßem Auge zu erkennen.
Die Katastrophe hat Konsequenzen
Das Schiffsunglück bleibt auch auf politischer Ebene nicht ohne Folgen. Ein Untersuchungsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtags beschäftigt sich intensiv mit der Katastrophe. Der Abschlussbericht aus dem Jahr 2000 umfasst mehr als 600 Seiten. Er kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass unklare Zuständigkeiten die Bergungsaktion verzögert haben. Eine Konsequenz: 2003 nimmt das Havariekommando als gemeinsame Einrichtung von Bund und Ländern seinen Dienst auf. Es koordiniert seither die Einsätze bei schweren Schiffsunglücken auf Nord- und Ostsee.
Warnung vor neuen Havarien
Die Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste (SDN) mahnt im Oktober 2023 stärker werdende Unsicherheiten für den Schiffsverkehr an. Die Havarie-Wahrscheinlichkeit wachse massiv "durch immer mehr und größer werdende Schiffe, LNG-Terminals und ganz besonders die kontinuierlich steigende Zahl von Offshore-Windparks", heißt es in einer Mitteilung der SDN. "Egal was Havariegutachten an Wahrscheinlichkeiten vorgeben, die nächste Havarie kann immer schon morgen sein“, befürchtet der SDN-Vize-Vorsitzende Ulrich Birstein. "Und gerade bei den Mega-Schiffen könnte eines von ihnen schon für eine nicht zu bewältigende Katastrophe reichen." Dabei sei zu bedenken: Havarien ließen sich nicht vollends verhindern. Aber ein klar strukturiertes und präventiv wirkendes Havariesystem sei hilfreich.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Beitrages war fälschlicherweise die Rede davon, dass das Havariekommando auch die Einsätze zur Rettung aus Seenot koordiniere. Tatsächlich obliegt dies nach wie vor der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Das Havariekommando ist zuständig für die Gesamteinsatzleitung, die Bergung von Havaristen, die Schadstoff- und Brandbekämpfung sowie die Versorgung von Verletzten.